429. Ungewollter Nachfolger
Mitte Dezember 2289. Ostküste. Commonwealth. Institut.
Der Institutsdirektor zupfte sich seinen Institutsanzug zurecht. Seine Hand zitterte sichtbar dabei. Seine Erkrankung war die letzten vier Wochen etwas langsamer fortgeschritten als berechnet, aber die regelmäßigen Gaben des Mittels, dass ihn unter der Kontrolle von Dr. Ayo hielt, schwächten seinen Körper und Geist zusätzlich. Es war nun nur noch die Frage von einigen wenigen Wochen, dass ihm das Ende seines Lebens bevorstand. Müde stützte er sich nach einem weiteren Schwächeanfall mit seiner Hand auf seinem Schreibtisch ab. Heute war es so weit. Er würde seinen Nachfolger offiziell mitteilen.
Einen denen er niemals selbst ausgewählt hätte, aber genau der würde ab morgen die weiteren Geschicke des Instituts leiten. Sein eigener Wille war nur noch ein kleiner Funken, der kurz vor dem endgültigen Verlöschen stand. Langsam glitt der Rest seines Willens zu dem Tag, an dem er durch fast übermenschlicher Anstrengung einige wenige Worte auf ein Holoband sprach. Eines, das er später an Blue aushändigte. In der Hoffnung, dass der die richtigen Schlüsse zog. Dieser FEV-Mutant gehört für Vater einfach ins Institut. Zu einem aufgrund seines Wissens und einer vorrausschauenden Art, die Shaun immer noch sichtlich beeindruckte. Fähigkeiten, die nach Meinung des Institutsdirektors an der Oberfläche des Commonwealths immer noch total vergeudet war.
Er war sich ziemlich sicher, dass Blue ebenfalls die Wichtigkeit des Instituts erkannt hatte und es nur eine Frage der Zeit war, bis er zurückkehrte. Zum anderen könnte er vielleicht der Schlüssel zur weitesgehend Zähmung des FEVS sein. Nur wenige Nachteile der Transformation waren bei ihm sichtbar gewesen. Dr. Holdren und Dr. Volkert hatten damals mit wachsender Begeisterung über den besonderen Gast berichtet. Zwar war durch die Zerstörung der FEV-Daten durch Dr. Virgil vieles verloren vergangen, aber man konnte die Forschung durchaus nochmal neu aufsetzten. Dafür waren die Möglichkeiten des FEVs einfach zu fantastisch. Das würde dem Institut ganz neue Möglichkeiten eröffnen.
Das kurze Abdriften in seine eigene kleine Gedankenwelt verschaffte Shaun wieder ein wenig Kraft und er richtete sich wieder auf. Er kontrollierte seine Kleidung erneut. Es war die letzte Versammlung, die er als Institutsdirektor hielt. Danach würde er in den Krankenbereich des Instituts gebracht und dort seine letzten Tage in einem speziellen Bett verbringen. Der ganze Prozess wurde natürlich beobachtet. Bis zuletzt dienten die Institutsmitglieder dem großen Ganzen. Langsam machte er sich auf dem Weg und zwei Runner begleiteten ihn dabei. Einen Moment später betrat er den Beratungsraum des Instituts. An einem langen ovalen und im typischen Weiß des Instituts gehaltenen Tisch saßen die Leiter der vier großen Abteilungen. Auf der linken Seite saßen Dr. Holdren und Dr. Li. Auf der rechten Dr. Binet und Dr.Ayo. Die Leiter der kleineren Abteilungen saßen auf aus weichen Sitzen, die man aus der Wand ausklappen konnte. Gespannt sah man den Institutsdirektor an. Vater begrüßte sie alle mit einem freundlichen Lächeln und nahm Platz am Kopf des Tisches. Ruhig betrachtete er die Runde. Keine Faser seines Gesichts verriet seine Gedanken. Kurz genoss er die fragende Stille.
"Liebe Kollegen, ich habe Ihnen alle heute eine gleichzeitig betrübliche als auch erfreuliche Nachricht mitzuteilen. Mir ist bekannt, dass einige Gerüchte bezüglich meines Gesundheitszustandes durch die Flure des Instituts geistern. Nun, ich werde Ihnen die derzeitige Situation erläutern. Ich bin an einer nichtheilbaren Form eines Malignoms erkrankt. Zu Erläuterung für unsere Kollegen, die nicht aus dem Bereich der Bioscience stammen, ich habe Krebs im Endstadium. Da mein Gesundheitszustand es langsam nicht mehr zulässt, das Institut mit der dafür angemessen Effizienz zu führen, werde ich meinen Nachfolger benennen." Vaters Worte lösten bei einigen der Anwesenden Betrübnis aus, andere nahmen es wortlos auf. Für sie war es der normale Kreislauf im Institut.
Natürlich waren alle gespannt, welche von Ihnen diesen ehrenvollen Platz einnehmen durfte. Für viele im Institut war es eine besondere Auszeichnung ihres unermüdlichen Einsatzes. "Ich muss ehrlich gestehen, dass es diesmal außerordentlich schwierig war, einen geeigneten Nachfolger zu wählen. Alle Bereiche haben sich diesmal mit überragenden Leistungen positioniert. So dass ich beinahe genötigt war, fast schon einen wissenschaftlichen Rat zu bilden." scherzte Vater kurz und viele der Anwesenden war der Stolz im Gesicht anzusehen. Dann wurde er wieder ernst.
"Auch wenn so eine Sache Ihrem Einsatz gerecht würde, sind unsere Statuten doch recht valide und gut ausgearbeitet, was das betrifft. Es würde unsere Forschungseffizienz reduzieren, was nicht akzeptabel ist. Daher möchte ich Ihnen allen die Person verkünden, die dafür in Frage kommt. Es wird Dr. ... " Vater machte eine Sprechpause. Viele der anwesenden Institutsmitglieder vermuteten dahinter, dass der alte Institutsdirektor den besonderen Moment seiner Entscheidung herausstellen wollte. In Wirklichkeit war es ein letzter Versuch sich gegen die Kontrolle des Medikaments aufzulehnen. Shaun schaffte es aber nicht mehr, so dass ein Name über seine Lippen glitt, den er in den letzten Wochen hassen gelernt hatte.
Dann brach der Widerstand bei Shaun zusammen. Er fuhr so fort, wie es ihm Dr. Ayo in ihren vorherigen gemeinsamen Gesprächen auftrug. "Ich habe mich für Dr. Ayo entschieden." Kaum das Vater den Namen ausgesprochen hatte, war bei einigen das vorherige Lächeln verschwunden. In einigen Gesichtern gar Furcht sichtbar. Ohne darauf zu achten, fuhr Vater mit seiner Begründung fort. " Es stehen dem Institut aufregende Zeiten und Entwicklungssprünge bevor. Sobald wir den Zugriff auf die langverlorene Technologie von Mass-Fusion erlangt haben. Im Moment blockieren uns zwar leider die Barbaren der stählernen Bruderschaft, aber das SRB wird dafür sorgen, dass sie zu uns gelangt. Bei den anstehenden Veränderungen und der Anwesenheit der Bruderschaft war es für mich von besonderer Relevanz, dass zu jederzeit das Institut ausreichend gegen Gefahren von der Oberfläche geschützt ist. Dr. Ayo, ich beglückwünsche Sie zu ihrem neuen Aufgabenbereich."
Der Leiter des SRB spielte den Überraschten. "Das ist ... mir eine besondere Ehre ... nun das Institut leiten zu dürfen. Diese Ernennung ... sie kommt wirklich unerwartet. Wir waren in letzter Zeit ziemlich uneins, was Sicherheitsaspekte des Instituts betraf ... Danke. Ich werde Sie und die anderen Institutsmitglieder nicht enttäuschen." Dr. Ayo spielte seine Rolle nach außen hin überzeugen. Viele der Anwesenden reagierten nach Vaters logisch klingenden Entscheidung doch mit verhaltener Freude. Selbst Dr.Binet, der unter den Verdächtigungen des SRB häufig zu leiden hatte, sah die Wahl in einem positiven Licht. Einzig und allein blieb Dr. Holdren skeptisch. Insgeheim hasste er Dr. Ayo. Seine ganze Art war ihm zuwider und genauso wie Vater hielt er ihn für den Posten ungeeignet. Es fiel ihm unendlich schwer diese Tatsache zu akzeptieren.
Der Rest der Abteilungsleitungen gratulierte Justin Ayo persönlich zu seinem neuen Posten als Institutsleiter. Shaun verließ dabei den Raum und die beiden Runner begleiteten ihn zum Krankenbereich des Instituts. Shaun fühlte sich unendlich müde. Im Inneren seiner Seele war er beinahe froh, dass er bald in den ewigen Schlaf fiel. So bekam er wenigstens nicht mit, wie Justin Ayo dem Institut massiven Schaden zufügen würde. Es beschäftigte den ehemalige Institutsdirektor immer noch, dass ein Institutsmitglied zu so einem hinterhältigen Handeln fähig sein konnte. Sowas schrieb man den Oberflächenbewohnern zu.
Während Shaun geschlagen den Rückzug antrat, war es für Justin Ayo der beste Tag seines Lebens. Endlich und wohlverdient war nun unter den Ayos ebenfalls ein Institutsleiter. Er genoss diesen großartigen Tag und würde den anderen Abteilungen bald zeigen, dass er mehr in der Lage war das Institut zu führen. An anderer Stelle wurde die Ernennung von Ayo bereits heftig diskutiert. "Diese Ernennung ... ich kann das einfach nicht glauben ... Shaun ... er war immer dagegen ... woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel ... war sein Geist doch bereits so angegriffen ... dass er ausgerechnet diese Wahl getroffen hat. Ich zweifle die Rechtmäßigkeit der Entscheidung an. Wir sollten uns etwas einfallen lassen, dass diese Wahl auf den Prüfstand kommt, liebe Kollegen." Einige aus der Gruppe stimmten Dr. Holdren zu, andere gaben zu bedenken, dass es durchaus ungeahnte Konsequenzen geben konnte, wenn man den gerade neu gekürzten Institutsdirektor in Abrede stellte. In der Geschichte des Instituts kamen solche Uneinigkeiten vor, aber das letzte Mal lag schon eine lange Zeit zurück.