296. Tödliche Kraft
Blue wachte früh am nächsten Morgen auf und schaute nach Jen. So vorsichtig und leise, wie es ihm möglich war, öffnete er die Tür zum Inneren des Fizztop Grill und spähte hinein. Er hörte das ruhige Atmen. Sie war noch da und schlief. Er schloss die Tür wieder. Er ging Richtung Ferris, blieb dann stehen und rieb sich nachdenklich das Kinn. Blue ging zum Kühlschrank, schaute hinein und lächelte. Ein wenig später bereitete er ein deftiges Frühstück zu. Es gab eine riesen Portion Mirelurk-Rührei mit Brahminspeck. Dazu ein wenig Brot aus Klingenkorn. Ferris strich ihm brummend um die Beine von Blue und schnüffelte. Zwischenzeitlich leckte sich der kleine Yao-Guai die Lefzen.
"Du weiß was schmeckt, nicht? Jaja, du bekommst auch was ab." Blue schob kurz die Pfanne zurück und kraulte Ferris hinter den Ohren. Der genoss das brummend in vollen Zügen und nach einem Moment ließ er sich nach hinten Fallen und rollte sich hin und her. Blue musste bei dem Anblick grinsen. Kurz darauf hörte er ein Geräusch und schaute sofort in die Richtung. Die Tür zum Inneren des Fizztop quietschte leise. Vorsichtig steckte Jen den Kopf hinaus. Sie sah etwas erholter aus, war aber immer noch sehr blass. "Guten Morgen Jen. Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nachtruhe." Jen erschreckte sich fast zu Tode. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Blue sie bereits wahrgenommen hatte. "Ich ... ja habe ich wirklich, Overboss. Es roch hier so lecker, deshalb habe ich geschaut ... wenn ich in deinem Zimmer bleiben soll, dann ... " stammelte sie.
"Jen, du kannst dich hier oben frei bewegen. So wie es dir beliebt. Und bitte nenn mich Blue. Nicht Overboss. Zu mindestens wenn wir unter uns sind. Das Essen habe ich übrigens hauptsächlich für dich gemacht. Komm her, wir frühstücken zusammen. Danach können wir uns unterhalten." Jen schaute unsicher, kam dann aber doch näher. Dann sah sie Ferris, der immer noch in der Nähe von Blue hin und her rollte. Sie blieb stehen und betrachtete den Yao-Guai und dann Blue, wie der gerade am Herd stand und in dem Rührei rumstocherte. "Das ist Ferris. Der tut dir ebenfalls nichts. Du kannst dich dort an den Tisch setzen. Ich komme gleich dazu." Blue sagte es ohne aufzusehen. Jen nahm Platz. Blue hatte in der Zeit zwei Teller und eine Schale herausgesucht und klapperte damit rum. Einen Moment später stand das Essen auf dem Tisch und Ferris verschlang den gebratenen Speck aus seiner Schüssel. Jen aß langsam und schaute Blue dabei zu, wie der sich durch seine Riesenportion fräste.
Als beide mit dem Essen fertig waren, unterhielt sich Blue mit Jen. Er fragte viel und fühlte ihr mit manchen auf den Zahn. Zunächst vermutete Blue eine List von Nishas Seite, ihm einen Maulwurf unterzuschieben. Im Moment sah es aber so aus, dass dem nicht so war. Jen verabscheute Nisha so sehr, dass ihr das gegenüber dem Overboss herausplatze. Nisha hatte den Großteil ihrer Familie auf dem Gewissen. Sie zitterte vor Wut und gleichzeitig vor Angst. "...Du wirst mich jetzt mit Sicherheit dafür bestrafen, aber diese sadistische Miststück verdient besonders schmerzhaften Tod." Blue blickt sie mit einem merkwürdigen Blick an. "Ja. Den verdient sie tatsächlich. Da sind wir beide ja einer Meinung. Warum sollte ich dich bestrafen? Wo du Recht hast, hast du Recht." Jen wurde aus Blues Verhalten einfach nicht schlau, akzeptierte aber langsam, dass er ihr scheinbar wohlgesonnen war. Der Eindruck verstärkte sich zusätzlich, als Blue begann, sich um ihre Verletzungen zu kümmern und sie zu versorgen. Während er das tat, stellte Jen ihm einige Fragen. Er blieb bei der Beantwortung wage. Jen sah Blue nachdenklich an, als sie mit dem Gespräch fertig waren.
Sie hatte ihm versprochen hier oben im Fizztop zu bleiben, wenn er unterwegs war. Es war für sie merkwürdig, dass er um sie besorgt war. Er wirkt auf Jen geheimnisvoll. Sie beschloss aber seinen Rat zu Folgen. Bisher hatte der Overboss sie anständig behandelt. Blue hatte sich mittlerweile auf eine der alten Couch gelegt. Seine Beine waren wie üblich zu lang und hingen darüber hinaus. Er hatte sich vorgenommen, bis abends auszuruhen und dann im Dunklen unbemerkt bis zum alten Kraftwerk zu schleichen, um dort die Lage zur sondieren. Die Raider sollten noch nicht davon mitbekommen. Er starrte zur Decke und dachte über die Ereignisse der letzten Tage nach. Zwei Parks blieben jetzt noch. Was ihn dort noch alles erwarten würde wusste Blue nicht.
Gegen Spätabends als Jen schlief verlies Blue das Fizztop. Er ging durch den nördlichen Ausgang zunächst Richtung Galactic Zone und verschwand dann Richtung Süden. Er durchquerte gerade im Dunklen die Einöde, die immer wieder von hohen Ansammlungen von verfilzten Büschen unterbrochen war. Es war eine klare Nacht und die Sterne funkelten am Himmel. Es war stockfinster. In einiger Entfernung sah er mehrere Lichter, die sich bewegten. Sie waren auf der alten Straße. Er näherte sich langsam der Straße und versteckte sich in den hohen Büschen, die sich am Wegesrand befanden. Gerade noch rechtzeitig. Mit einem Mal liefen zwei Menschen an ihm vorbei. Eine Mann und eine Frau schauten panisch nach hinten. Gar nicht weit dahinter folgten ihnen vier Rudelmitglieder.
Sie schienen den Mann und die Frau wie bei einer Jagd zu hetzen. In zehn Meter Entfernung fiel der Mann hin. Wahrscheinlich vor Erschöpfung. Die Frau schrie panisch auf und versuchte ihrem Mann hoch zu helfen. Vergebens. Die Raider hatten sie erreicht und lachten höhnisch. Zwei von ihnen versahen den Mann mit heftigen Tritten und Schlägen. Die beiden anderen nahmen sie die Frau vor. Der eine hielt sie von hinten fest, während der andere sich von vorne körperlich an der Frau zu schaffen machen wollte. Blue beobachtete die Szene und vergaß sich fast dabei. Durch die letzten Ereignisse war Blues Geduldfaden bei solchen Dingen extrem kurz geworden. "Ich werde *wütendes inneres Schnaufen* diese Vier umbringen ... sie zerquetschen ... sie zertreten ... Ich werde diesmal nicht mehr zusehen ..." Blue zielte auf den Kopf des Raider, der gerade dabei war der Frau die Kleider vom Leib zu reißen.
Getroffen durch den Schuss aus dem Scharfschützengewehr zerbarst der Kopf des Raiders wie ein überreife Melone und Blut und Hirnmasse spritze in alle Richtungen. Die restlichen Raider schauten überrascht und die Frau brach zusammen. "Welche verdammte Mistsau war das? Das kam von da hinten aus den Büschen. Den machen wir fertig und verfüttern ihn dann an unseren Yao-Guai." Blue hatte sich tiefer in die Büsche zurückgezogen. Durch seine weitestgehend dunkle Kleidung und seine Hautfarbe war er zunächst nicht auszumachen. Die Raider waren angekommen. "Ich gehe hinein und scheuche ihn raus. Nach hinten wird er nicht gelaufen sein, das hätten wir gesehen. Ihr beiden fangt ihn ab." Die beiden nickten. Der Raider trat in das Gebüsch und hatte Blues Stelle fast erreicht. Plötzlich merkte der Raider, wie ihn irgendetwas mit großen Händen packte. Er wollte gerade losschreien, als er einen massiven Schmerz im Rückgrat spürte. Anschließend war der Raider tot.
Die beiden anderen merkten nach einem Moment, dass etwas nicht stimmte. Plötzlich klirrte es und die Kerze in der Laterne, die die Raider mit dabei hatten erlosch. Sie standen im Dunklen. Sie versuchten zu verstehen, was gerade passiert, als der nächste Raider plötzlich von zwei großen, wegen der Dunkelheit nur schemenhaft zu erkennenden Händen in die Busch gezogen. Man hörte ein "Oh Scheiße ...." und darauf folgte ein Geräusch, dass so klang, als würde mehrere Knochen gleichzeitig brechen. Dann trat wieder Stille ein. Der letzte verbleibende Raider stand schockstarr und mit Schweißperlen auf der Stirn vor den Büschen. Er drehte sich um und wollte gerade Richtung Straße losrennen. Plötzlich merkte er einen stechenden Schmerz in der Kniekehle und fiel längs hin. Wenigen Sekunden später hielt ein eisener Griff seine Beine fest und der Raider merkte wie er ins Gebüsch gezogen wurde. Er schrie dabei panisch auf.
Im Gebüsch angekommen merkte er ein massives Gewicht auf einen Teil seiner Wirbelsäule. Wie von einem ziemlich großen, mit Schuh versehen Fuß. Das Gewicht nahm immer weiter zu. Einen kurzen Moment später gab es ein grässliches Geräusch. Der letzte Raider war tot. Der Mann und die Frau schauten ängstlich in die Richtung der Büsche, worin die Raider verschwunden waren. Hier draußen war es totenstill.