→ kommen von Jamaica Plain
Sie redeten nicht viel. Die Ereignisse der letzten Tage lagen TJ und Alaine in den Knochen, in sich gekehrt, jeder in Gedanken versunken, durchzogen sie das Commonwealth Richtung Diamond City. Die Reise verlief ohne Schwierigkeiten, nur eine kleine Gruppe Raider kreuzten ihren Weg. Alaines Arm schmerzte, beim Schießen verzog sie öfters als sonst. Sie fühlte sich fiebrig und schwach, spielte es jedoch herunter, wenn TJ sie danach fragte. Solange ihr die Stimpaks nicht ausgingen, würde sie durchhalten.
Als sich die Tore von Diamond City langsam vor ihren Augen abzeichneten, wich den ernsten Minen in ihren Gesichtern Erleichterung. Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Wie viel Zeit war seit ihrem Aufbruch verstrichen? Alaine wusste es nicht, sie hatte aufgehört die vergangenen Tage und Nächte zu zählen. Aber es war mehr als nur eine kleine Reise gewesen, es war ein richtiges Abenteuer mit vielen Gefahren und jetzt, wo es sich dem Ende neigte, verspürte sie Traurigkeit. Sie hatte sich fast schon an TJ gewöhnt.
„Nan-ni shimasu-ka?“
Wer sonst als Takahashi sollte der Erste sein, der sie in Diamond City begrüßte? Sie standen auf dem Marktplatz und sahen sich um, Alaine fixierte Moes Laden, aber von ihm selbst fehlte jede Spur. Vielleicht machte er gerade Pause.
„Wir sollten etwas essen“, schlug sie vor, TJ stimmte mit einem Nicken zu.
Es war die erste warme Mahlzeit seit langem, schon der Anblick der dampfenden Nudelsuppe ließ Alaine das Wasser im Munde zusammenlaufen. Takahashi war wirklich ein Meister seines Fachs, wenn es um Nudeln ging, konnte ihm kein menschlicher Koch etwas vormachen. Während Alaine jeden Löffel der köstlichen Suppe genoss, hatte TJ bereits aufgegessen und ging hinüber zu Arturo, um seinen Munitionsvorrat aufzustocken. Als er zum Nudelstand zurückkehrte, reichte er ihr ein kleines Päckchen 10-mm-Patronen.
„Dankeschön“,sagte Alaine mit einem Lächeln, aber TJ winkte nur kurz ab. Nicht der Rede wert.
Es war am frühen Nachmittag, als Moe endlich auftauchte. Sie hatten abgesprochen ruhig zu bleiben und ihn zur Rede zu stellen, doch als Alaine ihn bemerkte, verlor sie die Beherrschung. Innerhalb eines Augenblicks schien die gesamte Anspannung, die sie seit dem Aufbruch von Jamaica Plain in sich trug, aus ihr heraus zu brechen. Sie dachte an den leuchtenden Guhl und die beiden Abenteurer, die Moe in den Tod geschickt hatte. Wut stieg in ihr empor wie ein lähmendes Gift, Alaine warf Takahashi die geschuldeten Kronkorken auf den Tisch und stampfte auf Moe zu, der sich mit ein paar T-Shirts in der Hand seinem Laden näherte. Er hatte sie und ihren Freund in Gefahr gebracht, jetzt war Zahltag. Alaine schien wie von Sinnen, TJ rief ihr irgendetwas zu, aber sie hörte ihn nicht. Nun blickte auch Moe zu ihr hinüber, das Lächeln, das sich in seinem Gesicht ausbreitete, erstarb sofort, als Alaine ihre Waffe auf seine Brust richtete.
„Du elender Scheißkerl, du hast uns belogen“, ihre Stimme flackerte vor Zorn auf. „Wir wären fast von Guhlen gefressen worden und du hast es ganz genau gewusst. Du hast gewusst, dass die Hölle in Jamaica Plain auf uns wartet. Und du hast uns nichts gesagt, du verdammtes Arschloch! Du hast uns in den Tod geschickt!“
Moe war starr vor Schreck, nur ein unverständliches Stottern drang über seine zitternden Lippen. Alaine funkelte ihn böse an, die Augen zu Schlitzen verengt stand sie vor ihm und wandte ihren Blick keine Sekunde von seinem verängstigten Gesicht ab. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, langsam realisierte sie, was sie hier tat. Dass sie die Waffe auf einen wehrlosen Mann richtete und das mitten in Diamond City, dann wurde ihr Arm mit einem Ruck nach unten gerissen.
„Was machst du denn hier? Hast du den Verstand verloren?“, rief TJ und starrte sie entgeistert an. Sie hatte sein Näherkommen nicht bemerkt. „Ich bin auch sauer, das kannst du mir glauben, aber wir dürfen nicht die Nerven verlieren. Ich übernehme die Sache jetzt, bevor uns die Wachen noch festnehmen und in eine Zelle werfen. Okay?“
Sie sah beschämt zu Boden, TJ hatte völlig recht. Wie konnte sie nur so die Kontrolle über sich verlieren? Eines Tages würden sie ihre Kurzschlussreaktionen noch ins Grab bringen, Deacon versuchte ihr seit Jahren ins Gewissen zu reden. Denn nicht immer würde jemand da sein, der im letzten Moment für sie in die Bresche sprang. Alaine verstaute Bessie im Holster und nickte, ab jetzt würde sie sich raus halten. TJ nahm den Schläger zur Hand und räusperte sich, dann führte er Moe zu seinem Stand.
„Komm“, sagte er mit einem bittersüßen Tonfall, „reden wir in Ruhe.“
Alaine blieb abseits stehen, aber nah genug, um jedes Wort der Beiden hören zu können. Moe gierte nach dem 2076 World Series Baseballschläger, den TJ ihm die ganze Zeit präsentierte. Er schien sicher gehen zu wollen, dass sein Gegenüber das Verhandlungsobjekt ganz genau im Blick hatte.
„Entschuldige meine Partnerin“, eröffnete TJ das Gespräch, „wir haben eine anstrengende Reise hinter uns, aber das weißt du sicherlich bereits.“
„Natürlich, natürlich“, rief Moe glücklich, als hätte er den Vorfall bereits vergessen. „Oh Mann, ich kann es nicht glauben! Das ist der Schläger, ohne Zweifel! Das ist einfach der Wahnsinn! Ich gebe euch sofort euer Geld.“
Dann drehte Moe sich um und klapperte mit einem kleinen, roten Kästchen, das in hinteren Teil seines Ladens stand. Lässig lehnte sich TJ an die Wand, er wendete den Blick zur Seite und holte tief Luft. Er hatte einen Plan, das konnte Alaine ihm ansehen, dies schien bei Weitem nicht die erste schwierige Verhandlung zu sein, der er sich stelle.
„Moe“, sagte TJ ruhig, „möchtest du uns etwas zu den Ghulen in Jamaica Plain sagen?“
„Nun, dass es dort ein paar Guhle gibt, weißt doch jeder im Commonwealth“, antworte er mit einem Lächeln.
„Nun“,wiederholte TJ, „ich bin aber nicht aus dem Commonwealth. Eine handvoll Ghule sind zu bewältigen, das ist kein Problem für Leute wie dich und mich.“
Er trat näher an Moe heran, sodass dieser einen Schritt zurückweichen wollte. Er stand jedoch sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand. TJ positionierte sich so nahe an Moe, dass er seinen fauligen Atem riechen konnte. „Du wusstest was in Jamaica Plain auf uns wartet und hast uns ohne Vorwarnung ins offene Messer laufen lassen. So etwas gefällt mir und meiner Partnerin ganz und gar nicht.“
Moe zog nervös die Baseballkappe von seinem Kopf. „Heißt das, ihr wollte mehr Kronkorken?“
„Gut, dass du das ansprichst, dann muss ich das nicht machen. Lass uns über die unzähligen Ghule und die erschwerte Situation dort neu verhandeln. Ich denke, das ist nur fair.“ Mit einer Handbewegung deutete er auf Alaines verbundenen Arm.
„Davon habe ich nichts gewusst“, entgegnete Moe schrill und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ich sehe nicht ein, dass ich dafür aufkommen soll. Wir haben 600 Kronkorken ausgemacht, die Summe bleibt entgegen jeder Gefahr. Mehr zahle ich nicht.“
„Du hast also nichts davon gewusst, ja?“ TJ lächelte süffisant. „Warum fällt es mir so schwer, dir zu glauben? Vielleicht kannst du mir erklären, was das hier ist.“ Er reichte Moe den Zettel, den sie bei den Leichen in Jamaica Plain gefunden hatten. „Lies ihn laut vor, wir wollen doch alle hören, was da steht.“
Jetzt hatte TJ ihn da, wo er ihn haben wollte. Seine Augen leuchteten triumphierend auf, als Moe begann jedes einzelne Wort zu lesen. Skeptisch, mit einem fragenden Unterton, vor dem letzten Absatz stoppte er. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Moe Cronin stand in seinem Laden, leichenblass und verschüchtert wie ein Schuljunge, den man beim Lügen ertappt hatte, doch TJ ließ nicht von ihm ab. Im Gegenteil.
„Da steht noch mehr“, sagte er und forderte seinen Gegenüber aus, weiterzulesen.
„Moe Cronin, du verdammter Bastard...“, stotterte er. „Ich warte in der Hölle auf dich und... drehe dir den Hals um...“
TJ wusste, was gleich passierte würde. Eins. Zwei. Drei.
„Das ist ein Betrug!“, polterte Moe los. „Jemand will mir etwas anhängen! Du musst mir glauben, ich habe damit nichts zu tun.“
„Hör jetzt genau zu, Moe Cronin“ TJ tat einen weiteren Schritt auf Moe zu, beide standen nun Brust an Brust. TJ führte seine rechte Hand zum Colt auf dem Rücken. „Wir trafen unterwegs eine Händlerin, die uns warnte und wir haben diese Notiz hier.“ Er war noch nicht fertig. „Es gibt jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder du sagst uns die Wahrheit und wir verhandeln neu, oder meine Partnerin und ich machen dir das restliche und, versprochen, kurze Leben zur Hölle.“
Die letzten Worte spie TJ mit Verachtung in Moes Richtung. Dem Verkäuferschien es die Sprache verschlagen zu haben. Er sah sich nervös um, als befürchtete er, jeden Augenblick könne eine Wache um die Ecke kommen. Dann seufzte er und sackte zusammen.
„Ja, du hast recht“, rief er weinerlich. „Ich habe gewusst, das etwas nicht stimmt. Vor euch haben bereits drei andere Gruppen den Auftrag angenommen, aber keine davon ist zurückgekehrt. Aber ihr saht so aus, als könntet ihr mit allen Schwierigkeiten fertig werden.“
„Warum hast du uns nichts davon erzählt?“
„Ich dachte nicht, dass es notwendig ist. Ihr Zwei seid schließlich keine Anfänger, ihr seid Profis und...“
„Du wolltest den Preis drücken“, unterbrach ihn TJ. „Du hast uns angelogen und bewusst dieser Gefahr ausgesetzt. Weiß du Moe, so läuft das nicht. “
„Was willst du damit sagen?“
„Kein Deal.“
Dies war TJs Lieblingsspiel. In seinem Verhandlungspartner in einer solchen Situation erst ein wenig Hoffnung schüren, ihn aber dann abblitzen lassen. So waren die Leute gefügig und er konnte sie nach Belieben lenken. Erzeigte Moe noch einmal den Schläger, bevor er sich umdrehte. TJ ging einige Schritt auf Alaine zu, dann sagte er: „Ich habe gehört, in Goodneighbor gibt es einen Sammler, der sehr gut für solche Stücke bezahlt. Einen Guhl. Vielleicht sollten wir bei ihm vorbeischauen, aber vorher geben wir diesen Zettel noch bei Diamond City Sicherheit ab. Mach' es gut, Moe.“
Es dauerte nicht lange. TJ und Alaine hatten kaum den Nudelstand erreicht, als Moes laute Stimme hinter ihnen erklang.
„Wartet! Wartet!“, rief er heiser. „Wie viel wollt ihr? 1000?“
„1000 hört sich gut an, für jeden von uns“, sagte TJ.
„Was? Seid ihr verrückt? Das ist Wucher!“
Nun mischte sich auch Alaine ein. „Du hast uns gehört, Moe. 2000 Kronkorken, das ist der Preis. Entweder du zahlst ihn oder wir verschwinden. Du siehst den Schläger nie wieder und landest im Knast, weil du Leute wegen einem Stück Schrott in den Tod geschickt hast. Es ist deine Entscheidung.“
„Ich... ich...“, Moe wischte sich über das vor Schweiß triefende Gesicht. „Ich zahle, verdammt ich zahle. Oh Mann, kommt mit zu meinem Stand, aber ich will euch danach nie wieder sehen!“
Und Moe zahlte.
Tausend Kronkorken für jeden, TJ und Alaine steckten das Geld ein und verabschiedeten sich mit einem Lächeln von ihrem Auftraggeber. Das war besser gelaufen, als gedacht. TJ hatte Alaine beeindruckt, sie lobte sein Vorgehen in den höchsten Tönen. Beide lachten und gingen vergnügt auf die große Treppe zu, die zum Eingang von Diamond City führte. Jetzt hieß es Abschied nehmen.
„Das war ein ganz schönes Abenteuer“, sagte Alaine. „Du bist schwer in Ordnung, weißt du das? Ich wünsche dir alles Gute.“
„Du hast dich gut geschlagen, kleine Dame. Es war mir eine Ehre Schulter an Schulter mit dir kämpfen zu dürfen." Er deutete auf ihren Arm. "Lass dich alsbald behandeln, denn vielleicht brauche ich demnächst mal wieder einen Partner.“ Beim letzten Wort zwinkerte er ihr zu, dann sah er nachdenklich zu Boden und sprach etwas leiser: „Danke. Fürs Reden. Und fürs Zuhören.“
Er sah wieder zu ihr auf und buffte sie, wie am Anfang ihres Abenteuers schon, mit der Faust leicht auf die gesunde Schulter, sodass sie erneut etwas ins Wanken kam. Dann umarmte Alaine TJ, sie drückte ihn fest an sich. Er wirkte überrascht, stieß sie jedoch nicht weg. Ohne ihn noch einmal anzusehen, wandte sie sich um und ging über den Markt. Sie hasste Abschiede und sie wollte nicht, dass er die Tränen sah, die in ihren Augen glitzerten. TJ war ein Freund für sie geworden, er würde ihr fehlen.