203. Mit Wissen kommt Verantwortung
"Nein, das halte ich nicht für den richtigen Ansatz. Wir sollten es mit einer Herangehensweise versuchen. Berücksichtigt bitte, dass bei der Konstruktion, wie ihr sie vorhabt die Genauigkeit nachlässt. Das kann einen massiven, kaum zu kontrollierenden Flächenschaden verursachen und das ist nicht im Sinne des Erfinders. Außerdem sehe ich da ein Problem in der Bedienbarkeit der Waffe. In einem Gefecht wäre das fatal. Das mit der Durchschlagskraft ist beachtlich, aber im schlimmsten Fall verursachen wir Kollateralschäden..." diskutierte der Ghul mit den anderen aus der Gruppe.
"...aber die Vorteile liegen doch klar auf der Hand. Ich denke, und die anderen sind mit mir gleicher Meinung, wir sollten das Risiko eingehen. Sie sind manchmal einfach zu zaghaft Geoffry" widersprach einer aus der Gruppe. "Hmph, ich zu zaghaft? Und nicht Risikofreudig? Mein junger Freund, kommen Sie erstmal in mein Alter. Ich habe mehr als genug "Risikofreudigkeit" gesehen. Die reicht für drei Leben. " sagte Geoffry Pendelton und schüttelte wegen soviel Unverständnis den Kopf. Dann stutzte er. Er hatte im Augenwinkel zuerst MacCready und dann Blue wahrgenommen. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht und er kratzte sich kurz unter dem Kinn. "Tja, vielleicht haben Sie ja Recht. Vielleicht bin ich über die Jahre wirklich zu zaghaft geworden. Aber wissen Sie was, Sie können Ihre Gründe ja direkt dem General vortragen. Ich bin gespannt, was er dazu sagt." "Wozu soll ich was sagen, Geoffry?" brummte Blue, der mit MacCready die Gruppe fast erreicht hat und nur einen Teil des Gespräches mitbekommen hatte.
Die anderen drehten sich erschrocken um. Sie waren so in ihre Diskussion vertieft gewesen, dass sie ihren Besuch nicht bemerkt hatten. "Wir haben Probleme eine Einigung in einer bestimmten Sache zu finden und Simmons, meinte ich wäre zu zaghaft, Sir. Aber er kann Ihnen der Sachverhalt ja schildern, nicht wahr Simmons?" sagte Geoffry ruhig zu Blue. Geoffry wußte eigentlich ziemlich genau, was bei diesem Gespräch heraus kam. Es gab in Ironworks bestimmte Regeln, nach denen in der Waffenentwicklung, aber auch in den anderen Bereichen gearbeitet wurde. Blue ließ in solchen Sachen nur sehr selten Abweichungen zu. Der Angesprochene schluckte kurz und trug dann Blue die Sache vor. Der hörte, wie immer aufmerksam zu. "...und was meinen Sie, Sir? Eigentlich doch eine gute Sache, oder?" Simmons war davon überzeugt, das Blue ihm Recht geben würde.
Da hatte er sich gründlich verrechnet. "Hmm. Wie sage ich es Ihnen höflich? Sie wissen sehr genau, wie meine Meinung zu möglichen Kollateralschäden und Sicherheit unserer Leute ist, oder? Wenn wir jetzt im Kleinen mit solchen Dingen anfangen, wo wird das enden? Bei jeder weiteren Entwicklung sind wir weniger zaghaft, nehmen bestimmte Dinge in Kauf und das endet wie? Fragen Sie Geoffry, der kann es Ihnen genau sagen. Schlimmstenfalls in einem sehr großen Knall. Wir entwickeln bestimmte Dinge nicht um einen Krieg zu führen, sondern um das Commonwealth anständig zu schützen. Das ist und bleibt hier das Hauptanliegen. Wenn Sie das Projekt so weiter entwickeln und es auf meinem Schreibtisch landet, werde ich definitiv nicht zustimmen. Und noch was Simmons, ich würde jemanden, der den großen Krieg überlebt hat vielleicht nicht als zaghaft bezeichnen und dessen Worte mehr Gewicht beimessen." erklärte Blue seine Sichtweise.
"Aber, aber...wir würden dann doch weit hinter bestimmten Möglichkeiten bleiben...man könnte doch viel mehr bewegen...und die Bruderschaft würde die Minutemen auch endlich ernst nehmen..." wiedersprach Simmons im ernsten Ton. Geoffry Pendelton runzelte die Stirn. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. Simmons ließ nicht locker und fing tatsächlich an mit Blue zu diskutieren. Blue seufzte. "Erstens, soweit ich die Bruderschaft hier kennengelernt habe, hat sie im Normalfall zwei Modi. Dazwischen gibt es eigentlich fast keine Abstufung. Entweder man wird nicht ernst genommen oder man wird so ernst genommen, dass man als latente Gefahr gilt und man "Besuch" von ihnen bekommt. Glauben Sie mir, im Moment sollten wir aus taktischen Gründen den ersteren bevorzugen. Auf lange Sicht wird sich das sicherlich ändern. Zweitens das Nutzen aller zu Verfügung stehender Möglichkeiten endet genau in dem Zustand, der vor zweihundert Jahren passiert ist. Mit dessen Nachwirkungen wir hier alle zu tun haben. Deswegen schließe ich bestimmte Entwicklungen komplett aus. Oder wollen Sie eine Welt an deren Ende letztlich wieder ein nuklearer Schlagabtausch steht?" fragte Blue Simmons sehr ernst.
"Nein, Sir. Natürlich nicht. Ich dachte nur..." sagte Simmons kleinlaut. "Sie haben ans Commonwealth gedacht, dass weiß ich. Aber dieser Weg ist nicht gut. Überdenken Sie ihre Arbeit nochmal. Andernfalls lehne ich sie kategorisch ab. Ende der Diskussion." sagte Blue bestimmend. Simmons und seine Forschungskollegen zogen sich nach der deutlichen Abfuhr zurück. Geoffry blieb allein mit MacCready und Blue zurück. "Hallo Sir, erstmal schön Sie hier zu sehen. Das letzte Mal ist schon eine ganze Weile her. Und Danke, dass Sie Simmons eine klare Ansage gegeben haben. Das war denke ich nötig. Er ist sehr engagiert, aber manchmal schießt er wirklich übers Ziel hinaus." "Ich freue mich auch wieder hier zu sein und ja das war bei Simmons sehr deutlich zu merken. Ist Karl derzeit auch in Ironworks? Ich hätte da etwas, was ich mit euch beiden besprechen möchte." "Karl ist im Moment wieder da, Sir. Um was geht es denn? Neuer Forschungsauftrag?" fragte Geoffry neugierig. "Im weitesten Sinne, ja. Aber Weiteres würde ich gerne mit euch gemeinsam besprechen." Geoffry nickte. "Gut, ich werde meinen Bruder holen gehen. In unserem Besprechungsraum?" "Wäre mir sehr recht."
Geoffry verschwand nach hinten in einem Gewirr von Gängen. Blue lief ebenfalls los. Er steuerte besagten Raum an. Dort angekommen sprach MacCready Blue an. "Sagmal, brauchst du mich bei der Besprechung? Ich würde mich sonst ein wenig umsehen. Ist echt spannenend hier. Vorausgesetzt du hast hier nicht irgendwelche Geheimprojekte am Laufen, die ich nicht sehen darf." grinste MacCready. "Eigentlich nicht. Würde für dich auch wahrscheinlich auf Dauer langweilig werden. Schau dich ruhig um. Die anderen sind über dich informiert. Hätte ich Geheimprojekte, würdest du sie als solche nicht erkennen." sagte Blue und lächelte beim letzten Satz. MacCready stutzte kurz, sah Blue fragend an und entschloss sich nicht nachzufragen. Dann verschwand MacCready in der Anlage. Blue betrat den Raum stellte Superhammer und Scharfschützengewehr in eine Ecke des Raumes. Anschließend setzte er sich auf einen abgewetzten, aber recht gemütlichen Sessel, streckte die Beine aus und wartete auf die Pendeltons. Er schloss die Augen und ließ die letzten Ereignisse im Geiste Revue passieren, bis er zwei bekannte Stimmen hörte.
"Aber hallo, lange nicht gesehen, Sir." grinste Karl fröhlich. "Geoffry hat mir gesagt, es gibt was Neues für uns. Nicht, das uns hier langweilig wäre, aber zum Forschen kann man nie genug haben." Die beiden setzten sich jeweils auf den anderen Sessel und Blue schilderte die letzten Ereignisse. Das Auftauchen der Roboter, die Suche und der Kampf gegen den Mechanist und der anschließende Besuch in Med-Tek waren, neben kleineren Berichten Hauptbestandteil der Erzählung. Nach einiger Zeit war Blue fertig und stellte an die beiden verschiedentliche Fragen.
"Das hätte ich wirklich nicht vermutet, unter einem kleinen Reparaturladen. Bemerkenswert. Das man hier mitten im Herz von Boston eine derartige Anlage errichtet hat. Ohne das es die Bevölkerung mitbekommen hat. Da müssen Leute von ganz weit oben die Finger mit im Spiel gehabt haben. Ich meine, Geoffry und ich waren damals in dem ein oder anderen geheimen Projekt involviert." sagte Karl nachdenklich. "Aber sowas? Das mit den Robohirnen war...ist...mir fehlen die Worte...schaurig. Manchmal glaube ich, dieses Land hatte es damals nicht anders verdient. Alle Moral über Bord geworfen...aber nach außen hin...so tun als ob..." Karl schüttelte den Kopf, als er an die ferne Vergangenheit dachte und seufzte.
"Es ist gut, dass der Mechanist...ich meine Isabel Cruz nicht von Paladin Danse erschossen worden. Gut das Sie interveniert haben, Sir. Der Wissensverlust wäre immens gewesen. Sehr tragisch, die ganze Sache. Wollte dem Commonwealth helfen und dann sowas." sagte Geoffry. Blue nickte zustimmend. "Ob wir einen kleinen Teil der Anlage mit Isabels Hilfe wieder herstellen können? Schwierig, aber nicht unmöglich. Da müsste als erstes die Energieversorgung repariert werden und dann schauen ob wir für den Rest das notwendige Knowhow haben. Hm." sagte Karl nachdenklich und kratzte sich wieder unter dem Kinn. "Gut, wir hätten hier jemanden mit einem Händchen für alte Maschinen. Ralf Donghue. Ich denke ihn würde das reizen. Ja. Das könnten wir wirklich versuchen. Wenn uns das gelingen würde, könnten wir die gebauten Roboter so modifizieren, dass sie eine weitere Verstärkung der Verteidigung des Commonwealth bedeuten würden." "Das ist gut zu hören. Sie müssten mir dann beizeiten nur mitteilen, was Sie für die Reparaturen brauchen. Ich würde mich dann entsprechend um die Organisation der Teile bemühen."
Es gab noch weiteren Gesprächsbedarf. Diesmal von Seiten der Pendeltons. Sie schilderten Blue, wie erfolgreich sie bei ihren Projekten waren, wo es Rückschläge geben hatte. Auch teilten sie ihm dabei gleich mit, dass der Platz in Ironworks langsam knapp wurde. Blue versprach den beiden, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die langsam aufkommende Platznot beheben konnte. Insgesamt war Blue sehr zufrieden mit dem Stand der Dinge.