Schweigend sass Peaches auf der Mauer von Freeside. Er überblickte von hier fast den ganzen Tumult. Die RNK hatte die Tore jetzt so gut wie erreicht. Viele standen schon unter ihm und verbarrikadierten weiter den Eingang. Peaches wusste nicht wie es um das andere Tor stand. Sollte Victor seine Leute auch von da angreifen lassen, war das ganze sowieso zwecklos.
Neben ihm sass Cosmo. Pete hatte sich von ihnen getrennt. Er wollte zu Quinn gehen. Peaches bezweifelte das. Der junge Kerl hatte einfach Schiss und wollte weg.
Stumm sassen beide da. Peaches beobachtete einen der Raider, wie er zwischen den RNK Soldaten hin durch rannte. Kurz darauf blieb er stehen und sah sich um. Er hatte die üblichen rostigen Rüstungsteile an einer Schulter und zwei Beinen, zerrissenen Kleidung, und eine Frisur die man nicht mal seinem schlimmsten Feind wünschte. Emotionslos folgte Peaches' Blick dem Kerl. Er schoss einige male in die Richtung der Feinde, doch offensichtlich nur zur Tarnung. Der Raider wirkte nervös, was weniger auffiel, da da unten jeder nervös war. Victors Soldaten kamen unaufhaltsam näher. Erst als Peaches sah wie der Raider an einem RNKler vorbei schlich, sich wieder zu ihm umdrehte, sich umsah, ihn von hinten packte und hinter einen Truck schleppte, seufzte Peaches. Wie ich dieses Dreckspack hasse... Der Raider stach dem Soldaten in den Hals, mehrere Male, und wurde dabei selbst mit Blut bedeckt. Erst als der Soldat mehr als tot war, stand der Raider auf und machte sich wieder daran gegen den wahren Feind zu kämpfen. Was auch immer in den Köpfen dieser Bastarde vor sich ging, Peaches begriff es nicht.
Cosmo blieb so stumm wie er. Peaches hätte ihm nicht verübelt, hätte Cosmo damit gedrängt den Leuten da unten zu helfen und sich in den Kampf zu stürzen, doch das tat er nicht. Aus dem selben Grund wie auch Peaches sich hier oben tatenlos hingesetzt hatte, war auch Cosmo hier. Sie hatten beide jemanden zu beschützen und keiner von ihnen wusste was mit ihren Angehörigen geschah wenn sie tot waren. Wer würde sich um Rene und Simon kümmern? Und wer um Jenny? Obwohl Cosmo ein schlechtes Gewissen hatte weil er so dachte, traute er es seinem einzigen noch lebenden Bruder nicht zu, Jenny zu betreuen. Ja, er schämte sich regelrecht dafür, doch ändern konnte er es eben auch nicht. Deshalb sass er hier mit Peaches. So egoistisch diese Aktion auch war...
„Warum sind wir eigentlich noch hier?“ fragte Cosmo resigniert.
„Weil wir erst verschwinden können, wenn die Lage sich beruhigt hat.“ gab Peaches zurück der an den Rest seiner Truppe dachte. Er wusste nicht wo sie alle waren und ob sie noch lebten. Aber er würde nicht einfach gehen ohne das überprüft zu haben. Was Cosmo hier hielt wusste er nicht.
„Du könntest dir Jenny schnappen und gehen. Keiner würde dir das übel nehmen.“ sagte Peaches, weiter das Schlachtfeld beobachtend.
„Ausser Tom.“ erwiderte Cosmo trocken. Doch Peaches schüttelte den Kopf.
„Selbst er nicht.“
„Kennst du ihn so gut wie ich?“ ohne einen Vorwurf in der Stimme, sah Cosmo Peaches an. Dieser lächelte humorlos.
„Das ist eine schwierige Frage.“
„Hast recht.“ Es war eine schwierige Frage. Wer kannte schon den Unterschied zu damals und heute?
„Aber ich glaube, er könnte sich damit abfinden.“ Peaches sprach die Wahrheit. Wenn Cosmo sich jetzt mit Jenny aus dem Staub machte und die Heimreise antrat, immerhin waren sie beide nicht von hier, würde Knox sich eine Weile Vorwürfe machen. Aber spätestens dann wenn er verstanden hätte, das es das beste für sie beide war, käme er damit klar. Zumindest war Peaches dieser Überzeugung.
„Selbst wenn... Jenny könnte es nicht.“ Darauf hin schwieg Peaches einen Moment.
„Das kann ich nicht beurteilen.“
Cosmo stütze sich auf sein Gewehr und betrachtete die noch lebenden Toten unter ihnen.
„Willst du die Geschichte hören?“ leicht überrascht sah Peaches zu dem breitschultrigen Mann neben ihm. Erst war er unsicher, doch was hatten sie sonst zu tun?
„Nur zu.“
Cosmo schwieg nachdenklich ehe er die Erzählung mit seiner trübsinnigen Stimme begann.
„Als wir Thomas verloren war Jenny neun oder zehn. Und sie war verdammt untröstlich. Genauso wie Brian und ich. Schliesslich trugen wir die Schuld. Mom war schon fünf Jahre tot und Dad... Er hatte nie viel übrig für Tom. Er zeigte das nicht offen aber wir alle wussten das. Auch Thomas wusste es und manchmal fragte er uns sogar danach. Wir antwortete ihm natürlich dass das nichts ist. Er ist ein grimmiger alter Herr der seine Frau an eine Krankheit verloren hat. Mehr nicht. Aber wir wussten es... Das zeigte sich in sofern, dass Dad Brian und mich, bevorzugt behandelte. Wir waren keine Glückskinder oder so was, wir wurden genau so für Missetaten gestraft, aber es war deutlich zu spüren dass sein Interesse Thomas gegenüber deutlich geringer war. Es war ihm zwar nicht egal was Tom tat, aber Strafen fielen oft härter aus und Fürsorge tendierte gegen null. Das allerdings erst nachdem Mom gestorben war. Und das hatte einen einfachen Grund den Thomas nicht kannte und bis heute nicht weiss.“
Peaches sah zu Cosmo herüber. Er konnte sich nicht vorstellen was er da jetzt raus hauen würde. Er würde seinem Sohn Simon niemals die Gefühle verlieren, egal was passierte. Niemals.
„Thomas ist nicht sein Sohn.“ fügte Cosmo an und erweiterte: „Genaugenommen ist er auch nicht unser Bruder.“ Peaches runzelte die Stirn, schwieg aber.
„Als er noch klein war, keine Ahnung, zwei, drei Jahre, hat Mom ihn adoptiert. Unser Vater war nicht besonders Glücklich darüber aber er konnte ihr auch keinen Wunsch abschlagen. Also riss er sich für sie zusammen. Seine Zuneigung wuchs nicht unbedingt als man herausfand, dass was mit seinem Kopf nicht stimmt. Und später, als Teenager und Rebell, wars sowieso vorbei. Dazu kam, dass wir unsere Mutter verloren. Tom hatte ab da keine Bezugsperson mehr. Mit Dad konnte er nicht reden, geschweige denn einen Rat erwarten. Und er wusste nicht einmal warum. Also blieben nur noch Brian und ich übrig.“ Cosmo lachte mürrisch und Peaches verstand.
„Obwohl wir alle, Tom etwas intensiver, bei dem Psychologen Dr. Shield in Behandlung waren, hauptsächlich wegen Moms Tod, half dies Tom nur bedingt. Was sein Gedächtnisproblem anging, half es gar nicht. Klar macht der Doc ihm die Hoffnung und lies ihn Buch über sein Leben führen. Aber wenn du mich fragst, war das Bullshit. In dem Buch steht kaum irgendetwas was wirklich zeigte wie Thomas drauf war... Weisst du warum Thomas diesen Schaden im Geherin hat?“ Peaches schüttelte trotz der Rhetorik in dieser Frage den Kopf. „Sein richtiger Dad, war ein heruntergekommener, kreuzdebiler Mistkerl. Tommy kam zur Welt, seine richtige Mutter starb und der Mann, dessen Name echt die Luft nicht wert ist, blieb auf dem Kind sitzen. Es war wirklich ein Wunder dass Thomas das überlebt hat. Der Pisser hatte nämlich ganz eigene Methoden das Baby ruhig zustellen...“ Cosmo pausierte kurz um nach Worten zu suchen. „Reicht es wenn ich sage, dass der Kerl vierundzwanzig Stunden am Tag high wie ein Drache war?“ Peaches fing Cosmos leicht zornigen Blick auf und nickte stumm. „Und was so einer für Ideen hat um ein schreiendes Baby zu beruhigen...“ Angewidert schüttelte Cosmo den Kopf. „Es ist einfach ein verdammte Schande.“ knurrte er. „Mom fand das heraus und konnte nicht widerstehen ihn unter ihre Fittiche zu nehmen. Was gut war...Und ich weiss nicht obs an dem Arschloch gelegen hat oder einfach an seiner allgemeinen Situation, dass Thomas später so anfällig auf Rauschmittel war...“ Cosmos machte eine Pause. Unter ihnen ging der Lärm weiter.
„Ich weiss auch nicht. Jedenfalls entwickelte Jenny eine merkwürdige Faszination für ihn. Sie war kaum zehn Jahre alt doch folgte ihm überall hin wenn sie konnte und durfte. Sie war nur ein Kind. Sie schenkte Tom ihre ganze Aufmerksamkeit, immer und immer wieder. Sie lernte wie sie sich verhalten musste damit dieser nicht das Gefühl bekam dass sie ihm auf die nerven ging. Es kling absolut verrückt wenn ich das so sage. Du musst dir nur mal vorstellen, ein siebenjähriges Mädchen und ihr vermeintlicher zehn Jahre älterer Bruder. Es war nicht so dass Tom mit ihr im Sandkasten gespielt hätte oder sonst was Kindgerechtes. So was war eher selten. Thomas traf sich meist mit den Jungs die er über Brian und mich kennengelernt hat zum saufen. Die meisten älter als er. Er duldete Jenny und seine Kumpels mussten das auch tun.“ Brian schüttelte unterstreichend den Kopf. „Jenny fühlte sich bei Tom erwachsen und gross und Tom... ich äh... will nicht behaupten dass sie ihm im Grunde egal war... das bestimmt nicht... immerhin gab sie ihm das Gefühl wertvoll zu sein. Zumindest für sie. Ich weiss gar nicht wie ich diese Beziehung zwischen ihnen richtig beschreiben soll.“ Cosmo dachte nach. „Sie verhielten sich nicht abartig, sie waren Bruder und Schwester aber...“ Wieder suchte er die richtigen Worte. „Ich will einfach nur sagen...“
„Du willst sagen dass Knox... also Thomas, obwohl er Jenny als seine Schwester liebt und sicherlich nur das beste für sie will, nicht im Stande ist wirklich auf sie aufzupassen.“ Half Peaches und nickte als Cosmo zustimmte.
„Das ist meine Meinung. Jenny würde dem nie zustimmen. Und Tom auch nicht.“
„Verstehe.“ Peaches überblickte die Gegend. Er konnte sich gut Vorstellen das Knox so war wie Cosmo das schilderte. Knox würde sich zwar anders beschreiben, aber er sah nicht das was Aussenstehende sahen. Das beste für jemanden zu wollen, aber sich nicht zugestehen können, dass man nicht in der Lage war das zu ermöglichen, war... Peaches fragte sich eher was wäre, wenn er raus fand das sie gar nicht verwandt waren. Er schüttelte den Gedanken ab. Cosmo lachte ein bisschen.
„Bestimmt könnte Brian noch viel mehr und besser darüber reden. Wenn Tom Probleme hatte, über die er auch reden wollte, dann war Brian sein Mentor.“ Cosmo schien bei diesen Worten wieder sehr traurig. Es kehrte Stille zwischen den beiden ein. Doch sie brach als Cosmo zu greinen begann und Peaches mitfühlend den Kopf senkte.
Erst als er den Wagen vorfahren sah, hob Peaches wieder den Kopf. Und als er erkannte wer ausstieg, klopfte er kurz mit dem Handrücken gegen Cosmos Oberarm. Dieser sah auf. "Los komm." sagte Peaches und stand auf.
"Wir fahren jetzt zu den Typen die das Sagen haben, hauen ihnen die Wortfolge auf den Tisch und dann wird denen schon was einfallen." Knox war zuversichtlich und eine gewisse Vorfreute machte sich in ihm breit als er daran dachte wie er nach diesem ganzen Scheiss endlich ausruhen durfte. Er erinnerte sich daran, sich schleunigst von der RNK zu einfernen wenn die Sache erledigt war. Nicht das sie ihn nochmal einbuchteten. Anders als Peaches, der wegen Erpressung ins Gefängnis gewandert war, wurde Knox wegen Mord angeklagt. Aber wenn es nach ihm ginge, hatte er die Strafe unten in der Vault mehr als gebüßt.
Ripo redete die ganze kurze Fahrt über wie ein Buch. Doch Knox hörte gar nicht zu. Erst als er anhielt, schwieg er. Er schien zu begreifen wo er war und sein großes Ego wurde wieder ganz klein. Knox stieß die Tür auf und stieg aus. Neben ihm kam Dust zu stehen. Sie sahen sich an, nickten sich zu und betraten das Zelt.
Gleich vier Leute drehten sich zu ihnen um. John, Ripo und Knox blieben im Raum stehen. Sie erwarteten gefragt zu werden was passiert war, außer Knox. Er blickte in ein vertrautes Gesicht ohne die Mine zu verziehen. Innerlich dachte er nur: "Ach verdammt..."
"Gibt es etwas zu berichten?" fragte einer der RNK Hauptmänner. Aber niemand dachte daran zu antworten. Es war einfach zu spannend zu sehen, was der Ranger, der richtige Ranger, vor hatte, als er die kurzen Schritte auf Knox zu ging. Selbst Knox war gespannt. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen was jetzt passierte. Also sah er auch die Faust nicht kommen die ihn kurz darauf unter dem linken Auge traf. Er taumelte zurück und wurde halbwegs von Ripo aufgefangen, fiel aber trotzdem hin. Darauf hin wurde es kurz laut. Dust verteidigte Knox und die RNK Leute wollten den Ranger zurückhalten. Doch dieser hatte gar nicht vor wild um sich zu schlagen. Dieser eine Faustschlag war alles. Und als die Umstehenden das begriffen, beruhigte sich die Stimmung. Ripo erhob am längsten die Stimme. Seine Raider-Mentalität ging mit im durch als er nicht verstand wer da grade den Kerl der zusammen mit Dust den Aufseher gekillt hatte, niederschlug. Knox winkte ab und kam mit Hilfe wieder auf die Beine. Er wischte sich mit dem Hand rücken über die Nase. Das bisschen Blut was er dabei verwischte, war kaum über dem Schmutz und dem bereits getrockneten Blut in seinem Gesicht zu erkennen. Aus irgend einem Grund sahen ihn alle an. "Was..?" sagte er müde. "Noch nie zwei beste Freunde sich begrüssen sehen...?" Die Abreibung hatte er zwar nicht wirklich erwartet aber er gestand sie Phil zu. Er hätte ohnehin keine Kraft sich jetzt mit ihm anzulegen. Schon gar nicht hier. Er würde das später mit Phil klären, sollte er nochmal die Gelegenheit dazu bekommen.
Er nahm sich die Erlaubnis heraus sich auf einen Klappstuhl in der Nähe des Tisches zu setzten. Der Tisch war voll mit Papieren, einer Karte verstreuten Stiften und Kaffeetassen. Knox sass einen Moment auf die Unterarme gestürzt da und sah dem winzigen Blutstropfen zu, wie sie auf die sandige Bodenplane des Zelts prallten. Dabei nahm der Offizier die Unterhaltung wieder auf und erklärte den Anwesenden die Lage. Ehe er damit geendet hatte, wurde die Plane des Zelts zur Seite gewischt und Peaches trat mit Cosmo ein. Es wurde langsam eng in diesem HQ. Cosmo ging sofort auf Knox zu als er ihn erkannte und sorgte sich. Knox unterbrach ihn und sah in die Runde. "Der Aufseher ist tot." sagte er. Alle sahen ihn an. "Und bevor er das zeitliche gesegnet hat, hat er gesagt dass seine Soldaten einer Gehirnwäsche unterzogen wurden die man aber... rückgängig machen kann." Knox sprach monoton, fast schon genervt. Vielleicht sogar leicht überheblich. Es gab nicht was er mehr wollte als die Sache beenden. "Ihr müsst einfach nur dafür sorgen, dass sie alle die Worte 'Nachts sind alle Maulwurfsratten grau.' hören." Skeptische Blicke folgten von den Umstehende. "Wenn ihr mir nicht glaubt..." Knox fuhr sich über die schmutzigen Haare und seufzte. "Was haben wir schon zu verlieren...?"