Das Krivbeknih

  • Dieser Tagebucheintrag wurde am 24.02.2279 in den verseuchten Unterkammern des Dunwich-Gebäudes (Washington) gefunden.


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    Endlich bin ich an meinem Ziel angekommen. Neben mir erhebt sich der Obelisk bis kurz unter die hohe, mit Stalaktiten bestückte Decke. Ein graziler Frauenkörper ragt wie eine Galionsfigur aus seiner Spitze heraus. Weinranken schlängeln sich an ihm hoch und Totenköpfe stecken überall darin. Unheimlich, gespenstisch, und doch obliegt er einem guten Zweck.
    Zwei Tage irre ich nun schon durch dieses gottlose Gebäude. Steige immer tiefer in die Katakomben hinab und habe Dinge gesehen, die mich beinahe in den Wahnsinn getrieben haben. In meinen Händen halte ich das Buch. Ich habe absichtlich nicht viel darin gelesen. Wahrscheinlich wäre es mir genauso ergangen wie Jamie und seinem Vater. Ich hätte mich in einen dieser wilden Ghule verwandelt. In ein Wesen ohne Sinn und Verstand. Nur mit dem Drang zu töten und zu fressen.
    Das Buch berichtet über die "Älteren Wesen" und ihr Dasein zur Zeit der Entstehung der Erde. Über Schlangenmenschen und über die Kulte der Götter Azathoth, Cthulhu, Nyarlathotep, Shub-Niggurath, Tsathoggua und Yog-Sothoth. Zauber und Rituale zur Anrufung dieser „Großen Alten“ sind darin enthalten. Symbole, Flüche, Formeln. Das ganze Programm.
    In Point Lookout habe ich es gefunden. Auf einem Altar liegend in einer Sumpfhöhle. Die Familie Blackhall hat es lange Zeit besessen, solange, bis es ihnen gestohlen wurde. Und nun will Obadiah Blackhall, der einzig Verbliebene, es zurück haben. Marcella, eine christliche Missionarin dagegen will, dass es zerstört wird. In falschen Händen, sagt sie, kann es das Böse heraufbeschwören. Nur der Obelisk kann dem ein Ende setzen, sagt sie. Also habe ich es hierher gebracht.
    Jamie und sein Vater haben wohl dieselben Absichten gehabt. Konnten dem Buch jedoch nicht wiederstehen. Sind ihm verfallen. Wurden in dessen tiefen Abgründe gezogen wie durch einen Strudel. Doch anstatt zu Göttern, wurden sie zu seelenlosen Monstern.
    Ich erinnere mich an die Tagebücher von Jamie, die ich überall in den Terminals im Gebäude gefunden habe. Darin steht, wie Jamie seinem Vater hierher gefolgt ist. Wie er erkennen muss, dass sein Vater tot ist. Wie er das Buch findet und es nicht mehr aus seinen Gedanken streichen kann. Wie er langsam den Verstand verliert und beginnt, wirres Zeug zu reden. Wie er ein Ritual abhält um die alten Wesen heraufzubeschwören. "Abdul, komm zum Fest für die Schwachen. Alhazred!"
    Und nun bin ich hier. Habe Jamie getötet, weil er zum Ghul geworden ist. Meine Nackenhaare stellen sich beim Gedanken daran zu Berge, dem Buch den Garaus zu machen. Es reizt mich in allen Fasern meines Körpers, es aufzuschlagen und zu lesen. Dessen Geheimnisse zu erforschen. Auf all die Fragen eine Antwort zu bekommen. Sterben werde ich hier unten ohnehin. Ich bin umzingelt von Ghulen. Die Erkenntnis oder der ehrenvolle Tod? Als Ghulmensch weiter zu existieren oder für eine gute Sache sterben? Das ist die Frage.
    Doch die Entscheidung ist längst getroffen. Das Buch bricht langsam auseinander, als ich damit den Obelisk berühre. Zerfällt in meinen Händen zu Staub. Eine leichte Erschütterung ist zu spüren. Dann ist auch schon alles vorbei. Es ist also wahr.
    Mit der Genugtuung das Richtige getan zu haben, lehne ich mich an den Obelisk und ziehe meine 10-mm-Pistole. Lautes Kreischen ist zu hören. Tapsige Schritte im Dunkeln. Sie kommen.

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