Easy City Downs

  • → kommt vom Commonwealth


    »Scheißidee«, zischte Alaine, als sie den Code in das Terminal eingab.

    Frank hatte ihr erzählt, dass er früher für Ernie die Rennen manipuliert hatte, damit die Bank immer gewann. Die Zeiten waren lange vorbei, aber die Rennen waren geblieben. Und so auch der Code, den Frank ihr gegeben hatte. Ein Menü mit tausend Zahlen und Ziffern ploppte auf, es dauert einen Moment, bis Alaine sich zurechtfand. Sie hatte alles aus die Nummer Sieben gesetzt, einem alten Mister Handy namens Piece o’ Junk. Es war nicht einfach gewesen, sich Zugang zur Rennbahn zu verschaffen. Alaine hatte zwei Raider erledigen müssen, um sich ihre Klamotten anzueignen. Alte Lederkleidung, an denen das Blut der einstigen Besitzer klebte. Die Fetzen stanken nach Schweiß und Pisse. Alaine hielt immer wieder die Luft an, um so wenig wie möglich von dem widerlichen Dunst einzuatmen. Doch die Tarnung war perfekt, niemand hatte sie bemerkt, als sie sich den Weg zur Scheune gebahnt hatte.

    Die Rennbahn war gut besucht. Vom Schuppen aus konnte Alaine die gefüllten Ränge sehen, auf denen sich sogar Raider aus dem entfernten Nuka World tummelten. Sie waren anders als die Raider aus dem Commonwealth, Alaine hatte von ihnen gehört. Sie nannten sich »Das Rudel« und trugen kunterbunte Kleidung. Sie jaulten auf, als der Sprecher die Menge anheizte.

    Ihre Finger flogen über die Tasten. »Konzentrier dich!« Sie hatte nicht viel Zeit, das Rennen würde in wenigen Minuten starten.

    Es war Pennys Idee gewesen. Sie hatte gesagt, dass ein kluger Kopf viel Geld aus der Rennbahn holen konnte. Alaine hatte nichts zu verlieren. Sie würde jeden Kronkorken brauchen, um die gottverdammte Gegend hinter sich zu lassen. Das Commonwealth war kein Zuhause mehr. Nicht, nach dem Vorfall im Hauptquartier. Alaine hatte die Railroad satt, sie hatte Glory und Dez satt. Und Deacon; der Name wog schwer in ihren Gedanken. Deacon, der einfach verschwand, als ginge ihm nichts in dieser Welt etwas an. Dabei war er ihr Freund, ihr Mentor, und so vieles mehr. Sie fühlte sich von ihm in Stich gelassen, doch sie zwang sich, nicht weiter an ihn zu denken.


    Endlich! Alaine atmete erleichtert auf, als die grüne Zahl auf dem Bildschirm blinkte. Frank hatte ihr genau erklärt, was sie zu tun hatte. Er hatte sie auch gebeten, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen und die Raider in der Scheune am Leben zu lassen. Es wären gute Männer, sogar Freunde, aber diesem Wunsch hatte Alaine nicht nachkommen können. Die toten Leiber der beiden Männer lagen auf dem feuchten Boden, Alaine hatte sie mit einem gezielten Schuss aus ihrer schallgedämpften Waffe ausgeschaltet. Das Risiko war zu groß gewesen.

    Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Schnell gab sie die Parameter ein, die Piece o’ Junk den Sieg sichern würden. Ein knappes Rennen, aber eines, dass ihr am Ende einen Haufen Kronkorken bescheren würde. Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, jetzt musste sie nur noch warten, bis das Spektakel vorbei war. Bevor sie die Scheune verließ, mustere sie noch einmal die Leichen. Sie hatte sich eingebildet, ein Geräusch gehört zu haben, aber die beiden Männer waren so tot wie die ganzen anderen, verdammten Mistkerle, die Alaine in ihrer Laufbahn erledigt hatte. Und das waren viele gewesen. Viel zu viele. Mit einem Seufzen huschte sie aus der Scheune.


    Die Sonne stand hoch, als der Startschuss auf der Rennbahn fiel. Auf den Rängen grölten die Zuschauer wild durcheinander. Buh-Rufe, Jubel und ab und zu ballert jemand über die Köpfe der Menge hinweg. Alaine stand abseits, über eine Absperrung gebeugt beobachte sie das Treiben und dachte daran, wie sie ihren Gewinn in Sicherheit bringen konnte ... denn es würde Ärger geben, so viel war sicher.

    »Mal sehen«, Alaine überblickte die Rennbahn und murmelte leise, während sie im Kopf alle Fluchtmöglichkeiten durchspielte.

    Hinter dem Kassenhäuschen verlief eine breite Straße, an deren Seiten sich eine Reihe verfallener Gebäude anschloss. Wenn sie es schaffte, sich unbemerkt in den Ruinen zu verstecken, könnte sie ausharren, bis die Aufregung sich gelegt hatte. Alaine pfiff leise durch die Zähne. Die beste Chance, die sie hatte. Dez würde sicherlich durchdrehen, wenn sie wüsste, in welche Gefahr sich einer ihrer besten Agenten begeben hatte. Trommler würde blass werden und Tüftel-Tom könnte es wohl kaum erwarten, jedes Detail ihrer Geschichte zu hören. Alaine lachte. Jeder im Hauptquartier war ihr so vertraut wie ihr eigenes Gesicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, nie wieder in der Old North Church zu sein. Nie wieder auf ihrer alten Matratze zu schlafen. Sie war schon oft fort gewesen – Wochen, Monate – aber immer hatte der Weg sie am Ende zurück zur Railroad geführt. Alaine fühlte sich seltsam nackt bei dem Gedanken, nicht länger Teil der Gruppe zu sein.

    Ist das der Weg, den du gehen willst, Alaine? Fort von deinen Freunden, deiner Familie. Auf der Suche nach etwas, von dem du nicht weißt, ob du es jemals finden wirst.

    Alaine schluckte bitter. War es der Streit mit Dez wirklich wert, alles über den Haufen zu werfen, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte? Und die Nachricht ihrer Schwester ... hatte es wirklich etwas geändert? War es nicht nur ein fixer Gedanke, der ihr auf einmal wunderschön erschien, weil die Situation im Hauptquartier schwierig war? Alaine schlug sich mit den Händen gegen die Stirn. Es war nie leicht, eine Entscheidung zu treffen, aber es schien ihr, dass egal welchen Weg sie einschlug, sie am Ende etwas verlieren würde. Doch welcher Verlust wog schwerer? Die Aussicht auf eine Schwester, von der sie entfremdet hatte, oder eine »Familie«, die sie vielleicht nicht immer so schätzte wie sie es verdiente, aber die immer für sie da gewesen war.


    »Piece o’ Junk gewinnt! Piece o’ Junk gewinnt!« Aus den Lautsprechern dröhnte der Name des Siegers, dem erst eine Sekunde des Schweigens und dann lautes Geschrei aus den Rängen folgte.

    Alaine war sofort hellwach. Scheiße, sie musste sich beeilen, bevor das Gesindel von der Zuschauertribüne sich pöbelnd vor dem Kassenhäuschen versammelte. Hastig drängte Alaine sich an einer Gruppe Raider vorbei, während sie die Hand am Griff ihrer Waffe ruhen ließ. Mit der anderen Hand kramte sie in ihrer Tasche und zog den dreckigen Papierfetzen hervor, auf dem der Kassenwart die Startnummer und den Einsatz notiert hatte. Wahrscheinlich würde der Hund versuchen, sie zu bescheißen, aber es gab nichts, was sich nicht durch eine gezogene Waffe lösen ließ.

    Vor dem Kassenhäuschen entdeckte Alaine einen Mann mit beigen Anzug und grüner Krawatte. »Wer war es? Wer ist der Scheißkerl? Wer war es?« Mit knallrotem Kopf zog er den Kassenwart über den Tresen, der am ganzen Körper zitterte. »Nun red schon, sonst puste ich dir die Birne weg, du Arschloch!«

    »Ich ... ich ... «, der Kassenwart war mehr ein Junge als ein Mann. Mit brüchiger Stimme versuchte er, einen Satz zu formulieren. Der Mann im Anzug verlor die Geduld und schlug mit der Faust auf ihn ein. »Bitte nicht schlagen, nein. Bitte nicht«, flehte der Junge und drehte den Kopf beiseite. »Der war es! Der war es!«

    Alaine spürte, wie ihre Blicke sich trafen. »Scheiße!«

    Als sie sich umwandte, schlug die erste Kugel im Staub neben ihren Füßen ein. Wie viele Männer hatte der Typ im Anzug dabei gehabt? Vier? Fünf? Alaine war sich sicher, dass bald die ganze Rennbahn nach ihr schießen würde, wenn sie nicht die Beine in die Hand nahm. Eine saublöde Idee. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, so etwas Dummes zu tun? Wenn die Bank immer gewann, dann musste der, der ihr das Geld abnehmen will, ein Betrüger sein. Und der Typ im Anzug musste die Bank sein. Wahrscheinlich war es Ernie, Alaine hatte ihn noch nie gesehen, aber Frank hatte ihr erzählt, dass er keinen Spaß verstand.


    Alaine sprang über eine Absperrung und schoss nach hinten, in der Hoffnung, vielleicht einen der Scheißkerle zu erwischen. Es sah nicht gut für sie aus. Es war kaum möglich, sich jetzt noch unbemerkt in die Häuser auf der anderen Straßenseite zu schleichen. Sie rannte in die Scheune und ihr Herz setzte einen Schlag aus, als plötzlich ein Mann vor ihr stand.

    »Brauchst du Feuerschutz, Kleines?«

    Deacon.

    »Arschloch«, entfuhr es ihr.

    Deacon verzog das Gesicht. »Hey, begrüßt man so einen alten Freund?«

    I really want to know how the Big One started. What idiot fired first? Why? What the hell did they think they'd gain?
    -Deacon-

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