389. Die Schlacht um Lost Hills VI
Drake schien einen Moment zu überlegen, bevor er dem Ältesten auf seine Frage antwortete. "Es geht nicht darum, um einen einfachen Weg zu gehen, sondern einen, der sich aus Moral und Anstand gehört, Ältester. John und ich hielten es für geboten unseren Verbündeten zu helfen. Auch wenn der Hilferuf nicht an uns gerichtet war. Die stählerne Bruderschaft hat uns damals bei unseren zweiten inneren Unruhen ohne langes Zögern unterstützt. Viele unserer Freunde und Bewohner wären wahrscheinlich in diesen unruhigen Tagen gestorben. Wäre die Bruderschaft nicht dort gewesen. Auch wenn ich mich selbst an die Geschehnisse nicht mehr erinnern kann."
Drake sah während des Sprechens auf irgendeinen Punkt vor ihm. "Und ich nenne es mal "persönliche" Differenzen blende ich bei solchen Entscheidungen aus." Dann blickte er den Ältesten ernst an. "Warum ich hier selbst bin? Zwei Worte. Dankbarkeit und Unterstützung persönlicher Art. Ihre Leute haben mir damals das Leben gerettet *tiefes Seufzen* ... wobei ich mir in letzter Zeit nicht sicher bin ... ob ein anderer Verlauf nicht besser gewesen wäre. Außerdem lasse ich Menschen, die ich als Freunde betrachte nicht im Stich und unterstütze sie nach Kräften. Auch wenn das im Moment nicht auf Gegenseitigkeit beruht." brummte er. "Ich ... verstehe." Bardeen stand auf, ging zu Drake hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. Drake drehte den Kopf irritiert zu Bardeen.
"Danke. Ohne diese bemerkendwerten innere Einstellung und Nachsichtigkeit wäre das heute das Ende für Lost Hills gewesen. Ich sollte endlich anfangen, in Ihnen das zu sehen was, was Sie für uns auch sein sollten. Ein guter Freund und Kamerad. So wie es schon einmal zwischen uns beiden war. Ich würde gerne mit Ihnen ... dir einen freundschaftlichen Neuanfang wagen. Ich habe mir fest vorgenommen etwas bei uns zu ändern ... in einigen Dingen sollte ich es als Ältester sein, der es als Erster tut ... gerade nach dieser Katastrophe." Bardeen hielt müde, aber hoffnungsvoll Drake die Hand hin. In seinem Gesicht war für einen Moment so etwas, wie Freude zu sehen, aber der Ausdruck verschwand fast wieder augenblicklich.
"Haben Sie ... Hast du dir das gut überlegt? Ich ... würde mich freuen, wenn es wirklich von Herzen kommt und wir wieder im Ansatz wie früher miteinander umgehen könnten... aber ich will dich warnen ... auch wenn ich von meiner Seite ... meinen Freunde immer zur Seite stehen werde ... trage ich dennoch eine Gefahr in mir ... mit der ich mal mehr, mal weniger zu kämpfen habe ... die mich in manchen Situationen ... nicht mich selbst sein lässt. Bist du bereit, dass bei deinem Freundschaftsanliegen mit zu berücksichtigen?" Drake wandte dabei den Blick ab und schaute wieder in die Ferne. "Ja, das werde ich. Gerade aufgrund der heutigen Ereignisse. Ich weiß durch Gespräche mit John um die Dinge, die bei euch vor einiger Zeit passiert sind. Die Enklavebasis. Die Folter und ... alles weitere. Wir beide pflegen mittlerweile ein sehr ehrliches und freundschaftliches Verhältnis ..." Drake schnaufte kurz auf.
Bardeen unterbrach sich und schaute fragend. "Gut ... verstehe ... John wollte wohl, dass du bei allen Eventualitäten, die auftreten könnten mit informiert bist ... kann ich ihm nicht übelnehmen." brummte Drake mehr zu sich als zum Ältesten. Anschließend sah er wieder zu Jeremiah hin. "Auch wenn es momentan nicht so aussehen mag, ich freue mich sehr über diesen Schritt. Ich brauche in diesen ganzen Dingen im Moment Zeit. Das, was euch passiert ist ... es beschäftigt mich in mehrerlei Hinsicht ... auch in der Sache, was ich selbst bin ... aber das ist etwas, dass ich für mich abschließen muss. Danke Jeremiah." Er streckte ebenfalls seine Hand aus. Jeremiah packte ohne Scheu zu und drückte Drakes Hand ohne weiteren Worte. Beiden standen sich so einen ganzen Moment gegenüber. Fast gleichtzeitig huschte ein leichtes Lächeln über die beiden Gesichter, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.
So erneuerten beide ihre Freundschaft, die durch Darkhollow beinahe ein Ende gefunden hatte. Obwohl die stählerne Bruderschaft an diesem Tag durch den brutalen Angriff der Supermutanten sich am Ende ihrer Existenz befand, war es ein ebensolcher, der sie mit Hilfe seiner Leute vor den sicheren Absturz in Vergessen bewahrte. Die nächsten zwei Tage blieben die Silver Dragons vor Ort und brachten einen großen Teil der restlichen Bruderschaft mit Hilfe der Vertibirds in den Lassen. Lost Hills war im Moment nicht mehr bewohnbar und einige der Bunkerbauspezialisten der Silver Dragons begannen die Schäden des Hauptquartiers der Bruderschaft ausgiebig zu begutachten. Bardeen war bis zuletzt vor Ort geblieben und hatte die letzten Tage kaum geschlafen.
Am Morgen des dritten Tages nach dem Angriff brachte man ihn mit einem weiteren Vertibird Richtung Lassen. In dem kleinen Stützpunkt der Bruderschaft am Lassen fand die schwer angeschlagene Bruderschaft nun ihr vorläufiges Quartier. Im Lassen wertete man mittlerweile die ersten Erkenntnisse zum Lost Hills Bunker und zum erfolgten Angriff aus. Der Bunker war zwar massiv beschädigt worden, aber noch reparabel. Allerdings würde die Reparatur eine lange Zeit beanspruchen. Die Geräte, die man beim Bau im Lassen einsetzte, konnte man aufgrund der unterschiedlichen Konstruktionsweisen der Bunker nicht nutzen. So blieb nur eine langsame und aufwendige Instandsetzung. Was den Herkunftsort der Supermutanten betraf, konnten keine hilfreichen Schlüsse gezogen werden. Ihre Spur zog sich zwar tief ins Ödland, aber verblasste dann soweit, dass man mit der Suche nicht weiter kam. Zur Allgemeinen Beunruhigung.
Zehn Tage später. Weihnachten 2283. Bruderschaftsquartier am Lassen
Der Älteste ließ sich gerade auf die in Stein gehauene Bank nieder, als ihm zwei vertraute Gesichter entgegenblickten. Die, von denen er kaum noch gehofft hatte, sie noch einmal lebendig zu sehen. Sie sahen zwar noch müde und ein wenig blass aus, aber sie lächelten. "Paladin Torro und Trian! Ich bin überaus erfreut, dass Sie die Krankenstation wieder verlassen können. Wie fühlen Sie beiden sich?" fragte Bardeen sichtlich erfreut. "Ad Victoriam, Ältester. Wenn ich für mich spreche, den Umständen entsprechend gut. Allerdings bin ich noch nicht vollständig einsatzfähig, wollte aber nicht länger tatenlos herumsitzen. Ich musste Dr. Darper versprechen nur leichte Dienste auszuführen. Leider sind noch keine Feldeinsätze drin." sagte Torro als erster.
"Ihre Einsatzbereitschaft ist lobenswert, aber Sie werden sich noch ein paar Tage Ruhe gönnen, mein Junge. Erkunden Sie ein wenig den Lassen. Es ist lohnenswert. Im Moment scheinen unsere Verbündeten eines der alten Weltfeste zu begehen." Der Älteste kratzte sich kurz nachdenklich an seinem Kopf. "Sie nennen es Weihnachten, glaube ich. Es werden dabei kleine Aufmerksamkeiten an die Familie verschenkt. Es ist wirklich interessant. Die nächsten Tagen werden wir uns weiter erholen. Ich werde Ihnen Bescheid sagen, wenn ich Ihre Anwesenheit benötigt." Torro schaute einen Moment fast ein wenig enttäuscht, akzeptierte aber den Vorschlag des Ältesten, da er diesem insgeheim mit der Ruhe Recht gab. Noch war er weit davon entfernt, fit zu sein. In Lost Hills kämpfte Torro gegen einen Supermutanten, der es tatsächlich durch die größeren Lüftungskanäle geschafft hatte. Er tauchte plötzlich mit einem martialischen Schrei in der untersten Ebene auf und landeten bei dem erst völlig unvorbereiteten Torro einige harte Treffer, bevor der in die Gegenoffensive gehen konnte.
Torro verabschiedete sich wie immer protokollgerecht vom Ältesten und verschwand in der Zuflucht. Trian stand noch beim Ältesten. "Ad Victoriam, Ältester. Ich habe nicht gedacht, dass wir uns noch einmal sehen. Ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen." sprach Trian langsam. Er hatte immer noch Schmerzen von den Verletzungen. "Ich weiß. Deshalb bin ich doppelt so froh, Sie hier wieder stehen zu sehen. Sie sind buchstäblich in letzter Sekunde gerettet worden. Von einem guten Freund." Trian nickte. "Ich wollte nur, dass Sie wissen das ich wieder unter den Lebenden bin. Jetzt werde mich auf den Weg zurück zur Krankenstation aufmachen. Der gute Doc Darper hat mir eine kurzen Spaziergang erlaubt, ansonsten soll ich das Bett noch ein paar Tage hüten." rechtfertigte sich Trian kurz. "Danke Paladin, dass Sie sich die Mühe gemacht haben. Ich werde Sie die nächsten Tage ebenfalls besuchen kommen."
Der Älteste blieb noch eine ganze Zeit sitzen. Im Moment wirkte der Zustand der stählernen Bruderschaft irgendwie merkwürdig unwirklich auf ihm. Von einem ehemals starken und nicht zu unterschätzenden Machtfaktor an der Westküste war nicht mehr viel geblieben. Jetzt waren sie auf den Schutz und die Hilfe ihres Verbündeten angewiesen. Bardeen fragte sich zwischenzeitlich, wie lange das so bleiben würde. Sein Gedanken lagen aber in der Hauptsache bei dem Zustand seiner Leute. Sie mussten erst einmal wieder auf die Beine kommen. Immer noch lag ein ansehnlicher Teil von Ihnen auf der großen Krankenstation im Lassen und wurde dort sehr fachgerecht behandelt. Er ließ den Blick zum Haupteingang schweifen und war wie so oft, immer noch beeindruckt von der Konstruktion.
Nach längerem Hinsehen nahm er wahr, dass wohl noch jemand in Richtung der Zuflucht unterwegs war. Nach einem Moment wurde auch deutlich, wer das war. Schon aufgrund der Größe und Statur konnte man Drake sehr gut auf Entfernung erkennen. Die letzten zehn Tage waren Bardeen und er kaum in Kontakt gekommen, da auf beiden Seiten allerhand zu tun war. Drake war fast angekommen. Sein Gesicht war wie fast immer nachdenklich und wirkte bisweilen ziemlich brummig, was durch die leicht heruntergezogenen Mundwinkel, wie sie häufig bei den Supermutanten vorkamen, noch verstärkt wurde. Er steuerte direkt auf den Ältesten zu.