430. Über den Wolken
Zwei Tage später. Ehemaligen Logan Airport. Prydwen.
Ältester Maxson schritt auf der Kommandobrücke unruhig hin und her. Noch immer kamen keine Nachrichten von MassFusion. Sie waren seit zwei Tage überfällig. Es war jetzt über ein Monat her, dass die stählerne Bruderschaft das für sie äußerst wichtige MassFusion-Gebäude erobert hatte. Zwar war das Gefecht gegen die dort bis dahin ansässige Gunnergruppe nicht einfach gewesen, aber mit der überlegenden Feuerkraft konnten sie das Gefecht dort relativ schnell zu ihren Gunsten entscheiden. "So weit, so einfach. Damit liegt unser Ziel in greifbarer Nähe. Danach ist es nur ein Frage von kurzer Zeit, dass die Gefahr durch das Institut beseitig und das Commonwealth dem Gebiet der stählernen Bruderschaft gehört." dachte Maxson zu betreffenden Zeitpunkt.
Danach begannen die Probleme. Allein drei Wochen war damit zugebracht worden, die extreme Verschlüsselung zu brechen, die den Safe verschlossen hielt. Nur um dann festzustellen, dass er leer war. Scheinbar schon vor langer Zeit geplündert. Eine böse Ahnung befiel den Ältesten, trotzdem befahl er seinen Leuten sich notfalls mit Gewalt Zutritt zu den Räumen zu verschaffen. Durch die Informationen, die der stählernen Bruderschaft zu Verfügung standen, wussten sie ungefähr, wo sie suchen mussten. Mit ziemlichen Aufwand verschafften sie sich Zutritt zum ehemaligen Sicherheitszentrum des Gebäudes. Die letzte Nachricht besagte, dass sie es bis hinunter in einen der Räume geschafft hatten. Danach herrschte Funkstille.
Maxson erwog bereits einen weiteren Trupp ins Innere von Boston zu schicken, als ihn schlechte Nachrichten von zwei neuen errichteten Außenposten der Bruderschaft erreichten. Der Stützpunkt in Natick bekam es immer wieder mit Besuchen aus dem strahlenden Meer zu tun. Mehrere Mal war er bereits von Ghulhorden belagert worden, dann tauchte ein Rudel Todeskrallen auf und richtete enormen Schaden an Material und Leuten an. Langsam verstand Maxson, warum die Minutemen trotz der strategischen Lage hier keinen Posten einrichteten. Der andere Außenposten lag bei einer ehemaligen Wohnsiedlung mit dem Namen Fairline Hill Estates. Hier bekam man es immer wieder mit Supermutanten zu tun, die über die südlichen Sümpfe einwandern zu schienen. Die dort stationierten Gruppen standen dort unter ähnlichem Druck wie in Naticks. Jeder verlorener Bruderschaftler war im Moment einer zu viel.
Maxson grübelte bereits über einen Ersatzplan nach, falls es ihnen nicht gelingen würde, Liberty Prime in absehbarer Zeit einsatzfähig zu bekommen. Er würde weitere Kräfte der stählernen Bruderschaft im Commonwealth zusammenziehen müssen. Allerdings befürchtete Maxson, dass die kurzfristige Abwesenheit der Prydwen dem Institut in die Hände spielen würde, um seine Truppen zu überrennen. Die Minutemen waren sowieso Kanonenfutter, wenn das Institut tatsächlich aktiv auf den Plan treten würde. Langsam wurde ihm das Dilemma bewusst, was entstehen könnte, gelänge es Ihm nicht ihren ursprünglichen Plan auszuführen. Als er an die Minutemen dachte, kam ihm wieder jemand ins Gedächtnis, den er in der letzten Zeit gedanklich vernachlässigt hatte.
"Neben Paladin Danse, der von mir auf eine äußerst wichtige Mission geschickt worden ist, habe ich auch seit einiger Zeit nichts mehr von Ritter Blue gehört. Er hat sich zwar vorbildlich um meinen Auftrag gekümmert. Es aber nicht selbst erledigt, sondern von einem seiner hochgestellten Leuten ausführen lassen, nachdem was mir Ritter Carter berichtet hat. Sehr eigenartig. Woran ist dieser verdammte Mutant wieder dran?" Maxson erkannte langsam ein Muster bei Blue. Immer wenn der einige Zeit von der Bildfläche verschwand, gab es eine Gefahr weniger für das Commonwealth und damit auch für die stählerne Bruderschaft. Und er erfuhr von Blue erst zuletzt die Höhe der Gefahr. Zunächst fragte sich Maxson, warum er ihn nicht direkt unterrichtete, dann erinnerte er sich daran, wie er gewisse Warnungen seines Ritters in den Wind geschlagen hatte. Darauf wurde ihm klar, dass Blue den besten Weg einschlug, der seiner Meinung nach drohenden Gefahr die Stirn zu bieten.
Was die Bruderschaft an Mann und Material entlastete. Was sie dann im Endeffekt sehr gut für das Vorgehen gegen das Institut gebrauchen konnten. Aber trotz der Hilfe und Verdienste seines Ritters für die stählerne Bruderschaft sah Maxson immer noch mit einem inneren Hass auf Blue herab. Es waren immer wieder die Ausgeburten des FEVs gewesen, die der Bruderschaft neben der Enklave, das Leben im Ödland der Hauptstadt schwer gemacht hatten. Die viele seiner Leute auf den Gewissen und Proctor Ingram schwer verletzt hatten. Da war es Maxson auch egal, dass Blue zu der handhabbaren Sorte gehörte. Trotzdem kam er genau dem nach, wofür man diese Monster geschaffen hatte. Das Kriegshandwerk zu erledigen und das tat Blue mit erschreckender Effizienz.
Auch wenn der Mutant äußerlich ruhig wirkte und sich selbst sehr gut unter Kontrolle hatte, dachte Maxson immer wieder an den heftigen Streit zurück. Dabei lief ein kalter Schauer über den Rücken. Für einen Moment, als sich dabei ihre Blicke kreuzten, ging es Maxson so, als würde er für einen kurzen Moment in das Innerste des Mutanten blicken. Neben einer tiefen Trauer, die Maxson dort nicht erwartet hatte, sprang ihm eine massiv unterdrückte Wut entgegen. Eine die bei den anderen Supermutanten äußerlich immer präsent war. Maxson hatte schon damals für sich endgültig beschlossen, ihn so lange für die Belange der Bruderschaft zu nutzen, bis er zu gefährlich wurde. Dann würde er ihn aus dem Spiel nehmen, ihn endlich von seinem Leiden seiner Existenz erlösen. So deutete Maxson für sich die irritierende Trauer, die er damals sah.
So wie er Synths eine mögliche Menschlichkeit absprach, so sprach er auch jedem Supermutanten diese ab. Auch wenn sie ehemalige Menschen waren. Egal wie sehr sich Blue anstrengen würde, für Maxson würde er immer ein drittklassiges Lebewesen bleiben. Gerade als der Älteste wieder aus der gläsernen Front der Prydwen schaute, vernahm er schwere Schritte. Er brauchte sich nicht umzudrehen, wusste er doch genau, wer sich dort näherte. "Schau an. Da macht man sich Gedanken über betreffende ... Person und schon taucht da jemand aus der Versenkung auf." dachte Maxson und schaute grimmig vor sich hin. Er war gespannt, was sein Ritter ihm dieses Mal berichten würde.
Blue näherte sich langsam der Kommandobrücke der Prydwen. Viele Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Als er am alten Flughafen angekommen war, sah er schon von weitem das Gerüst und seinen Inhalt. Selbst auf der Entfernung konnte Blue erkennen, wie groß Liberty Prime war. Als er an ihm vorbeimusste, um zu Vertibirdlandeplatz gelangen, blieb er stehen, um ihn einen Moment zu mustern. Die Größe war einschüchternd. Allein sie würde dafür sorgen, dass er bei Betreten des Schlachtfelds die Moral den Gegenseite ins Bodenlose fallen lassen würde. War diese Ungetüm einsatzbereit und bewaffnet, war die Bruderschaft nicht mehr aufzuhalten oder das Institut, wenn es ihm gelänge Liberty Prime umzuprogrammieren. Diese Möglichkeit hielt Blue für realistisch, verstand er doch im Ansatz, welche klugen Köpfe und Möglichkeiten das Institut besaß. Am besten war es, wenn dieses metallene Ungetüm so blieb wie es im Moment war, um der Bruderschaft und des Instituts selbst willen.
Als Überreste einer vergangen Zeit und ein mahnender Fingerzeig. Dass Liberty Prime für eine ganze Zeit so blieb, dafür hatte er zunächst gesorgt, aber er wusste auch, dass die Bruderschaft nicht klein beigeben und nach anderen Möglichkeiten suchen würde. Ältester Maxson stand mit dem Rücken zu ihm, aber Blue war sicher, dass der Älteste ihn längst wahrnahm. Innerlich seufzte Blue kurz. "Ich wünschte, dass ich nicht den Weg gehen müsste, aber er lässt mir keine Wahl. Wenn er doch seine Voreingenommenheit mir gegenüber ablegen könnte ... " dann räusperte er sich kurz. Er wusste genau, dass man im Moment Fingerspitzengefühl anwenden musste. Blue hatte einiges an neuen Information mitbekommen, als er unten auf den Vertibird wartete, der ihn zu Prydwen brachte. Es lief im Moment in den anderen Bereichen nicht gut. "Ältester Maxson? Ich melde mich nach Missionserledigung wieder zurück auf der Prydwen."
"Das sehe ich, Ritter." schnaufte Maxson und dreht sich um. Sein Gesicht war ernst und forschend. "Wie kommt es eigentlich, dass Sie diesmal ihre Leute zur Auftragserledigung herangezogen haben? Nicht das sie sehr gut erledigt worden ist. Das Material war laut Aussage des Proctors exzellent. Aber hier geht es mir ums Prinzip. War der Auftrag unter Ihrer Würde, Blue?" feuerte Maxson eine Spitze gegen Blue ab. Der überhörte es geflissentlich. "Nein, Ältester, unter normalen Umständen hätte ich es selbst erledigt. Ich war noch in einer andere Mission unterwegs. Eine die in meiner Priorität ganz oben zu stehen hat. Wie Sie es einmal in unseren Gesprächen sehr deutlich gesagt haben, Sir. Es ging dabei um das Institut." antwortete Blue mit neutralem Ton.
Der Älteste schaute fragend und seine Augen formten sich zu Schlitzen. "Inwiefern, Ritter? Was haben Sie rausgefunden, Blue?" Blue schwieg einen kleinen Moment. "Ältester, bei allem nötigen Respekt, würde ich Sie höflichst darum bitten es ihnen an einem weniger öffentlichen Ort berichten zu dürfen. Des Weiteren würde ich den Vorschlag machen, Procter Quinlan zu diesem Gespräch mit hinzuzuziehen." Etwas in Blues Stimme sagte Maxson, dass es um etwas ziemlich Wichtiges ging. Der Älteste nickte einverstanden und sie machten sich auf dem Weg in Maxsons privates Quartier.