Schicksal ist, was man daraus macht

  • Klirrende Kälte und eiskalter Wind bissen in meinen Körper. Nur mühsam kam ich voran und hätte ich nicht die Stadtmauer vor Augen gehabt, ich hätte mich wohl einfach in den Schnee gelegt und wäre eingeschlafen. Was mein sicheres Todesurteil gewesen wäre. Aber so kämpfte ich mich Schritt für Schritt weiter. Die Zeit arbeitete gegen mich. Es war später Nachmittag und schon bald würden die Tore geschlossen werden. Wenn ich dann noch hier draußen war…nun, dann wäre die Kälte schnell mein geringstes Problem. Eine Nacht außerhalb der sicheren Städte verbringen…es gab angenehmere Arten des Selbstmordes. Entweder erfror man, wurde von Wölfen oder anderen Raubtieren getötet oder man geriet an Banditen, die selten mehr Humor als ein Karpfen hatten. Aber mindestens genauso intelligent waren.
    Endlich kam ich aus dem tieferen Schnee heraus und war auf der Zugangsstraße, auf der das weiße Elend schon platt getrampelt war. Und es wurde auch allerhöchste Zeit. Die Wache fing schon mit ihren Vorbereitungen an, das Tor zu schließen. Erschrocken zuckte ich zusammen und rannte los. Bloß nicht vor mir zumachen, bloß nicht vor mir zumachen! Völlig außer Atem quetschte ich mich so gerade noch durch den offenen Spalt, direkt hinter mir krachte das große hölzerne Tor zu. Und das würde es auch bis zum nächsten Morgen bleiben. Geschlossen. Nachts jemanden in die Stadt lassen…das war undenkbar. Entsprechend erleichtert stand ich keuchend mitten davor und ließ die genervten Blicke der Wachen über mich ergehen. Begeistert waren die nicht, immerhin bedeutete ich Arbeit. Was mir herzlich egal war.
    Die Formalitäten waren schnell geklärt. Name, Marek Jogar. Zollware, keine. Dauer des Aufenthaltes, unbekannt. Nachdem dann ein paar Münzen den Besitzer gewechselt hatten, vermutlich mehr, als ich eigentlich hätte bezahlen müssen und mir der Weg zu einer günstigen Unterkunft beschrieben worden war, war ich auch entlassen. Und aus dem Gedächtnis der Wachen verschwunden. Leider war ich damit auch aus der warmen Wachstube vertrieben. Gerade ein wenig aufgetaut stand ich wieder in der klirrenden Kälte und versuchte, mich in der schnell hereinbrechenden Dunkelheit zu orientieren. Im Grunde nicht sonderlich schwer, diese kleinen Städte waren alle gleich aufgebaut. Eine Hauptstraße, an der die wichtigsten Geschäfte lagen und ein paar kleine Nebenstraßen, in denen die unwichtigen Geschäfte und die Wohnhäuser waren. Außer man war wichtig, dann wohnte man an der Hauptstraße.
    Mit der nicht gerade genauen Beschreibung der Wache machte ich mich auf den Weg und wurde tatsächlich fündig. Eine Schänke oder was man mit gutem Willen so nennen konnte. Dreckige Absteige traf es eigentlich besser, aber mit den paar Münzen, die ich mein eigen nannte, konnte und durfte ich nicht wählerisch sein. Leider. Hoffentlich hatte ich am nächsten Tag keine Flöhe oder Läuse. Wobei die vermutlich zu besoffen waren, um sich auf mir einzunisten. Dieser Eindruck verfestigte sich nicht nur, als ich den Drecksladen betrat, er wurde uneinnehmbar. Zumindest war es warm. Man durfte nur nicht durch die Nase atmen, das war ungesund. Die Formalitäten waren schnell geklärt, ich würde die Nacht auf einem Strohsack verbringen, hier im Schankraum, so wie die anderen Gäste auch und bekam etwas zu essen und zu trinken. Eine dünne Suppe und noch dünneres Bier. Jedenfalls war das Zeug warm und das brauchte ich jetzt auch. Und mit wenig Essen kam ich klar, wirklicht satt war ich bisher nur sehr sehr selten in meinem Leben gewesen.
    Während ich das dünne Zeug löffelte, wanderte mein Blick über den Rest der Gäste, ohne lange an einem Ort zu bleiben. So etwas wurde gerne als Aufforderung zu einer Prügelei gesehen und da hatte ich nun wirklich keine Lust drauf. Ein Bad und eine Rasur wären mir lieber, aber die würde ich hier wohl kaum kriegen. Außer ich war so abgehärtet und zerschlug das Eis draußen in einer Tonne. Dann konnte ich auch baden. Und mich ein paar Tage später beerdigen lassen. Mit der freien Hand fuhr ich durch meinen mittlerweile doch recht anständigen Bart. Vielleicht sollte ich ihn einfach wachsen lassen, jetzt im Winter wärmte er das Gesicht zusätzlich zu dem Schal, den ich mir immer bis über die Nase hochzog. Die Gesellschaft in diesem Schuppen hier war jedenfalls die übliche. Einfache Arbeiter, breit wie ein Scheunentor und dümmer als ein Ochse, zwielichtiges Gesindel, das einem mit der linken Hand die Freundschaft anbot und mit der rechten die Kehle durchschnitt und abgebrannte Wanderer wie ich, dick verpackt in warme Kleidung und mit wenig Geld in der Tasche.
    Ich würde mich heute nacht wohl sehr fest zusammenrollen müssen, damit nicht irgendwer auf die Idee kam, mich zu durchsuchen. Viel gab es vielleicht nicht zu holen, aber manchen reichte das völlig aus. Und mich würde es vor ein Problem stellen. Die Zeche und die Nacht hatte ich schon im Voraus bezahlt, da ließ kein einziger Wirt sich auf eine Diskussion ein, aber ab morgen würde es interessant werden. Ich würde mir eine Arbeit suchen müssen. Sowieso, überhaupt und generell. Hoffentlich hatte irgendwer Verwendung für einen nicht ganz so kräftig geratenen Vagabunden. Wenn ich richtig Glück hatte, konnte ich Nutzen daraus ziehen, dass ich als Junge im Kloster Lesen und Schreiben gelernt hatte, genau wie Rechnen. So lange das auch hersein mochte und ich es gehasst hatte, es hatte mir schon so manche Unterkunft und ein warmes Essen besorgt. Die Erinnerung schmerzte in der Brust. Damals hatte Frieden geherrscht und man konnte sich nachts auf der Straße aufhalten, ohne Angst um sein Leben haben zu müssen. Das war heute nur eine verblassende Erinnerung. Wehmütig starrte ich an die Wand, als ich plötzlich ziemlich heftig angerempelt wurde.
    Verärgert sprang ich auf und hatte schon Atem geholt, um meiner Wut Luft zu machen, als ich mitten in der Bewegung erstarrte. Vor mir stand kein gewöhnlicher Mann, sondern ein gottverdammtes Spitzohr, komplett gekleidet in schwarzes Leder, bewaffnet mit zwei Klingen und einem eiskalten Blick. Was hatte das denn hier verloren? Hinter ihm stand ein typischer Söldner und so wurde ich auf einmal von zwei Kerlen angestarrt, denen ich normalerweise aus dem Weg ging. Meilenweit, wenn es ging. Nervös klappte ich den Mund zu und zog mich etwas zurück, was leider nicht sehr weit war, immerhin stand da noch der Tisch. Aber das schien den beiden zu reichen. Glücklicherweise. Nach einem letzten eiskalten Blick wandte sich das Spitzohr ab und ging zu einem Tisch, an dem noch ein paar Plätze frei waren. Der Söldner folgte ihm und die beiden setzten sich nebeneinander hin. Immer noch erschrocken ließ ich mich mehr auf meinen Stuhl fallen, als dass ich mich hinsetzte. Das hätte verdammt noch mal ins Auge gehen können. Das Leder war mindestens so schwarz wie die Seele des Spitzohrs und der Söldner sah aus, als wenn er so was wie mich zum Frühstück verzehrte. Die anderen Männer am Tisch bedachten mich mit seltsamen Blicken, die hatten wohl damit gerechnet, dass ich jetzt in Einzelteilen vor ihnen liegen würde, anstatt in einem Stück. Um mein Glück nicht weiter auf die Probe zu stellen sah ich an diesem Abend niemandem mehr ins Gesicht und verkroch mich in eine der Ecken, als die Strohsäcke verteilt wurden. Spitzohr und Söldner schliefen ebenfalls im Schankraum, aber auf der anderen Seite. Nach einem letzten prüfenden Blick durch den Raum machte ich es mir halbwegs gemütlich, rollte mich mehr oder weniger zusammen und schloss die Augen. Erschöpft wie ich war und durch die Wärme eingelullt schlief ich schnell ein.


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