• Eine vollständig determinierte Welt müßte ablaufen wie ein Uhrwerk.
    In ihr gibt es keine Probleme und keine Möglichkeit, die Abläufe irgendwie zu beeinflussen.
    Die reale Welt ist nicht von dieser Art. >> Karl Popper




    Prolog


    13 Tage vor dem Day-Z:
    Oklahoma City : 37212 St Augustine St >> 23.07.2024 Di 6:25 a.m.
    Evelyn Joule




    Der Duft von Kaffee stieg bereits in den frühen Morgenstunden zusammen mit der klaren, hellen Sonne, die sich zwischen den Gardienen förmlich hereindrängte und sich zusammen mit den Croissants in der Küche vermischte, über die große Eingangshalle des Hauses über die Treppen hinauf in das Schlafzimmer, in dem es noch dunkel war. Spärlich versuchte die Sonne zwischen den Jalousien hin durchzubrechen, doch das Unterfangen war genauso hoffnungslos als wolle man die schäumende Gischt an der See aufhalten, sich an einem rauen Wellengang an den Felsen des Leuchtturms zu brechen. Das Fenster war gekippt, eine leichte Brise des heranbrechenden Sommers schaffte es im Gegenzug der Sonne sich im Schlafzimmer zu verteilen und legte sich zusammen mit der Seidenbettdecke auf die zarte Haut der Frau, die noch immer in ihren Träumen schlummerte. Das schwarze Haar lag ihr im Gesicht, ihre Wange hervorgequollen, als hätte sie eine Allergie gegen Federn, war ein Resultat davon, da sie immer gern auf ihrem Arm schlief. Ihr Mund stand halb offen, ihre sonst so zarten Lippen quer und verdeckt, ihre Augen geschlossen. Ein kurzes Murren, ein Wimpernschlag einer Sekunde die Hand reflexartig auf die andere Bettseite schlagend, waren wohl die einzigen Anzeichen, dass diese Frau noch unter den Lebenden weilte. Als sie auf eine leere Bettseite schlug und nicht wie gewohnt einen Männerkörper spürte, den leicht fülligeren Bauch der dafür sorgte, dass sie ihren Mann stets Bärchen nannte, zuckten ihre Lider für einen Bruchteil der Sekunde, ehe ihre vollen und grünen Augen verschwommen versuchten die Zahlen der Tischuhr zu entziffern. >>Fieben Uhr Zweifünfzwanfzwick?<< Ihr Atem fühlte sich wärmer auf ihrer Haut an als die Sommerbriese vor der Tür. Die schwarzhaarige Frau, sie drehte sich zur Seite und krallte sich das Kissen ihrer besseren Hälfte, umschlang es als würde ihr Leben davon abhängen und vergaß soeben die Zahlen die sie murmelnd in ihren Arm sabberte. Schlagartig, wie ein Donnerschlag auf eine Trommel schlugen ihre Augen auf. Es dauerte keine Sekunde um zu realisieren was sie soeben wieder vergaß. Adrenalin schoss durch ihren kompletten Körper und ihre Augen fixierten nun das eingekrallte Kissen, dessen Bezug nun faltiger war als ihre Augen. Das Grün ihrer Regenbogenhaut zog sich zusammen, das Schwarz ihrer Iris so fixiert auf das Fenster dessen Jalousie noch immer die Sonne davon abhielt hereinzubrechen. Ihr Herz schlug wie verrückt und der erste Gedanke den sie hatte war sogleich mit einem Auftrieb verbunden, der sie wörtlich aus dem Bett katapultierte. >>FUCK!<< Entglitt es ihrem Mund und Kissen sowie Bettbezug flogen in alle Himmelsrichtungen umher. Die Schwarzhaarige war davon überzeugt, dass Menschen übernatürliche Kräfte entwickelten wenn sie verschliefen. Wie sonst, konnte man sich erklären was sich in den nächsten Augenblicken abspielen sollte? Die Jalousie wurden mit einem donnernden Knallen nach oben geschlagen sodass sie wieder ein viertel nach unten fielen. Nun endlich hatte die Sonne gewonnen und erhellte das nun zerwühlte Schlafzimmer. Noch während sie den nächsten Sprung über ihre Klamotten machte als wäre sie eine Stabweitspringerin in der diesjährigen Olympiade, griff sie mit einem Spurt ihre Klamotten vom Stuhl, rannte in das Badezimmer und steckte sich die Zahnbürste in den Mund, während Arme und Beine von allein Koordinierten. Es war Rekordzeit denn in binnen von Minuten war sie fertig angezogen und bereit den Zahnpastaschaum in das Waschbecken zu spucken. Wieder zurück im Schlafzimmer warf sie das benutzte Handtuch auf das Bett und griff nach ihrem Holster, der wie ein Gürtel am Stuhl baumelte sowie nach ihrer Dienstmarke. Erst jetzt, wo das Adrenalin langsam aufhörte zu wirken, hatte sie Stimmen des Radios, den alten Wetter Klaus, so wie sie ihn immer nannte obwohl es sich hierbei um eine 24 jähirge Radiomoderatorin handelte die schon immer das Wetter mit engelsgleicher Stimme ansagte, aus der Küche vernommen. Neugierig aber mit einer suspekten, hochgezogenen Augenbraue, schlurfte die junge Frau über den Flur die Treppen hinab in die Küche.


    Ein Ausdruck von Verwirrtheit lag auf ihrem Gesicht, welchen man nicht mal deuten musste wenn man blind war. >>Guten Morgen Evelyn Schatz.<< Ein breites Grinsen überzog das mit einem Dreitagebart bestickten Gesicht ihres Mannes, der mit einer Kochschürze und einer Pfanne bewaffnet mit dieser auf Evelyn deutete. >>A-aber?<< Sie legte ihren Kopf schräg zur Seite, begutachtete misstrauisch den brutzelnden Speck in der Pfanne dessen Farbe so rotbräunlich Bronze schimmerte, wie die Haare von Joe, ihrem Gatten. Ein erneuter misstrauischer Blick flog zu ihm, dann wanderte der Blick auf die Wanduhr, die mittlerweile 6:32 zeigte. Ein hämisches Grinsen legte sich über ihre roten Lippen und eine Faust ballte sich zum Angriff, dann schlug sie ihrem Mann auf die Schulter. Dieser lächelte und drückte seiner Frau einen Kuss auf den Mund. >>Die Einzige Möglichkeit dich aus dem Bett zu kriegen Süße.<< Er wandte sich ab und stellte die Pfanne zurück auf den Herd und wendete den knisternden Speck mit einem Pfannenwender. >>Wir haben uns zwar geschworen „Bis der Tod uns scheidet“ aber es war nicht ausgemacht, dass wir die Zeit die uns bleibt nur mit Schlafen verbringen und tot spielen<< Bedrohlich richtete er den Pfannenwender auf seine Frau und lächelte fies dabei. >>Man kann Kanonenkugeln in deiner Gegenwart abfeuern und dich würde das nicht stören, Fräulein<< Als wolle er seinen fiesen, taktischen Plan feiern weil er die Uhr um eine Stunde vorgestellt hatte, fuchtelte er wie der junge D’Artagnan mit dem Pfannenwender herum und steckte ihn in die Schürze, worauf er sich zufrieden an die Küchenplatte lehnte und mit dem Ellenbogen die Pfanne zum Kippen brachte. Evelyn zeigte wortlos auf das Spektakel und erfreute sich an ihrer Schadenfreude und an der Tollpatschigkeit ihres Mannes. Das brutzelnde Fett sowie der Speck ergossen sich in einem Schwall zusammen mit einer aufdonnernden Pfanne auf dem Boden, auf seine Schürze und hinterließ einen Geruch, als hätte Joe ein Bad in einer Baconfabrik genommen. Die schwarzhaarige lachte spielerisch auf. >>Kleine Sünden bestraft Gott als erstes, mein Lieber.<< sie schlurfte zu ihrem Gatten und zupfte ein Stück Speck von seiner Schulter, dabei biss sie genusshaft hinein und warf ihrem Mann einen erotischen Blick zu. >>Das ist der Stoff aus dem meine Träume gemacht sind. Bedeckt und eingewickelt in knusprigen Frühstücksspeck, darunter der Mann meiner Träume den es sich lohnt zu vernaschen.<< Eher gequält und mit einem aufgesetzten Lächeln erwiderte er den Blick von Evelyn. Er seufzte und warf einen Blick auf die Uhr. >>Jetzt darf ich wieder unter die Dusche und komme zu spät zur Arbeit. Meine Kollegen werden mir den Kopf abreißen wenn ich wieder zu spät komme.<< Er legte vorsichtig die Schürze ab und wandte sich nun der Tür zu, die er gerade passieren wollte. Evelyn, sie gab ihrem Mann noch einen Klaps auf den Hintern ehe sie einen Teller holte und den Speck vom Boden aufklaubte und auf den Tisch stellte.


    Draußen vom Flur hörte man bereits kleine, aber donnernde Schritte die sich wie eine Herde wild gewordener Elefanten anhörten und sich in Richtung Küche bewegten. >>Mooooommmmmmyyyyyy<< hallte es bereits 13 Straßenblocks weiter durch das Haus und ein kleines Klammeräffchen drückte die Beine von Evelyn so stark zusammen, dass sie kurz ins Wanken geriet. >>Heeyy meine Kleine, na? Was hast du da?<< Elizabeth, oder einfach nur, Liz, strahlte ihre Mutter mit einem helleren und wärmeren Sonnenscheinlächeln an als die Sonne es jemals hinbekommen hätte. Liz war Evelyns und Joes kleine Tochter gewesen die mehr Energie besaß als ihre Eltern zusammen. Liz drückte ihrer Mutter liebevoll ein kleines Stück Papier in die Hand, worauf sie ein kleines Haus gemalt hatte, in dem in Strichmännchenmanier Evelyn, Joe und die kleine Liz zu sehen waren. Die schwarzhaarige Frau nahm Liz auf den Arm, küsste ihre Wange und versuchte ebenfalls mit einem Sonnenstrahlenlächeln zu kontern. Es war aussichtslos. Ihre Tochter gewann diesen Kampf immer. Liz strahlte eine förmliche Ruhe aus die man nicht erklären konnte obwohl das Kind so aktiv und neugierig war. Liz interessierte sich längst schon in ihrem Alter für Dinge die eher ungewöhnlich waren. Spielten Kinder in ihrer Umgebung im Kindergarten im Sandkasten, so schnappte sich Liz ein Buch und tat so als würde sie lesen. Während sich Kinder um ein Spielzeug stritten, so war Liz draußen in der Natur und begutachtete die Schmetterlinge dabei wie sie vom Wind getragen wurden. Liz verkörperte viele Eigenschaften von Joe und Evelyn. So war sie stets herrschend und stur wenn sie, wie ihre Mutter, etwas haben wollte aber auch bedacht und zurückhaltend und mit einem großen Interesse in der Natur, so wie es ihr Vater ist. Woher das rothaarige Mädchen allerdings die Sommersprossen hatte, da waren sich Joe und Evelyn einstimmig sicher, der Postbote hatte gute Arbeit geleistet.Evelyn setzte das kleine Mädchen auf den Stuhl. >>Na Liz Spätzchen, welchen Becher willst du heute haben<< Die Mutter öffnete einen Glashängeschrank und deutete auf verschiedenen Farben. Liz dachte angestrengt nach, als wäre die Frage, die sie gerade gestellt bekommen hatte, ausschlaggebend für den Weltfrieden oder nicht. Sie wandte sich auf ihrem Stuhl mal zur linken Seite und zur Rechten, dabei falteten sich ihre Augenbrauen eng zusammen und Falten legten sich auf ihre Stirn. Schließlich deutete sie auf einen grünen Plastikbecher. >>Den da?<< erwiderte Evelyn neckisch und deutete auf den gelben. >>Neeeeeeiiiiiin Mommy, den grüüüüünen<< Ein großes Lächeln zierte sich auf den Lippen der Mutter, dann schenkte sie der Kleinen einen Schluck Orangensaft ein. Kaum hatte sie diesen weggestellt und wollte sich gerade setzen, klingelte es an der Tür. Ein tiefes und dröhnendes Schallen einer Glocke wie in einem Schloss, hallte durch den Hausflur. Irritierend blickte Evelyn auf die Uhr. 6:48. Erst wollte sie die Tür nicht öffnen doch Liz drängte die Mutter förmlich dazu. >>Mommy Tüüühhhüüürr<< Sie lächelte, seufzte und legte eine Hand auf Liz’s Kopf. >>Schon gut Kleines. Ich mach auf und du wartest hier. Ja? Mommy ist gleich zurück und du isst brav etwas, hast du gehört? Sonst erzähle ich das Mister Bommels das du nichts gegessen hast und er kommt dann heute nicht mit in den Kindergarten.<< Mister Bommels, ein Stoffhase den Liz seit Anbeginn der Zeit hatte. Er war ihr persönlicher Schutzengel wenn böse Monster unter dem Bett hausten oder draußen ein Unwetter tobte. Sie zog Mister Bommels den Hasen eigentlich überall mithin und teilte jede Sekunde mit ihm.


    An der Tür angekommen konnte sie aus einem Teil der undurchsichtigen milchglasähnlichen Glasfassade zwei große Männer erkennen die auf der Veranda warteten. Neugierig zog Evelyn die Tür auf und blickte mit einem abschätzenden und durchdringenden Blick, zusammen mit zusammengekniffenen Augen die beiden Herren im Anzug und Sonnenbrille an. Es lag in ihrer Natur und auch in ihrem Beruf Menschen die sie das erste Mal sah genauestens einzuordnen und abzuschätzen. Es war Fluch und ein Segen. Es war nicht kontrollierbar, es war einfach vorhanden. So konnte sie über den rechten Mann sogleich aussagen, dass dieser eine unruhige und eher schlampige Person war. Ein Teil seines Hemdzipfels ragte über seinen Gürtel hinaus und auf seinem Hemdkragen waren Krümel von Croissants zu erkennen. Den zweiten Mann brauchte sie nicht einmal genauestens betrachten ohne zu erkennen, dass dieser vorschnell handeln würde, würde man ihn auf die Palme bringen. Er knackte stets mit seinem rechten Zeigefinger und an seiner Stirn zeichneten sich wiederkehrende Falten aus die darauf schließen, dass er öfters unter seiner Brille mit dem Auge zuckte. Er war unruhig, kein Geselle den man in seiner Abendspielrunde dabei haben wollte oder mit dem man generell ein Wort wechselte. Evelyn warf sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türstock. >>Zwei Männer in Schwarz mit einer Sonnenbrille und einem dämlich aussehnenden Hut aus den 40igern. Ist irgendwo Mottoparty wovon ich nichts weiß<< Evelyn war eine zynisch sarkastische und eigentlich kalte Person gegenüber anderen Menschen die nicht zu dem Kreis gehörten den sie liebte. Davon gab es nur eine Handvoll Menschen die dazuzählten. Der Croissantmensch räusperte sich kurz und kam direkt zur Sache. >>Wir würden gerne mit Dr. Joule sprechen.Er muss unverzüglich mit uns nach Brookline. Code 43<< Evelyn zog eine Augenbraue nach oben. >>Code was?<< Sie hatte tatsächlich nicht bemerkt, dass die Aussage weniger an Evelyn gerichtet war als an Joe, der gerade mit einem Handtuch in den Haaren seinen Kopf rubbelte und hinter seiner Frau herantrat. >>Code 43? Wie hoch ist das Sicherheitsrisiko? Wie viele Personen sind Involviert? Ist die Quarantäne bereits eingeleitet worden? Is - … << Einer der Männer erhob die Hand. >>Wir haben einen Bericht der alles umfasst hier. Bitte kommen sie unverzüglich mit um das Schlimmste zu verhindern.<<

  • 13 Tage vor dem Day-Z:
    Oklahoma City : 37212 St Augustine St>> 23.07.2024 Di 7:25 a.m.
    Evelyn Joule




    Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt geahnt was passieren würde, nachdem Dr. Joe Joule das Haus mit den schwarzen Männern verlassen hatte. Dr. Joule war Biochemikant in einer bekannten Pharmaindustrie zur Erforschung nicht heilbarer Krankheiten gewesen und seine Abteilung unter seiner Leitung hatte die letzten Tage einen Durchbruch erzielt, der die Weltgeschichte verändern sollte. Es wurde an einem Mutagen gearbeitet, welches Kranke und Tote Zellen in gewisser Weise reaktiveren und aufbauen sollte. Damit ließe sich der Alterungsprozess erheblich verlangsamen und somit gehörten Krankheiten wie Krebs oder Demenz der Vergangenheit an. Kaputtes oder zerstörtes Gewebe durch Autounfälle könnten somit neu aufgebaut werden und man wäre nicht länger an dem Mangel an Organspenden angewiesen. Es war eine Zukunftsvision im Hier und Jetzt und Joe war einer von wenigen, der genau an diesem Projekt arbeitete. Evelyn verstand nicht viel von den Biowissenschaften ihres Mannes und so sprachen beide eher weniger über die Arbeit wenn sie zu Hause waren. Das war leider nicht immer so. Die schwarzhaarige Frau übte selbst einen Beruf in einem angesehenen Dezernat aus, der sie vollkommen mit Vergewaltigern, Mördern und anderen Schwerverbrechern in Anspruch nahm. Bevor Liz das Antlitz der Welt erblickte, war es schwierig für Beide einen gemeinsamen Nenner zu finden, da beide Menschen versuchten ihre Arbeit nicht nach Hause zu nehmen. Für Evelyn war es wichtig Abstand von Akten, psychologischen Profilen und vor allem von meist geistesgestörten Tätern zu nehmen und so war es für Joe wichtig, nicht zu Hause Tag für Nacht vor seinen Forschungen zu sitzen und zu arbeiten. Eigentlich war es ein Wunder, nein, Liz war das Wunder, warum das Ehepaar noch zusammen war. Es gab eine Zeit, in der ein Serienmörder und Vergewaltiger seinen Unfug in Oklahoma trieb, wo Joe und seine Abteilung am Durchbruch des Mutagens forschten. Es war eine Zeit, in der Arbeit mehr dominierte als die Beziehung der beiden frisch verheirateten und es war für beide sinnig, dass ihre Beziehung mehr als auf der Kippe stand. Arbeit und Arbeit stand im Vordergrund. Nach der Arbeit wurde geschlafen oder die Nächte wurden mit Kaffee und billigen Energiedrinks, dessen süßlicher Gummibärchenduft sich überall verteilte, überbrückt. Beide hätten zu diesem Zeitpunkt mehr dickflüssigen Syrup mit einem Zuckergehalt von 200% im Blut gehabt als normale Blutkörperchen. Joe und Evelyn zählen zu diesen Arten von Menschen, die, wenn sie etwas anstellen, sie es richtig und mit 110% tun. Es wurde viel gestritten und als auch Evelyn ihre Mutter verlor, brach sie in einen Strudel der Verzweiflung. Sie ließ niemanden und nichts mehr an sich ran. Akten, Zahlen, Profile, der Sinn nach Gerechtigkeit der in diesem Augenblick in ihren Augen vollkommen erlosch, war der einzige Antrieb das Haus überhaupt noch zu verlassen. Als Evelyn schließlich schwanger war und Liz dann das Licht der Welt erblickte, so fanden auch beide den gemeinsamen Weg, einen Gang hinunter zu schalten.



    Das kleine Mädchen trampelte geschickt die Treppen nach oben in ihr Kinderzimmer wo sie lauthals zu singen anfing. Liz liebte es Lieder im Radio nachzusingen. Die beiden Eltern sprachen immer scherzhaft davon, dass an Liz eine Sängerin verloren ging. Ihre schiefe Tonlage und die falschen Worte, die sie immerzu aussprach, hielten sie aber nicht davon ab die komplette Nachbarschaft mit ihrem Singgesang zu unterhalten. Die Mutter Räumte das Geschirr zusammen in die Spülmaschine und programmierte diese auf ein paar Stunden. Ein Pieps zum Einstellen der Uhr, der zweite durchdringende Pfeifton zur Bestätigung des Programmes, ehe die viereckige Kiste das Wasser mit einem lauten Getöse in das Innere der Maschine pumpte. Evelyn seufzte und blickte auf die Uhr. >>Es tut mir leid Schatz. Ich werde ein paar Tage in Brookline verbringen müssen um die Angelegenheiten wieder ins Lot zu bringen. Mach dir keine Sorgen, ich bin bald wieder da. Sag unserer Kleinen das Daddy heute Abend keine Geschichte vorlesen kann.<< Nur Joe durfte der Kleinen zusammen mit Mister Bommels auf dem Schoß Geschichten aus dem Märchenbuch vorlesen. Liz verstand es nämlich sehr gut, Dinge zu hinterfragen und jedes Mal wenn ihr Papa einen Satz beendet hatte, folgte meist die Frage: >>Wiesooo Daddy? Warum?<< Evelyn hatte nicht die Ausdauer oder die Muse sich auf all die Fragen zu konzentrieren um eine passende Antwort zu finden doch ihr Mann war da anders, schließlich war Evelyn diejenige, die normalerweise die Fragen stellte. Wenn es darum ging Geschichten zu erfinden oder die Märchen auszuschmücken, ging Joe vollsten in seinem Element auf. Wenn es sein musste, dann erzählte er viele Geschichten auch ohne dem Buch nur um nach dem Strahlen der Augen seiner Tochter zu greifen. In der Hinsicht hatte er mehr Geduld als Evelyn. Evelyn war auch in ihrer Rolle als Cop eher die energische, mit viel Energie und wenig Geduld. Gut und gern war trat sie in die Rolle des bösen Cops. Auf der Straße weit gefürchtet und ihr Ruf eilte ihr voraus. Sie war bekannt dafür die Grenzen der Regeln um ein vielfaches zu überschreiten wenn es sein musste und das brachte ihr definitiv regelmäßigen Ärger und viele Gespräche bei ihrem Vorgesetzten ein. Warum sie noch längst nicht gefeuert wurde lag wohl daran, dass ihre Methoden oft zum Ziel verhalfen. Wenn es darum ging von A nach D zu gehen, war sie Diejenige die bei E anfing bevor sie B und C durchklapperte. Ihr Instinkt und ihre Art Dinge anzupacken waren Grenzwertig, aber effektiv. Zu Hause war Evelyn eine ruhige und gute Mutter. Auf der Straße diejenige, der man besser nicht ansatzweise im Hellen begegnen sollte.



    Als Liz nun in der Tür stand mit ihrem kleinen, rosaroten Rucksack mit vielen Aufklebern und Bildern, mit Mister Bommels in der Hand, der Arme Hase sah aus als würde ihm sämtliche Gliedmaßen ausgerissen da Liz seine Hand so nach oben zerrte, dass ein halber Hase quer auf dem Boden geschliffen wurde, sah sie neugierig zu ihrer Mutter auf. >>Wo ist Daddy?<< Evelyn wickelte das belegte Brot in eine Folie ein und kniete sich vor Liz auf den Boden um es in den Rucksack zu packen. >>Daddy muss Arbeiten mein Schatz. Heute bringe ich dich in den Kindergarten. Später hole ich dich auch wieder ab. Daddy ist ein paar Tagen auf reisen.<< Es dauerte nicht lange und Liz blähte ihre Wangen zu enormerer Größe auf, sodass sich unter ihren Sommersprossen diese noch rötlicher abzeichneten als sie sonst schon waren. Die schwarzhaarige Mutter strich ihrem Kind sorgevoll über die Haare und lächelte dabei. >>Sei nicht böse mein Spätzchen. Papa wird dir bestimmt was mitbringen<< Zack! Das war das Zauberwort. Noch konnte man Liz damit bestechen, wenn man ihr eine Überraschung machte. Die Kleine liebte Überraschungen und das war das einzige Drohungsmittel welches beide Elternteile noch hatten. Die Frage war nur, wie lange noch?



    Evelyn schickte das Mädchen schon einmal vor an das Auto während die schwarzhaarige Polizistin noch ihren Revolver aus dem Safe holte und in ihrem Holster verstaute. Ein weiterer, prüfender Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass sie trotz des Chaos heute in der Früh, zudem sie nicht ganz unschuldig war, pünktlich waren. Liz Kindergarten lag nicht weit von ihren Blocks entfernt und dennoch bestand Evelyn damals darauf, dass das Kind zusammen mit ihren Eltern gebracht wurde. Es gab zwar Fahrgemeinschaften und Sammelbusse extra für den Kindergarten, doch das wollte gerade Evelyn nicht zulassen. Hohn und Spott waren das Resultat daraus, wie beide Eltern das Kind erzogen. Die Nachbarn waren eifersüchtig darauf, wie Joe und Evelyn es handhaben konnten ein so quicklebendiges Kind großzuziehen ohne es zu verhätscheln, wo beide einen angesehenen und einen sehr gut bezahlten Job genossen der zudem noch viel Zeit in Anspruch nahm. Es ging, so sagte Evelyn stets genervt wenn man sie darauf ansprach und dabei konterte sie mit bösen Blicken, wenn man ihr Vorwarf, dass das Kind darunter leiden würde wenn beide Eltern so viel Arbeiteten. Nein, das war falsch. Das Ehepaar gab sich große Mühe, dass genau das nicht der Fall war, nicht noch einmal. Nicht schon wieder sollte die Arbeit über das Leben der Beiden bestimmen und einen Keil dazwischen treiben. Wichtiger als einen geregelten Tagesablauf zu haben war in der Ansicht von Joe, dass man zu sich selbst fand und erkannte, was einem das Wichtigste war.



    Im Auto hatte Evelyn das Autoradio Vollendens aufgedreht und Liz tanzte zusammen mit Mister Bommels im Kindersitz auf der Rückbank des Wagens. Immer wieder erhaschte sich die Frau dabei wie ein kleines Lächeln auf ihren Lippen lag, wenn sie in den Rückspiegel blickte und ihre Tochter sah. Schon nach kurzer Zeit parkte der große und geräumige Wagen auf dem Parkplatz des Kindergartens und mit eleganten Schritten und einem aufrechten Gang, schwang sich die Frau einmal um das Auto um die Tür zu Liz zu öffnen. Sie gab ihrem Mädchen einen Kuss auf die Stirn, öffnete den Sicherheitsgurt und hob die Kleine aus dem Auto wobei sie sich dabei Kritik einhandelte. >>Mommy! Ich bin ein grooßes Mädchen ich kann das schon alleine! Du musst das nicht tun!<< Evelyn lächelte. >>Ja mein Spätzchen ich weiß. Und wenn es sein muss, dann heb ich dich mit 30 immer noch aus dem Auto. Du wirst immer meine Kleine bleiben<< Sie neckte ihre Tochter und streckte ihr kurz ihre Zunge heraus, was Liz ihr gleichtat. Als beide Hand in Hand auf die Tür zugingen, sich beide mit einem dicken Knuddler verabschiedeten und Evelyn auch Mister Bommels einen Kuss aufdrückte, so war die Rolle der Mutter für die Morgenstunde vorerst beendet. Die Tür schloss sich und als würde sich ein eisiger Hauch auf das Gesicht der Frau legen, streifte sie sich eine schwarze Haarsträhne hinter ihr Ohr.Es war ein Austauschgeschäft von Personen. Als wäre Evelyn, die lebensfrohe und strahlende Mutter hinter den Türen verschwunden und ein böser Zwilling, dessen Lächeln nur dann einherging, wenn sie sich am Leid anderer ergötzte, aufgetaucht der nun ihre Rolle einnahm. Sie setzte sich ins Auto und drückte die Zündung. Der Wagen sprang ohne Murren an und fuhr fast lautlos vom Platz. Unter der Fahrt klingelte Evelyns Telefon. Das blinkende und surrende Display in der Halterung versprach nichts Gutes. Die Polizistin hatte einen siebten Sinn dafür wie ein Telefon läutete. So war sie felsenfest davon überzeugt, dass sie bemerkte wie ein Telefon stärker schellte, was es natürlich nicht tat, wenn unangenehme Nachrichten oder Personen auf sie warteten. In diesem Fall war es genau diese Intuition was sie eigentlich daran hinderte den grünen Rufknopf am Telefon zu drücken um das Gespräch zu beantworten. Es schellte. Es schellte weiter. Es vibrierte in seiner Manier, sodass es sich, nach Evelyns Vorstellung, schon gleich aus der Halterung löste. Als der Anruf ins Leere ging, das Display erlosch und eine blinkende Anzeige hinterließ, atmete die Frau genervt durch, bog um die Ecke auf einer langen Geraden und blieb vor einer Ampel stehen. Sie spielte mit einer Haarsträhne indem sie diese immer und immer wieder um den Finger wickelte und dabei mit aufgeblasenen und verärgerten Wangen die hupenden Fahrer begutachtete, wie sie sich in ihrem Alltag verloren und sich zum Ziel setzten, am lautesten und längsten zu Hupen. Als gäbe es einen Preis oder als wäre es ein Volkssport gewesen durch das energische Hupen die rote Ampel dazu zu bewegen, schneller auf Grün zu schalten. Nichts. Eine weitere Evelynsche Theorie war, hupte man eine Ampel noch so lange an wie man will, sie würde sich Zeit lassen und länger auf Rot schalten als wenn man ihr ihren Job machen ließ.


    Schließlich schellte das Telefon mit einer erneuten Aufschrift wieder. Der energische, grüne Punkt blinkte wie verrückt und umso mehr er blinkte, umso eher wollte er, dass Evelyn abnahm. > Evelynsche Theorie > Die Schwarzhaarige warf einen kurzen, aber zynischen Blick auf das Telefon. >CHEF< Wackelte in der Anzeige mit dahinter gesetzten Wutsmilies und die Polizistin drückte an einem Knopf an ihrem Headset im Ohr, um das Gespräch zu beginnen.


  • Ein Vieh frisst wie das Vieh, und auch der Mensch, insoferne er ein Vieh ist, frisst wie dieses von der Erde, er soll jedoch nicht sein wie ein Vieh, sondern soll ein vom Ewigen her Bestimmter aus dem gespeist werden, was ewig ist. Denn er ist nicht als Vieh geschaffen, sondern als Mensch, als Ebenbild Gottes und als sein Gleichnis. Der Viehische Leib ist ein anderer als jener, der sich von dem Baume nährt, der aus der Wurzel Gottes wächst. Dieser Leib des Menschen ist nämlich der ewige Leib, Gott nachgebildet, ihm gleich und darum unsterblich. Als Unsterblicher wurde der Mensch geschaffen >> Paralcelsus’




    Kapitel I


    13 Tage vor dem Day-Z:
    Oklahoma City: Will Rogers World Airport -7100 Terminal
    >> 23.07.2024 Di 11.45 a.m.
    Dr. Jospeh Joule



    Der Wagen donnerte mit tobendem Getöse über jedes Schlagloch und über jeden Gullideckel. Nach einer Weile hatte Dr. Joule bereits das Gefühl, dass der Fahrer dies mit Absicht machte. Der Wagen war nicht so geräumig wie sein eigener, das konnte er bereits daran erkennen, dass nach wenigen Fahrtstunden ihm seine Beine wehtaten da der Mann vor ihm am Beifahrersitz nichts davon hielt den Sitz nach vorne zu rutschen. Ein komisches, überzogenes Lederhellbraun gepaart mit dem Geruch eines Neuwagens machte die Fahrt umso unerträglicher. Joe hatte seine Gedanken wo anders und so blickte er in sich gesunken gelangweilt aus dem Fenster, mit der Faust unter seinem Kinn, abgestützt an der Handlehne, an der man das Fenster rauf- und runterfahren konnte. Er seufzte ab und an und dachte dabei an Liz und seiner Frau. Wie schön hatte er sich seinen Arbeitstag vorgestellt. Eigentlich war Joe die nächsten Monate in Oklahoma City zugeteilt was bedeutete, pünktliche Arbeitszeiten und vor allem Zeit mit seiner Familie. Brookline lag insgesamt 25 Autostunden ohne Verkehr von seiner Haustüre entfernt und dieser Umstand, den er in seinem Kopf mehrmals überschlug, brachte ihm die Zweifel ins Gesicht ansatzweise die nächsten Tage zu Hause zu sein.


    Nachdem er neugieriger Weise an sämtlichen Hebeln, Knöpfen und Schaltern mindestens einmal gedrückt oder gezogen hatte die sich ihm im Auto offenbarten, sprang plötzlich vom Beifahrersitz vor ihm eine Klappe entgegen die eiskalt beschloss, ihm die Autofahrt noch schwerer zu machen, indem sie noch mehr Platz einnahm. Mit einem prüfenden Blick auf die Uhr sah er nach draußen wie sie an einer Tankstelle vorbeifuhren. Seine Augen hafteten wie ein Magnet an der großen Leuchtreklame wie sie zuerst ganz groß, dann immer mehr in die Ferne trat. Er seufzte erneut und fasste sich an seinen Magen der nun anfing zu rebellieren. >>Könnten wir vielleicht kurz halt machen? Ich will zumindest einen Kaffee wenn wir schon nicht anhalten um einen Happen zu essen … Oder zumindest das Autoradio anschalten? Auf 86,7 läuft diese witzige Show mit den zwei Brüdern. … Nein?<< Seine Forderungen blieben ungehört. Die beiden Männer verstanden es auf nichts zu reagieren was sie selbst nicht betrafen. Er hatte sich leicht zwischen Fahrer- und Beifahrersitz nach vorne gelehnt, seine linke Hand dabei an der Fahrerlehne. Prüfend sah er zwischen beiden Kontrahenten hin und her, wobei sich niemand angesprochen fühlte. Ein weiteres Seufzen zerriss die dicke und stille Luft im Wagen und wurde damit abgelöst, dass der Unruhige Augenzucker in den nächsten Gang schaltete. Der Wagen verlor kurz an Tempo und der Motor jaulte auf, als hätte man ihn mit einem Messer an der Ölleitung bedroht. Das Auto, es machte einen Satz nach vorne und der Drehzahlmesser fiel von 4,5 wieder zurück auf 1,2. Es drückte Joe förmlich zurück in den Sitz. >>Wie ihr wollt<< presste er eher höhnisch und mehr zu sich protestierend hervor.
    Er fuhr sich einmal mehr mit seiner rechten Hand durch sein kurzes, rotes Haar und versuchte mit wenigen Handgriffen die Sitzablage wieder in seine Ausgangsposition zurückzubringen. Es machte erst einmal Klick, dann ein weiteres Mal. Mit einem Hebel in die richtige Position gebracht, verhinderte der Rotschopf, dass der Tisch ein erneutes Mal nach unten fiel.
    Wenige Minuten später passierten die Drei eine Abzweigung auf dem Highway der nach Richtung Airport deutete. Ein leichtes Aufatmen konnte man auf den billigen Plätzen im Auto vernehmen. In vielerlei Hinsicht war dieses Aufatmen gerechtfertigt, so erhoffte sich der Dr. für ein paar Minuten verschwinden zu können um zumindest einen Baigle essen zu können. Oder zwei, oder drei.


    Als der Wagen mit einem viel zu schnellen Tempo auf die Parklücke zufuhr und abrupt zum Stehen kam, hatte sich der Rothaarige bereits darauf eingestellt, dass es unangenehm werden konnte. In der Tat löste sich erneut das Tablett vom Beifahrersitz und donnerte mit einem leisen Knall dem Doktor genau auf die Knie. Seine Wangen plusterten sich auf und er biss sich halb auf die Zunge und halb auf die Unterlippe, damit er nicht in die Versuchung kam einen der beiden Männer jetzt den Hals umzudrehen, nicht als ob er je einen Hauch einer Chance gehabt hätte. Joe öffnete die Tür und atmete tief durch. Der Parkplatzgeruch von Diesel und Benzin war zwar kein Deut besser gewesen wie der lederige Neuwagengeruch des Autos, aber immerhin eine willkommene Abwechslung. Er korrigierte auf dem Parkplatz seine Ärmel seines Hemdes indem er sie nach oben krempelte und mit einem Knopf befestigte, dann hielt er sich die flache Handkante an die Stirn und blickte in den Himmel. Ein leichtes Schmunzeln überzog seien Lippen. >>So schlecht kann der Tag nicht werden. Habt viel Spaß meine Süßen.<< Er wandte sich an den Kofferraum und holte einen schwarzen Lederkoffer zusammen mit seinem Jackette hervor, welches er über den Arm warf.


    Die zwei Männer in Schwarz passierten bereits die Airporthaupthalle undfixierten ein nebenstehendes, kleines, mit Holzfassaden abgetrenntes, schnuckliges Café an. Ein leichtes Strahlen in seinen braunen Augen blitzte auf, als die Hoffnung in seinem Verstand groß genug war, jetzt einen Happen essen zu dürfen. Der Geruch von Kaffee stieg ihm in die Nase und das Getummel von Menschen um ihn herum, drängte sich immer mehr in den Hintergrund. Die hallenden und durcheinanderliegenden Stimmen wurden leiser und leiser und sein Verstand arbeitete nur noch mit einem Gedanken. ESSEN! Irgendwie hatte die Sache einen Haken, dass hatte Joe im Urin. Er musterte beide Männer in Schwarz und blickte erneut zum Café, als niemand Anstalten machte dort hinzugehen. >>Evelynsche Theorie, umso mehr man sich auf etwas freut, umso weniger tritt es in Kraft. … Hach Frau, jetzt hast du mich auch damit angesteckt …<< Er musste kurz auflachen und mit einem Flügelschlag eines Kolibris setzte die Welt ihre Zeit voran und die vielen Stimmen der Passagiere dröhnten erneut an das Gehör des Mannes. Er kratzte sich am Dreitagebart und blickte suspekt einen der Männer an. Er hatte gerade Luft holen wollen, seine Lungen aufgebläht und Worte auf seiner Zunge zurechtgelegt, doch ein dumpfer und tiefer Seufzer überkam seinen Lippen, als er seinen Namen in der Ferne hörte. >>Joseph?<< Er drehte seinen Kopf blitzschnell in die Richtung des Cafés, indem nun ein etwas kleingewachsener Mann mit langen, aber nach hinten gekämmten, braunen Haaren und ebenfalls einem Lederkoffer in der Hand, auf die werten Herren zuging. >>Brian?<< Brian war ein alter Studienfreund von Joe gewesen mit dem er sich ein Zimmer teilte. Beide hatten, was ihr Fachgeiet anging, dieselben Interessen und so arbeiteten sie stets oft zusammen. Brian war genau der Typ den man im ersten Augenblick in eine Schublade steckte, genauso wie er aussah. Brians Statur war schmächtiger und kleiner als Joseph’sgewesen, wobei Joseph auch nicht zu den großen Männern zählte. Evelyn beispielsweise war für eine Frau überdurchschnittlich großund das zeigte sich besonders dann, wenn sie ihren Mann umarmte und er sein Gesicht an Körperpartien presste, die besonders weich waren. Seine Frau war ein Kopf größer als er und das benutzte sie stets um ihren Mann zu ärgern.


    >>Wie geht’s dir altes Haus? Mit Frau und Kind alles in Ordnung? Was machst du hier?<< Joseph strahlte ein Lächeln aus das dafür sorgte, dass er seinen Hunger für einen Augenblick vergessen konnte. Er nickte zufrieden und klopfte seinem Kumpanen auf die Schulter. >>Alles Bestens. Evelyn und ich führen nun ein wunderbares Familienleben und es ist erschreckend wie schnell Liz erwachsen wird. Ich bin Beruflich in Brookline unterwegs. Es gab einen Vorfall im Labor der Untersucht werden soll. Genaueres hatte man mir noch nicht gesagt.<< Brian bestätigte Joes Aussage. Auch er war beauftragt worden sich den Vorfall anzusehen. Beide gingen sie in Richtung Terminal. >>Die Kleine macht schon vieles Allein und dabei hat sie die Dickköpfigkeit ihrer Mutter geerbt. Immerhin besitzt das Mädchen die Ausdauer Dinge selbst zu entdecken und solange das nicht klappt wie sie sich das vorstellt, oh glaub mir, das wird dann sehr sehr schnell theatralisch. << Er machte eine ausschweifende Handbewegung. >>Und wie geht es dir und Katie<< Brian zuckte leicht mit den Schultern, setzte ein gespieltes Lächeln auf und zeigte seine linke Hand an der man gut erkennen konnte, dass an dem Platz, wo normalerweise der Ehering saß, eine weiße Naht zu sehen war. Joseph biss sich auf seine Unterlippe. Sein Herz setzte für einen Augenblick aus dann klopfte er seinem Kumpanen auf die Schulter. >>Das tut mir leid. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm war.<< Brian nickte erneut, dieses Mal verständnisvoller. >>Schon gut, schon gut Joe. Es kam wie es kommen musste. Nachdem wir beide zwar beschlossen hatten es miteinander noch einmal zu versuchen, hatte sie ihre Kraft lieber darin investiert den Nachbarsjungen in Sachen Biologie Nachhilfe zu geben. Ich hab sie kurzerhand rausgeschmissen und die Scheidung eingereicht. Freut mich aber zu hören das es euch nun wieder gut geht.<< Brian war in derschwierigen Phase in der auch Evelyn und Joe steckten, das Standbein für beide. Manchmal war es nicht ganz Fair da Brian hauptsächlich alles abbekommen hatte, aber das schweißte das Dreiergespannnur enger zusammen.Ohne wissentlich bemerkt zu haben, dass sich die zwei Männer in Schwarz entfernt hatten um etwas zu holen, bauten sich zwei Schatten im Rücken von Joe auf. Einer der beiden Männer drückte Brian und Joseph einen Umschlag in die Hand. >>Euer Flug geht in 23 Minuten. Wenn ihr angekommen seid, dann wendet euch an Dr. Plank. Er wird euch Zugriff auf Level 0 gewähren.<< Level 0 war die höchste Sicherheitsstufe im Labor gewesen. Nur wenig autorisierte Personen hatten Zugriff auf diesen Sektor um zu vermeiden, dass viele Menschen mit bakteriellen Experimenten in Berührung kamen. Es herrschte strikte Schutzanzugspflicht und Reinlichkeit, sowie Dokumentationszwang. Alle Schritte wurden aufgezeichnet, alle Experimente und die noch so kleinsten Proben erfasst und notiert sowie ausgewertet. Ebenfalls durfte man Level 0 nur dann passieren, wenn man zu zweit war. Niemand konnte Level 0 allein durchqueren. Wortlos und eher mit einem großen, kindlichen Blick, nahm Joseph den Umschlag entgegen, öffnete diesen und holte zwei Flugtickets hervor. Im anderen Umschlag, den Brian erhalten hatte, befanden sich Dokumente und Aufzeichnungen, die mit dem Vorfall im Labor zu tun hatten. Die brummige Mannesstimme des Croissantmenschen verstummte. Sie legten eine noch ungewollte Schweigeminute ein, da Brian die Berichte kurz durchblätterte und überflog, Joseph die beiden Männer musterte die nichts mehr zu sagen hatten und die Männer, die bereits den Ausgang der Halle fixierten.


    Beide Doktoren passierten den Metalldetektor und legten ihre Wertgegenstände wie Uhren, Geldbeutel, Gürtel und Co. Auf das Fließband, während sie von Securities untersucht wurden. Als beide das grüne Licht erhielten fanden sie sich schon ziemlich schnell im Flieger wieder an ihren Plätzen. Joe hatte den Fensterplatz ergattert und sogleich einen alten Freund wiedergefunden, der Sitztisch, der gerade nur darauf wartete aus seiner Halterung zu springen um auf seine Knie zu fallen. Joe warf dem Tisch einen verachtenden und warnenden Blick zu, zeigte mit seinem Finger auf ihn während Brain mit einer hochgezogenen Augenbraue den Umschlag weiterreichte. >>Alles klar?<< Joe lächelte keck und nickte leicht. Eine Stewardess kontrollierte alle Sitzplätze im Vorbeigehen noch einmal und schwang ihren gut aussehenden Hintern von einer Seite zur anderen. Mehrmals hatte sie einige Passagiere darum gebeten ihre Elektrogeräte auszuschalten und sich anzuschnallen. Sobald das erledigt war, konnte es schon gleich losgehen. Die Standartboardansage bedankte sich dafür, dass die Passagiere die Flugairline für ihre Reisen benutzten, dann ratterte er eine gefühlte Ewigkeit die Möglichkeiten ab, was man sich zu Essen oder Trinken bestellen konnte.Das Flugzeug hatte endlich begonnen an Fahrt aufzunehmen und als alle in der Luft waren, löste Joe erst einmal den Gurt von seinem Schoß, löste die Halterung für den Tisch und stellte seinen Laptop darauf ab. Mit geschickten Fingern startete er den Laptop und zugleich fischte er seine Brille aus seinem Jackett um die ersten Zeilen des Berichtes zu überliegen. Schon bei den ersten Worten musste er schwer schlucken, denn das Ausmaß war deutlich größer als bisher angenommen.



    UNKONTROLLIERTER AUSBRUCH DES MUTAGENS Aktenzeichen #6-F843



    F O L G E M Ö G L I C H E R A U S B R U C H


    E I N H E I T L I C H E S


    M E N S C H E N S T E R B E N

  • Kapitel II


    13 Tage vor dem Day-Z:
    Boston: Logan International Airport
    >> 23.07.2024 Di 05:00 p.m.
    Dr. Joule




    Das Flugzeug landete auf weichen Rädern auf der Landebahn im Bostoner Flughafen in der Nähe von Brookline. Die Passagiere klatschten in gewohnter Manier für den kurzen Flug von bisschen mehr als 5 Stunden und nach und nach hallte das auflösende Klicken der Sicherheitsgurte sowie wie das aufatmende Gemurmel der Passagiere durch die Gänge, wie das Schnattern mehrerer Zugvögel in einem Zoo. Brian und Joseph waren wohl die einzigen Menschen in diesem Flugzeug gewesen, die weniger aufatmeten und mal zumal an Farbe verloren. Schnell das Gepäck zusammengetragen und die Laptops zusammen mit den Dokumenten in den beiden Lederkoffern verstaut, trabten sie mit wackeligen Beinen über die Stufen hinab zum Airport, als bestünde der Fußboden aus aufgeweichtem Linoleum vermischt mit Treibsand. Jeder Schritt wurde schwerer und schwerer. In Boston war es tatsächlich ein wenig kühler gewesen als in Oklahoma was beiden Männern eine leichte Gänsehaut auf die Arme trieb, als ein kalter Hauch der Meeresbriese darüber streifte. Brian versuchte zu entspannen indem er seine Arme angewinkelt in die Luft streckte und kurz aufstöhnte, indem er sich streckte, dann dem nachdenkenden Joseph auf die Schultern klopfte. >>Lass uns was essen. Tütenerdnüsse sind nicht gerade das Festmahl eines Champions und wir brauchen unsere Denkleistung noch, oder?<< Joseph nahm seine Brille von der Nase und kaute nachdenklich auf seinem Bügel herum. Eher abwesend ließ er die Aussage seines Freundes an sich vorbeiziehen. Es dauerte erst eine kurze Minute bis diese Information in sein Ohr gelang, dann eine weitere bis sie verarbeitet schien. Er nickte kurz bedacht. Knappe Worte waren jetzt nicht angebracht, eine Gestik zum Verständnis musste reichen.


    Nicht weit vom Airport, ein paar Straßenecken weiter, fanden sich die zwei Doktoren in einem Restaurant wieder, welches offen zur Straße lag. Sie nahmen sich einen Tisch bei dem man einen guten Blick auf die Stadt hatte. Nach einigen Minuten brachte die Kellnerin, nach der Bestellung, das Essen und verschwand mit einem netten Lächeln wieder. Brian, der sich eine Servierte auf den Schoß legte, nahm das Besteck in die Hand und spießte ein paar Speckbohnen auf die Gabel. >>Hau rein Großer<< Joseph zuckte Gedankenversunken zusammen und betrachtete sein Steak auf dem Teller, wie die Kräuterbutter auf dem zart gebranntem Fleisch langsam zum Tellerrand schmolz und die Speckbohnen einnahmen. Mit der Gabel stierte der Rotschopf zuerst bei den Bohnen umher, dann zerdrückte er den Rest der Kräuterbutter auf dem Steak als würde er das Leben einer Fliege beenden. Schließlich legte er die Gabel weg und griff nach dem Weinglas unmittelbar vor ihm. Er setzte mit seinen Lippen an und trank einen Schluck, dann fasste er sich mit seiner Hand an die Stirn während er mit seiner Linken das Weinglas schaukelte, sodass der Inhalt in Wallungen geriet. >>In dem Bericht stand, dass unsere Testobjekte nach der Injektion des Mutagens keinerlei besonderen Auffälligkeiten aufwiesen. Das Mutagen griff die kranken Zellen an, baute sie ab und heilte sie ganz.<< Brian schlürfte an einer Speckbohne und zog sie wie eine Spaghetti in den Mund. >>Iw weiß, iw hawb dewn Bewricht gelewsen<< Joseph hörte nicht zu und führte seinen Monolog weiter. >>Bei jedem Testobjekt war ein anderes Verhaltensmuster zu beobachten. Einige der Testobjekte zeigten keinerlei Reaktion bis das Gen wirkte. Andere Probanden stießen es ab und starben. Dann aber verhielten sich alle gleich. Nach einer gewissen Zeit, bis sich das Gen ausbreitete, wurden die Testobjekte verrückt, bis sie an einem Herzinfarkt starben.<< Mit einem prüfenden Blick musterte er Brian, der gerade sein Steak in der Mitte zerteilte und sich ein großes Stück in den Mund schob. Joe, er nippte noch einmal an seinem Wein, dann kippte er den gesamten Inhalt in sich hinein und stellte das leere Glas zurück auf den Tisch, wobei er mit dem Teller in Berührung kam und ein kleines, wenn auch nur kurzes, Konzert anstimmte, da das Glas zu Hallen begann. Mit zwei Finger auf die Oberkannte des Glases gelegt, setzte er ein ‚Silentium‘ und unterbrach wie ein Dirigent das Schauspiel. Mit ernsten Falten auf der Stirn aß nun auch Joe etwas von seinem Steak, kaute mehrmals darauf herum und schluckte den Bissen hinunter, tupfte sich mit einer Servierte den Mund ab und fuhr fort. >>Zumindest glaubte man, dass unsere Testobjekte tot waren, denn nach einigen Minuten bis Stunden entwickelte das Gen eine neue Wirkung, indem es wie ein Wirt Besitz ergreift, das tote Gewebe reaktiviert und das Testobjekt wieder ins Leben zurückholt. Alle verstorbenen Ratten wiesen Verhaltensstörungen auf, denn ihre kognitiven Fähigkeiten waren bis auf das Minimalste eingeschränkt. Sie wurden aggressiv, bis sie die Ratten fraßen, die kein Mutagen verabreicht bekommen hatten. …<< Er seufzte breit und stieß sich mit seinem Körper zurück in den Stuhl. Brian legte eine Hand auf die von Joseph. >>Das Resultat mag zwar dasselbe gewesen sein, das zeitliche Muster der Verwandlung war stets ein unterschiedliches. In dem Bericht wurde nicht erwähnt was mit den Testobjekten passiert ist, ob sie nach ihrer „Auferstehung“ << - Er formte mit beiden Händen mit Zeige und Mittelfinger imaginäre Anführungszeichen - >>Nicht doch wieder das Zeitliche segneten. Die Berichte und Aufzeichnungen sowie die Protokollierung ging sofort raus als man dieses Verhalten beobachtete hatte. In der Zwischenzeit ist mit Sicherheit einiges passiert und wir beide sind nicht längst Up to Date. Lass für heute Schluss machen und uns die Sache morgen genauer ansehen. Dann analysieren wir die Genstruktur und bauen auf eine neue Zellstruktur auf. Joseph. Wir haben fähige Leute die alles unter Kontrolle haben. Nur weil wir nicht anwesend sind heißt es nicht, dass die Welt dadurch untergeht. Du weißt es selbst, wie die Dokumentationen geführt werden. Strikt nach Ansage und mit ernstem Nachdruck. Wir beide haben das oft selbst durchgemacht. Manchmal wird hier und da etwas fehlinterpretiert oder zu hochgeschaukelt damit man eine Panik auslöst. Pff.<< Er lächelte verspielt und aß einen weiteren Happen von seinem Steak. Joe konnte nicht anders als zustimmend nicken und sich ebenfalls ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Brian wusste immer zum rechten Zeitpunkt wann er etwas sagen musste, um zumindest für eine kurze Zeit die Sorgen aus der Welt zu treiben. Plötzlich vibrierte es in Joe’s Jackett und sein Telefon leuchtete in einem hellen weiß auf. Die Aufschrift Evelyn Süße, ließ sein Herz wieder in einem normalen Rhythmus fallen. Jetzt waren seine Sorgen definitiv vorerst weg und diese Zeit versuchte er unendlich wie in einer Sanduhr einzufangen. Er musste sie nur oft genug umdrehen um diesen Augenblick Ewigkeit werden zu lassen. Brian nickte seinem Kumpel zu, dieser stand auf und ging ein paar Schritte zur Seite, nahm das Gespräch an und wurde mit einem freudigen >>DADDDDYYYYY<< begrüßt, das man mit Sicherheit durch die ganze Straße hören konnte.



    12 Tage vor dem Day-Z:
    Brookline: Forschungseinrichtung Abstergo Industries
    >> 24.07.2024 Mi 06:45 a.m.
    Dr. Joule




    Die Sonne spitzte zwischen einem dunsten Nebel über beide Gebäudespitzen des Abstergo Industries Gebäude hervor und brach sich an der Glasfassade der Türme. Abstergo war ein großer Komplex, eingezäunt und mit Sicherheitsvorkehrungen bespickt, sodass ein Reinkommen für Außenstehende ohne Befugnis kaum möglich war. Von außen vermochte man glauben, wenn man die Reklame und Tafeln missachtete, dass es sich hierbei um eine Anstalt oder einem großen Gefängnis handelte. Auf dem Vorhof des Gebäudes zierte das Abstergo Logo einen großen Brunnen, dessen Wasser sich in einem darunterliegenden Becken sammelte. Dunstiger Nebel schlich sich wie in einem schlechten Horrorfilm auf dem Boden bis hin zur Glaseingangstür. Fehlte nur der Sensenmann, der jeden Moment mit seinen knochigen Klauen und seiner scharfen Sense nach den Leben der beiden Doktoren greifen würde. Joseph und Brian marschierten auf die große Glasdoppelflügeltür zu, die sich mit einem surrenden Geräusch langsam öffnete. Wenn man die Eingangshalle betrat, so konnte man fast glauben man befand sich in einem botanischen Garten. Bäume, exotische Pflanzen, ein kleiner Bach der sich an einer rechten Glasfensterfront vorbeizog, bewässerte weitere exotische Bäume die man in seiner Form nur in den Tropen kannte. Holzbänke, Sessel und Versammlungsplätze waren zusammen mit Bäumen in der großen Halle verteilt. In der Mitte der Halle stand bereits eine junge Dame Mitte 20 die mit einem strahlenden Lächeln die beiden Doktoren begrüßte. Hinter der Anmeldung erstreckten sich zwei große Rolltreppen die einmal in ein Stockwerk nach oben Bewegten sowie ein Glasaufzug, der in die unteren Bereiche des Komplexes führte. Beruhigende, schon fast langweilige, Einkaufsmusik erhellte die Eingangshalle.


    Brian, der es sich zur Aufgabe machte die Anmeldung zu vollführen, flirtete mit der jungen Dame an der Rezeption und verlangte nach Dr. Plank, der die Ausweise für die beiden bereithalten sollte. Joseph, dessen Augenringe tiefer saßen als jede Sandgrube die Liz im Sandkasten buddelte, betrachtete sein Spiegelbild in der großen Glasfront zu seiner Rechten, dessen Blick auf den Innenhofgarten von seinem Antlitz ablenkte. Er gähnte leise, hielt sich seine Hand vor dem Mund und bewegte seinen Kopf langsam zu Brian. Seine Gedanken waren unsortiert und laut, deswegen hörte er nur halbe Wortfetzen des Gesprächs. >>Dr. Plank musste sich entschuldigen. Er ist unerwartet krank geworden.<< Die Dame kramte in der Schublade herum und zog zwei Ausweise hervor. >>Er bat mich vor seinem Verabschieden Ihnen das hier zu überreichen zusammen mit diesem Umschlag<< Joseph nahm den Umschlag entgegen, Brian die Ausweise. >>Dr. Joule, Dr. Smith, schön, dass Sie so kurzfristig herkommen konnten. Bitte folgen sie dem Weg zum Aufzug. Man erwartet sie im Untergeschoss. Alles weitere wird Ihnen zur Verfügung gestellt.<< Die beiden Doktoren nickten kurz und knapp, gingen an dem Rundell vorbei, in dem sich die Anmeldung befand, und wackelten mit schiefen Beinen zum Aufzug, dessen Tür ebenfalls mit einem futuristischen „Wusch“ aufging. Kaum auf den Knopf gedrückt, surrte der Glasaufzug in Richtung Untergeschoss. Jedes Geschoss das sie passierten, offenbarte ein wunderbaren Anblick dessen, wie das Gebäude aufgebaut war. So gab es pro Geschoss immer eine Glasfront, aus der man einen kleinen und liebevoll angelegten Miniaturgarten sah. Brian und Joe schwiegen sich im Aufzug an. Die beiden hatten den ganzen Morgen noch nicht sonderlich viel geredet. Das lag eher an Brians Morgenmuffligkeit und an der Tatsache, dass Joe seine Tochter nicht drücken und aus dem Bett bringen konnte. Beide waren also wörtlich nicht ganz auf den Beinen. Ein prüfender Blick auf sein Handy zeigte, umso weiter sie nach unten fuhren und umso mehr Stockwerke sie passierten, umso weniger zeigte der Empfangsbalken auf dem Telefon seine Striche an. Schließlich erloschen sie ganz und der Bildschirmhintergrund änderte sein Bild. Auf der Taskleiste konnte man sehen wie ein „Kein Empfang“ Schriftzug neben der Batterieanzeige aufleuchtete, dessen Akku noch 63% aufwies. Er steckte es in sein Jackett und öffnete den Umschlag. >>Passwörter und Zugangsdaten. …<< murmelte er in sich hinein. Brian schenkte seinen Kumpanen nur einen müden Blick und schongleich öffnete sich die Tür zum Untergeschoss. Level 0, thronte in einem großen Schriftzug an der Wand und wies mit einem Pfeil auf eine groß verschlossene Glastür, dessen Sicherheitsschloss mit einer Karte passierbar war. Joseph und Brian steckten jeweils ihre Karten in das Auslesegerät und begaben sich in die Eingangshallte des Forscherzentrums. Trotz der frühen Morgenstunden, war hier schon einiges am Werk. Man sah viele Männer und Frauen in weißen Kitteln wie sie Dokumente unterzeichneten, wie sie Dinge an Computern eintippten oder sich über das Fernsehprogramm gestern Abend unterhielten.


    Der runde Raum war in sich in viele Bereiche gegliedert dessen Zugangstüren zu weiteren Abteilungen führten. So war auf der Linken eine eigene medizinische Versorgungsstation in denen Krankheiten von Patienten oder Unfälle behandelt wurden. Auf der rechten erstreckte sich ein langer Gang dessen Türen in jeweilige Test- und Forschungsbereichen aufgliederten. Auch hier gab es eine Art Anmeldung zu der Joseph und Brian aufschlossen. Beide wurden mit einem muffligen >>Guten Morgen<< begrüßt. Joseph zwang sich zu einem Lächeln. >>Morgen<< erwiderte er trocken und hob dabei seine Hand. Seine roten Haare stachen unter den ganzen weißen Kittelträgern besonders hervor. >>Uns ist zu Ohren gekommen, dass Dr. Plank krank geworden ist?<< Er musste sich einen weiteren Gähner unterdrücken. Die Anmeldungsdame nickte ernst. >>Ja. Es war gestern passiert. Er hatte Tag und Nacht an seiner Forschung zum Mutagen Z-476 gearbeitet. Spät am Nachmittag ereilte ihn ein Schwächeanfall. Er hat sich selbst mit Medikamente behandelt und ist dann nach Hause zu seiner Frau. Er sah recht blass aus und wir vermuten, dass er eine Grippe angeschleppt hat die dann bei ihm ausbrach, als er sich überarbeitete. Zur Zeit hatten viele Laboranten die Grippe, weswegen wir ziemlich unterbesetzt sind. Ein Teil der Männer und Frauen liegt zu Hause im Bett und trinken Nudelsuppe.<< Die etwas ältere Dame räusperte sich kurz und nickte aussagend, bis sie mit ihren Schultern zuckte. >>Er ist auch nicht mehr der Jüngste und das weiß er.<< Das stimmte. Dr. Plank war in der Tat ein Mann dessen Alter man an der Anzahl seiner grauen Haare auf dem Kopf, die soweit reichten das man sie an einer Hand abzählen hätte können, ansah. Er war zwar Fit im Kopf, aber meist tendierte er dazu seine Arbeit zu fixieren und sich dabei zu vernachlässigen.
    Joseph verstand und wünschte ihm gute Besserung.


    Die Dame stand von ihrem Arbeitsplatz auf und versetzte ihren Bildschirm in den ‚Idle‘-Modus, dann schüttelte sie den beiden Herren die Hand, zeigte dann auf die Tür zu den Laboratorien. >>Ich bin die Vertretung für Dr. Plank. Ich gebe nicht viel auf das Doktorgehabe, deswegen nennt mich einfach Jenny. Hier entlang.<< Jenny öffnete eines der Sicherheitstüren mit ihrem speziellen Ausweis den auch Joe und Brian vorhin erhalten hatten. Die drei passierten den langen Gang aus dem man durch eine geschützte Panzerglaswand die einzelnen Laboratorien sehen konnte, in denen jeweils zu zweit gearbeitet wurde. Auf dem Linoleumboden waren verschiedene Wege wie im Krankenhaus mit verschiedenen Farben aufgezeichnet, die überall zu verschiedenen Bereichen führte. Es war wie in einer Schnitzeljagt in der man den Hinweisen folgen musste. Joseph hatte schon immer an das Märchen Hänsel und Gretel denken müssen, wenn er die Wegweiser betrachtete.


    Jenny räusperte sich erneut. Joseph blickte die Dame an und wusste, dass ihr Räuspern kein Anzeichen von Halsproblemen war, nein, sie war Raucherin und das war eine Angewohnheit die sie nicht mehr losbrachte. >>Die Quarantäne wurde gestern bereits wieder aufgehoben. Einige neue Forscher hatten vergessen ihre Dokumentationspflicht zu erfüllen als sie mit dem Mutagen Z-476 arbeiteten. Als sie Abschnitt 0 passierten gab es ein Chaos, da niemand nachvollziehen konnte wo sich das Testgen zu diesem Zeitpunkt befand. Die Neulinge hatten einige Tests durchführen wollen und in ihrer Aufregung die Liste vergessen. Das Resultat war einfach. Die beiden haben es geschafft den ganzen Betrieb auf Sektor 0 für einige Stunden lahmzulegen.<< Sie seufzte und während ihr rauchiger Atem sich mit ihrer kratzigen Stimme vermischte, boxte Brian Joseph in die Seite. >>Na was hab ich dir gesagt Großer.<< Der Rotschopf rollte mit seinen Augen. >>Ist ja gut. …<< Brian lächelte das erste Mal an diesem Morgen. >>Dann besteht kein Infektionsrisiko auf der Station?<< Der schlaksige Mann durchbohrte mit seinem, ICH WILL EINEN KAFFEE, Blick die Dame die sich schon wieder räusperte. Sie nickte verneinend. >>Ich gehe davon aus, Sie haben den Bericht gelesen?<< Alle Drei blieben vor einem Büro stehen, dessen Tür ebenfalls mit einer Schlüsselkarte geöffnet wurde. Das vertraute „Zisch“ signalisierte zusammen mit der grünen Leuchtdiode, dass die Tür aufging. >>Das wird Ihr Arbeitsplatz sein, fühlt euch wie zu Hause. Die restlichen Forschungsunterlagen finden Sie in den jeweiligen Akten zu Ihrer Rechten. Wenn sie sonst etwas brauche dann … << >>Kaffee!<< Schoss es dem kleinen Mann aus dem Mund. >>Ohne Kaffee überlebe ich keine Sekunde an diesem Morgen und die Plörre die man uns im Hotel servierte … Pfa. Das Kaffee zu nennen. …<< Jetzt handelte sich Brian einen Seitenhieb von Joseph ein, der ihn angestrengt musterte. Mit tiefer Luft in seinen Lungen legte er sich einige Worte auf seiner Zunge zurecht. >>Vielen Dank. Wenn wir etwas brauchen melden wir uns bei Ihnen, äh bei dir. Jenny? Ich bin Joseph, das ist Brian. Nenn mich einfach Joe.<< Die Frau nickte knapp. >>Die Testobjekte, die im Bericht erwähnt wurden, wo genau befinden die sich jetzt?<< Jenny deutete mit ihren krummen Finger an das Ende des Ganges, dann machte sie eine Luftbewegung nach Richtung links. >>Labor 7G. Dort werden die Tests durchgeführt.<< Ihre Antworten waren präzise und mit einer gewissen Art von Langeweile gespickt. Joe konnte nicht ganz einschätzen ob sie urlaubsreif war, oder ob sie wenig geschlafen hatte. An ihren Augen konnte man jedenfalls keins von beiden Ablesen. Die beiden Freunde nickten der Frau beständig zu, die sich in der Tür wieder umdrehte und zu ihren Platz wanderte. Brian setzte sich an seinen Arbeitsplatz und nickte seinem Kumpel zu. >>Alles klar, dann kanns losgehen!<< Mit einem nicht hörbaren „Klick“ und dem Aufflimmern des Bildschirmes, offenbarte sich das Abstergo Firmenlogo ehe die Zugangsdaten gefragt waren, um Zugriff auf den Server zu erhalten.

  • Jospeh hatte sich kaum an seinen Arbeitsplatz gesetzt und einige Akten durchgeblättert, dann entfuhr ihm ein lauter Seufzer. Er blickte spärlich über seinen flimmernden Bildschirm und betrachtete Brian, wie er angestrengt etwas in den Computer tippte. Seine schwarze Lesebrille rutschte seinem glatten Nasenrücken ein wenig hinunter und während er die Seiten der braunen Mappe umblätterte, sämtliche Notizen in sich aufsog und verarbeitete legte sich seine Stirn in Falten. Eher abgelenkt blickte er immer wieder auf sein Telefon, welches er neben dem Bildschirm aufstellte. >>Willst du telefonieren?<< Joseph nickte verneinend. >>Schon gut. Später.<< Er drückte die Idle-Taste auf seinem Mobiltelefon und ließ den Schriftzug – Kein Netz – somit verschwinden. Nachdem er eine weitere Seite überblättert hatte, fielen ihm einige Bilder in den Schoß, die mit Büroklammern befestigt waren und sich lösten. Auf den Aufnahmen waren die Testobjekte abgebildet die auf der Rückseite der Bilder mit spezifischen Nummern versehen worden waren.


    >>Testobjekt #11 ; #13 und #17 vor der Injektion des Mutagens Z-476. Labortiere alle in unterschiedlichen Altersstadien. <<


    Das Bild zeigte 3 Ratten die jeweils verschiedene Frakturen oder Narben an ihren Körpern aufwiesen. Ratte #11 besaß ein Geschwür am rechten Auge. Ratte # 13 fehlte eine Klaue. Ratte # 17 war gesund.
    Joseph legte das Bild beiseite und betrachtete das nächste angestrengt. Das Bild war einige Stunden nach der ersten Injektion aufgenommen worden. Zwei nicht zu erkennenden Laboranten, hielten die Ratte mit dem Geschwür am Auge in den Händen während die andere mit einer Spritze eine grünliche Flüssigkeit injizierte.


    >>Testobjekt #11 wurde das Mutagen Z-476 nach der Nahrungsaufnahme verabreicht. Testobjekt wird unter Quarantäne gestellt und beobachtet. Aufzeichnungen im Videoarchiv Projekt: 476 zu finden. <<


    Stand es auf der Rückseite des Fotos. Joseph legte das Bild zurück in die Akte und klemmte es unter die Büroklammer, bewegte die Maus mit einem Ruck, sodass der Bildschirm auf mysteriöser Weise wieder ansprang, wo er sich selbst vorhin von allein in den Energiesparmodus versetzte. Auch hier dominierte das Abstergo Logo den Hintergrund mit schwungvollen Lichteffekten. Mit wenigen Klicks und Zugangswörtern verschaffte sich der Doktor Zugriff auf den Server. Der kleine weiße Zeiger der vom unteren Rand des Bildschirms auf einen Ordner zuwanderte, öffnete diesen und wählte eine Videodatei aus. Schongleich ploppte das dazugehörige Programm auf, welches die Datei abspielte.Eine Männliche, alte Stimme ertönte. Es war Dr. Plank gewesen. An seiner Tonart hörte man das Alter und die Weisheit, die in seiner Erfahrung als Doktor lag.


    >>19.07.2024 Ortszeit 11:34 p.m.. Schädigung: Ratte weißt einen Tumor unterhalb des rechten Auges auf. Beginne mit der Injektion des Objekts #11.<<


    Seine Monotone Stimmlage war bester Stoff eines Horrorfilmes. Das Bildmaterial war gut durchleuchtet und in einer klaren Auflösung, dennoch hatte es durch den Laborhintergrund einen grünlichen Schimmer, was das Video irgendwie surreal wirken ließ. Ein anderer Laborant hatte die Ratte in die Hand genommen die sich ungewöhnlicher Weise kaum zierte. Dr. Plank verabreichte dem Testobjekt eine Injektion mit der vorbereiteten, silbernen Edelstahlspritze dessen Kartusche durchsichtig und mit einer grünen Flüssigkeit gefüllt war. Anschließend wurde die Ratte in eine andere Kiste gesperrt und unter Beobachtung gestellt.Die Kamera schwenkte auf das Testobjekt und von dort an lief die Aufnahme im Zeitraffer weiter, was man dadurch sehen konnte, wie unnatürlich schnell sich alles bewegte und die Zahlen der Aufnahmezeit rechts unten im Bild einen Marathon ins Unendliche liefen. Zusätzlich war der Ton verschwunden. Auf dem Video war zu sehen wie nach und nach die Stunden verstrichen bis die neuen Tage anbrachen. Über das Wochenende hin hatte sich das Geschwür merklich zusammengezogen und neue Hautzellen hatten sich gebildet. Der Tumor ging zurück, neues Fell bildete sich, dann brach das Video ab.


    Joseph rückte sich seine Brille zurecht und blickte prüfend auf die Uhr. 9:22. Er nahm die Tasse voll mit Kaffee, die Brian vorhin organisiert hatte, von seinem Tisch und nippte daran. Schließlich fuhr der Zeiger auf die nächsten Videos, die Testobjekte # 12 und #17 zeigten. Die Filme spielten sich immer gleich ab als hätte man einen faulen Regisseur gehabt, der immer und immer wieder dieselbe Szene drehte, nur andere Schauspieler verwendete um den Best möglichsten Augenblick abzudrehen. Auch hier endete das Video unspektakulär und abrupt. Wieder blickte der Rothaarige auf die Uhr, tippte auf sein Telefon und begutachtete sein Hintergrundfoto, welches seine Frau und sein Kind zeigte. Er lächelte sanft und kratzte sich an seinem stoppligen Bart. Er hatte zuvor gar nicht bemerkt, dass Brian das Büro verlassen hatte und er nun ganz allein war. Streckend drückte er sich zurück in seinen Stuhl und machte einen lauten und entspannenden Ton, der die surrende Stille durch die Monitore im Büro zerriss. Nun klickte er auf das vorletzte Video.


    >>Testobjekte #11, #13 entwickelten erstaunliche Regenrationsmuster. #17 entwickelte ein undurchdringliches Immunsystem. Weitere gespritzte Krankheitserreger hatten keine Auswirkung auf Krankheiten und wurden sofort abgestoßen.<<


    Die Kamera schwenkte nun auf die 3 Boxen in denen sich die Ratten befanden. Allesamt saßen sie hingekauert in der Ecke und ihr Puls raste rasant. Dr. Plank klopfte gegen die Scheibe. Zuerst war keinerlei Reaktion zu sehen. Als Plank allerdings weiter auf die Scheibe tippte, wurde die Ratte aggressiver und fing zu fauchen an. Ihre Augen waren milchig und ihr Verhalten, zu vorher, eher gestört.


    >>Testobjekte weisen neues Verhaltensmuster auf. Vitale Funktionen sind in Ordnung. Kognitive Fähigkeiten sind nicht beeinträchtigt. Erhöhter Puls ist zu verzeichnen. Wunden sind nicht zurückgekehrt. Beginnen mit Wiedereingliederung in das Soziale Netzwerk.<<


    Die drei Glaskäfige wurden nun mit einem Henkel zurück in eine neue Kammer gebracht, in der ebenfalls Ratten aufbewahrt wurden und keine Injektion erhalten hatten. Die Kamera stellte sich zuerst unscharf und fixierte allmählich einen Punkt, an dem man den kompletten Laufstall nach einer kurzen Zeit gestochen scharf erkennen konnte. Kaum hatten die Ratten das alte Nest verlassen, begannen sie wie wild und ununterbrochen umherzulaufen. Ab hier begann die Aufnahme wieder im Zeitraffer bis alle drei Testratten in einem ungefähren gleichen Zeitabschnitt umkippten und zuletzt noch mit den Hinterbeinen zuckten. Joseph spulte mit einem Mausklick noch einmal zu diesem Drehbuchabschnitt, für ihn war das wie ein spannender Low Budget Film, zurück und notierte sich die Zeiten, in denen die Ratten umgefallen waren. Im Hintergrund hatte Joseph das bestätigen des Kartenauslesegerätes vernommen sowie das Surren der aufgehenden Tür. Brian, er kam mit zwei Tellern mit Sandwiches an und blickte seinem Freund über die Schultern. >>Damit du mir nicht vom Fleisch fällst. Schon was gefunden?<< Joe kratzte sich wieder an seinem Bart, nahm das Sandwich dankend an und biss einen großen Happen davon ab. Er nickte leicht zögerlich. >>Im Prinzip das, was im Bericht stand. Das Videomaterial vertieft die Auswirkungen des Mutagens Z-476. Ich bin gleich durch mit den Aufzeichnungen, dann will ich mir das ganze Spektakel mal genauer ansehen.<< Er nahm noch einen Bissen von seinem Sandwich, dann klickte er kauend auf die letzte Datei. Wie in gewohnter Manier ploppte das dazugehörige Programm auf und spielte die Datei darin ab.


    Im Zeitraffer konnte man sehen wie die Ratten zu einem späteren Zeitpunkt sich wieder bewegten. Sie setzten sich auf alle vier Beine auf und zuckten seltsam mit ihrem Kopf. Die Kamera zoomte näher heran und nahm die Bilder gestochen scharf auf. Zuerst bewegten sich die Testobjekte seltsam. Sie drehten sich mehrmals hinkend im Kreis, schnupperten in der Luft, dann fingen sie lauthals an zu fauchen. Es dauerte keine Sekunde, dann preschten alle drei Objekte zu den anderen Ratten. Sie bissen und Kratzten, waren unnatürlich aggressiv gegenüber ihrer Spezies und begannen nach und nach an deren Fleisch zu nagen. Die Aufnahme lief weiter. Man konnte das tierische Fiepen der Opfer genauestens hören. Es war wie nun ein noch schlechterer Horrorfilm oder besser, ein Konzert des Todes, dessen Grausamkeit weit über der Vorstellung dessen Lag, was sich gerade abspielte. Die Ratten fielen über Ihresgleichen her als würde es kein Halt geben. Sie bissen einer schon am Boden liegenden Ratte in den Hals. Es knackte und schmatzte und der rötliche, mit eisenversetzte Lebenssaft quoll aus sämtlichen Öffnungen hervor, doch die Testobjekte machten keinen Halt. Eine weitere Ratte schmiss sich auf eine bereits am Sterben liegende und nagte sich mit ihren spitzen Zähnen durch den Bauch, schlitzte ihn förmlich auf und ergoss sich selbst mit den Innereien, die sie anschließend auffraßen. Joseph legte das Sandwich zurück auf den Teller in das er gerade beißen wollte und schnappte sich seine Brille, die sich gerade von seiner Nase verabschieden wollte. >>Sie dir das mal an …<< waren seine Knappen Worte, die er zu seinem Partner richtete. Brian, der neugierig über seinen Arbeitsplatz blickte, rümpfte seine Nase als er die Gesichtsregung in Joseph las. Er wankte sich um den Platz und blickte ebenfalls auf das Video am Bildschirm, welches gerade eingefroren war und am oberen Bildschirmrand zwei Striche für „Pause“ zeigte. Joe schluckte schwer und drückte nur verzögernd auf „Play“.Als wäre das Bildmaterial nicht schon verstörend genug, ertönte plötzlich Dr. Planks emotionslose Erzählerstimme.


    >>Testobjekte weisen gestörtes Verhalten auf. Ihre Kognitiven Eigenschaften sowie ihre Motorig sind auf das Minimalste beschränkt.<<


    Man sah, wie eine Hand gegen die Scheibe klopfte und die Ratten sich augenblicklich dem Geräusch zuwandten, die Hand anfauchten und sogleich mit einem lauten Knall gegen die Glasfront rannten. Als ob es der Ratte nichts ausmachen würde, schüttelte sie wage ihren Kopf, nahm erneuten Anlauf und sprang wieder gegen die Scheibe, sie nahm Anlauf und Sprang, nahm Anlauf und Sprang. Als ob ihr Schmerzempfinden ausgeschaltet wäre, wiederholte sie diesen Vorgang immer und immer wieder. Schließlich waren Blutflecken an der Scheibe die sich nach und nach verteilten und sanft, wie ein Regen in der Sommernacht, der sich an der Scheibe, ihren Weg nach unten bahnten. Die Ratte störte sich nicht daran und fauchte, kratzte und sprang weiter an dieselbe Stelle, bis das Video erneut abrupt stoppte. Das Abstergo Industries Logo auf dem Desktop brachte die beiden Doktoren zurück in die Realität und machte es schwer die dargestellten Szenen zu verarbeiten. Der Computer, er legte ein surrendes Geräusch auf die tief gelegte Stille die sich langsam im Büro verteilte, sodass man sie mit einem Messer schneiden hätte können. Brians angestrengtes Schlucken durchbrach wie eine Kanonengugel das surreale Empfinden und auch Joseph griff mit einer zittrigen Hand zu seinem Telefon um seinen Lieblingsschriftzug zusammen mit dem Hintergrundbild zu betrachten. - Kein Netz -

  • Kapitel III



    12 Tage vor dem Day-Z:
    Oklahoma City : 37212 St Augustine St>> 24.07.2024 Mi 5:00 p.m.
    Evelyn Joule




    Das Wetter hatte in den letzten Stunden ziemlich zugezogen und die ersten, vereinzelten Regenwolken verschluckten die Sonne am Horizont deutlich, sodass es in den nächsten Abendstunden früher dunkel sein sollte. Liz, welche am Esstisch saß und vor sich im Essen stierte, machte keinen sonderlich freundlichen Eindruck. Sie hatte ihre Wangen aufgeblasen und geschmollt, die ganze Zeit über schon und es war klar, was ihr nicht taugte. Sie war ziemlich eingeschnappt darüber, dass ihr Vater nicht anwesend war und das ließ sie ihrer Mutter insgeheim spüren. Evelyn, die mit aller Kraft versuchte Liz bei Laune zu halten, scheiterte kläglich daran, was ihr ein trockenes Lächeln ins Gesicht trieb. >>Das hast du wohl von mir Kind.<< In vielerlei Hinsichten erkannte sie sich in diesem kleinen Energiebündel wieder. Liz hatte nicht nur alle guten Eigenschaften von ihren Eltern geerbt, nein, auch die Schlechten. Evelyn legte die Gabel zur Seite und ließ einen halb aufgegessenen Spaghettiteller zurück auf dem Tisch. Sie fischte in ihrer Jeans nach ihrem Handy und drückte auf einen Knopf. Bitte Pin eingeben leuchtete in einer übergroßen Manier auf, doch es war kein verpasstes Anrufsignal zu sehen. Sie seufzte und legte es auf den Tisch. Es war eine weitere, Evelynsche Theorie die besagte, umso öfters man auf das Telefon blickte, umso eher würde der Gegenpart anrufen den man so sehr erwartete. Schließlich stand sie auf und legte eine Hand auf den Kopf ihrer Tochter. >>Hast du Lust etwas zu spielen?<< Liz antwortete nicht. Sie fixierte noch immer die Nudeln auf ihrer Gabel die mit jeder Umdrehung immer mehr wurden. >>Lass uns doch etwas puzzeln, wie wärs?<< Liz zuckte mit den Schultern löste sich von ihrem Stuhl, legte die Gabel beiseite und wankte ins Wohnzimmer. Ihre Mutter stieß einen Seufzer hervor und räumte die Teller zur Spüle, schnappte sich ihr Telefon und gab ihren Pin ein, um auf die grüne Hörerapp zu klicken und die Kurzwahltaste ihres Gatten zu wählen. >>Dieser Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar, bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Tonsignal. Ihr Ansprechpartner wird per SMS von Ihrem Anruf in Kenntnis ge …<< Evelyn äffte die freundliche Bandansage nach indem sie Fratzen zog und in einer verzerrten Tonlage die Worte wiederholte, die sie mittlerweile auswendig kannte. Es grenzte fast an ein Wunder. Keine Worte der Welt, keinen Schulstoff der Welt hatte die Frau so intus, wie die Floskeln der Bandansage ihres Telefonanbieters. Es war in einer Weise sehr traurig.


    Auch Evelyn stieß nach kurzer Zeit zu ihrer Tochter und schaltete den Fernseher ein um auf den Radiosender zu wechseln. Die kleine Liz hatte bereits ein Puzzle aus dem Schrank gefischt und alle Einzelteile auf dem Boden verstreut, dabei entlockten die Pferde auf der Schachtel ihr kein Lächeln, obwohl es ihr Lieblingspuzzle war. Die Mutter setzte sich zu ihrer Tochter auf den Boden und sah dabei zu, wie die rothaarigeSommersprossenträgerin einzeln alle Puzzleteile auf die Bildseite umdrehte. Verträumt blickte die schwarzhaarige Polizistin aus dem Fenster und mittlerweile hatte es zu regnen angefangen. Das Fenster war gekippt und ließ einen Hauch eines mit Wasser gefüllten Geruches in einer lauen Sommernacht hinein, der sich frisch auf der Haut anfühlte. Das Monotone Plätschern an der Fensterscheibe und der laue Klang der instrumentalen Radiomusik im Hintergrund, tauchten den Raum in eine Art Melancholie, die zusammen mit dem erwarteten Anruf ihres Gatten zum Ergreifen nahe war.


    Liz und ihre Mutter puzzelten in einer ruhigen Manier. Das Wetter draußen ließ alles an Wasser herabregnen was es konnte, doch das störte die Beiden weniger. Im Haus war es angenehm warm und Evelyn machte für beide einen warmen Kakao. Nachdem die Uhr schon 18:45 zeigte, schellte plötzlich das Telefon von Evelyn. Erschrocken ließ sie ein Puzzleteil aus der Hand fallen und auch Liz sah neugierig zu ihrer Mutter auf. Adrenalin schoss durch ihren Körper und ihre Hände zitterten. Es war erstaunlich wie sehr Evelyn einer anderen Person glich, wenn sie in familiären Verhältnissen war. In der Arbeit auf dem Schießstand galt Evelyn als Naturtalent. Sie traf die Ziele ohne mit der Wimper zu zucken, hatte keine Skrupel Verbrechern ins Bein zu schießen. Ihr Motto war, umso aufgeregter sie war, umso mehr ihr Herz das giftige Adrenalin pumpte, umso gelassener und konzentrierter wurde sie. Sie funktionierte als Maschine, als Werkzeug, nicht als Mensch in solch einem Augenblick. Das ihre Hände jetzt zitterten und sie 2 Anläufe brauchte um den grünen Telefonhörer anzutippen zeugte nicht gerade von graziler Präzession. Diese Selbsterkenntnis brachte ein bitteres Schmunzeln auf ihre Lippen. Schließlich hatte sie es geschafft und eine erschöpfte Männerstimme ertönte am Ende der Leitung.


    >>Hallo? Evelyn Schatz?<< Die Schwarzhaarige schluckte stark. >>Gott sei Dank geht es dir gut. Ich hab dich versucht den ganzen Tag zu erreichen.<< Sie machte eine kurze Pause. >>Ich dachte schon du gehst mir fremd. Jedes Mal wenn ich dich angerufen habe, erklang eine Frauenstimme. Sie erzählte mir zwar immer das Gleiche, scheinbar ist ihr Leben ziemlich langweilig, aber mittlerweile sind wir beste Freundinnen.<< Ihr Mann lachte und hatte die Anspielung auf die Bandansage durchaus verstanden. >>Ich liebe deinen Humor Schatz. Ja es tut mir Leid, dass ich mich jetzt erst melde. Für den ersten Tag ist einiges passiert. Ich hab die Forschungsergebnisse der letzten Woche durchgesehen und viel aufarbeiten müssen. Hier hat man auch keinen Empfang, sodass ich dich jetzt erst anrufen konnte.<< Ein bitterer Seufzer durchdrang die Leitung. Evelyn lachte kurz auf und ging an das Fenster. Ihr Spiegelbild brach sich im Fenster der Regentropfen und ihre Brüste drückten auf die Scheibe. Sie blickte auf die Straße, hatte mit einer Hand den Vorhang zur Seite geschoben und ihre Augen hafteten wie an einem Magneten am vorbeifahrenden Auto. Das Scheinwerferlicht brach sich auf den Wasserpfützen der Straße und brachte ein Lichtspiel wie in einem Konzert wider. >>Ach Schatz, schon gut. Hauptsache du überarbeitest dich nicht.<< Die beiden telefonierten noch eine kleine Weile, bis beide das Gespräch beendeten. Liz hatte keine Lust zu reden was sie ihrer Mutter deutlich klar gemacht hatte, als sie ihre Arme verschränkte und mit dem Kopf schüttelte, dabei ihre Wangen aufblies als wären es 2 Luftballone. Die Mutter konnte das Kind sehr gut verstehen. Ihr würde es wohl in ihrer Situation auch nicht anders ergehen.


    Evelyn ging zum Sofa und schaltete per Fernbedienung den Fernseher aus, dann holte sie Mister Bommels und streckte eine Hand zu Liz aus. >> Zeit fürs Bettchen. Komm Schatz.<< Liz folgte. Sie folgte eigentlich immer. Es gab wirklich nur seltene Ausnahmen wo das kleine Mädchen protestierte und nicht ins Bett wollte. Die Kleine war schnell umgezogen, was Mama nicht tun durfte nein, da Liz ja schon ein großes Mädchen war, so konnte Evelyn bereits das Bett vorbereiten und ein Buch, welches sie gemeinsam lesen sollten.

  • Die einzelnen Individuen in einer Population sind nie gleich. Sie unterscheiden sich in mehreren Merkmalen.


    >> Charles Robert Darwin



    Kapitel IV


    8 Tage vor dem Day-Z:
    Brookline: Forschungseinrichtung Abstergo Industries
    >> 28.07.2024 So 10:12 p.m.
    Dr. Joule



    So schnell und unkontrolliert wie die Zeit verstrich, umso tiefer und schwärzer wurden die Augenringe von Joe, dessen Abgründe unerreichbar waren. Diese undurchdringliche Schwärze unter seinen Augen absorbierte metaphorisch sämtliches Licht. Joseph warf seinem Rechner einen langen und tiefen Gähner entgegen. In der Zwischenzeit hätte man den Rechner mit dieser tiefen Stimme sogar fernsteuern können, hätte man die Sprachaktivierung darauf programmiert. Brian ging es nicht anders, auch er kämpfte mit der Müdigkeit sowie mit seiner Konzentration. Er lehnte sich zurück in seinen Stuhl, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schloss die Augen. >>Die neue Formel wirkt genauso wenig wie die alte. Egal welche Hintergründe wir in Betracht ziehen, das Mutagen wirkt sich immer im selben Muster aus. Unsere Testobjekte werden verrückt, ein erhöhter Puls führt zu einem Schwächeanfall, danach sind sämtliche motorischen Eigenschaften beschränkt. Sie entwickeln nur noch einen Trieb zu fressen, dabei greifen sie alles an, was nicht gentechnisch verändert wurde. Unser Ziel ist es einen Hämmungsprozess zu schaffen der Verhindert, dass Partien des Gehirns angegriffen werden. Die Injektion gelangt in den Blutkreislauf und greift ebenso die Gehirn- sowie die schädlichen Zellen an.<< Brian nickte angestrengt. >>Wir sollten einen weiteren Test starten. Das neue Mutagen ist fertig geworden und einsatzbereit. Vielleicht haben wir jetzt Glück.<< Joseph zuckte mit den Schultern als wolle er sagen, was haben wir zu verlieren. Die beiden Männer standen auf und zückten ihre Schlüsselkarte, dessen Befugnis darauf programmiert war, sie in den Level 0 Abschnitt zu lassen. Im Vorraum des Laboratoriums hatten sich beide einen Anzug übergeworfen. Beide blickten sich durch das dünne und flexible Plexiglasvisier an und nickten sich zu. Eine weitere Codeeingabe war notwendig um den Hauptraum des Labors zu betreten. Brian ging zu den Käfigen im Labor um die Ratten vorzubereiten, Joseph hingegen unterzeichnete handschriftlich die Dokumente die notwendig waren, um Inhalte aus dem Safe zu entnehmen. Als alles genauestens beschriftet und organisiert war, konnte der Test beginnen.


    Brian hielt die Ratte in der Hand und verfrachtete sie in den zuvor im Video gezeigten Glaskäfig. Joe hielt das Tier fest, und begann die Injektion einzuführen. Mit einem Abdruck auf der Pistolenspritze, schoss das giftgrüne Mutagen in den Körper der Ratte.


    Das Aufräumen, das weitere Dokumentieren und Beobachten war für die Zwei die letzten Tage zur Routine geworden. Jeder hatte seinen eingespielten Part den sie gewissenhaft übernommen hatten. Als sie zurück im Labor waren, hatten sie einige Bluttest und Gewebeproben alter Ratten untersucht.


    Auch hier verstrich die Zeit so unkontrolliert wie in einem voranschreitenden Uhrwerk und so passierte der Zeiger der Uhr schon bald die 12. Joseph stand vor seinem Mikroskop empor und streckte sich lang, knackte mit seinem Hals und sah zu Brian. >>Lass für heute Schluss machen. Sehen wir nach dem Testobjekt, dann ins Bett.<< Eine gewisse Erleichterung drängte den angestauten Stress beiseite und beide schlüpften ein weiteres Mal in die Anzüge, das letzte Mal, für diesen Tag. Das Glastürenwusch gewährte den beiden Forschern Einlass und mit einem müden Blick, passierten sie den leerstehenden Käfig vor ihnen. Zuerst ungläubig tastete Joseph mit seiner Hand an die offenstehende Glastür, dann blickte er mit großen Augen zu seinem Laborpartner. >>Scheiße. Brian du hast die Tür offen gelassen!<< Brian versuchte die angestauten Informationen, das Bildmaterial vor ihm, die Worte neben ihn, gepaart mit seinem starken Herzschlag und der Erkenntnis einen Fehler gemacht zu haben, zu verarbeiten und dabei versuchte jeder noch so kleinste Funke in seinem Gehirn sämtliche Eingänge zu verwenden, sodass sein Kopf urplötzlich schmerzte. Joseph blickte um sich. >>Ok ruhig. Die Schleusentür war verschlossen, das Vieh kann sich also nur hier befinden. Wir sollten die anderen Warnen den Bereich nicht zu betreten. Ich erledige das, du suchst diese Ratte, verstanden?<< Keine Antwort. >>VERSTANDEN BRIAN?!<< In Brians Kopf war es schlagartig leer. Nur die Angst und sein tiefer, dumpfer Herzschlag schallten in seinen Ohren wieder. Seine Kehle wurde trocken und seine Augen fixierten noch immer weit aufgerissen den leeren Platz vor sich. Joseph war etwas energischer. Schlafmangel und Adrenalin waren ein gefährlicher Cocktail wenn dieser einmal im Blutkreislauf waren. Beide Forscher schwitzten förmlich in ihren Anzügen sodass das Plexiglasvisier zu transpirieren anfing. Joseph der den Notfallsignalknopf an Ende des Raumes an der Schleusentür betätigte, löste außerhalb auf dem Gang eine leuchtende Anzeige aus die signalisierte, dass das Labor 7G abgeriegelt und unter Quarantäne stand. Schongleich als Joe sich umdrehen und nach Brian sehen wollte, stieß er einen kleinen Schmerzensschrei aus, ehe er sich an sein Bein fasste. Mit einem finsteren und ernsten Blick erhob sich sein kleiner Körper wieder, dessen Proportionen durch den Anzug ungleichmäßig wirkte und hielt die Ratte am Schwanz in der Luft. >>Ich hab dieses fauchende Mistvieh. Ich glaub es hat mich durch den Anzug ins Bein gebissen. Scheißdreck<< Das weiße Tierchen in Brians Hand wandte sich von einer Seite zur anderen, fauchte und kratzte wie wild um sich. Es sah aus, als hielt Brian ein Jojo in der Hand das sich immer wieder von alleine abzurollen versuchte. Schließlich sperrte er es zurück in den Käfig, öffnete die Sicherheitsschleuse und trat hinaus ins Freie. Sie lösten die Quarantäne auf und Joseph fing schongleich an, am Bericht zu arbeiten. Er seufzte. >>Geh zur Krankenstation und lass dich gegen sämtliche Krankheiten impfen. Sicher ist sicher. …<< Sein müder Ton verriet, dass er sichtlich genervt von der Aktion gerade eben war. Er konnte es auf einer Seite verstehen, da beide Männer überarbeitet waren und eigentlich nur ins Bett wollten, aber andererseits durfte so ein Leichtsinnsfehler nicht passieren. Brian nickte nur und fasste sich ans Bein. Seine Fingerspitzen waren leicht blutig. >>Dieses Scheißvieh hat mich tatsächlich durch den Anzug und durch die Hose erwischt. Oh man.<<Er hinkte den Gang hinunter zur Krankenstation, erklärte seine Situation und holte sich die Impfung gegen Tierkrankheiten ab, die im Repertoire vorhanden waren.


    Josephs Bericht war schnell fertig. Das restliche Adrenalin in seinem Körper reichte aus, sodass die Buchstaben aneinandergereiht die Worte ergaben die er brauchte. Als er den Rechner von Brian und sich runterfuhr, schnappte er sich seine Jacke und löschte das Licht im Büro. Auch er wackelte angestrengt, durch die Müdigkeit bedingt, über den Flur und verabschiedete sich bei Jenny, die Augenscheines hier übernachtete. Der Rothaarige hatte die Frau noch nie nach Hause gehen sehen, zumindest vor ihm. Er machte einen kurzen Abstecher bei der Krankenstation und er sah wie Brian zusammengesunken und mit breiten Schultern übergekauert vor Müdigkeit auf dem Bett saß. Er lächelte keck. >>Scheint so als habe ich mir eine Freikarte fürs Übernachten hier im Labor eingespielt. Ich soll zur Beobachtung hier bleiben.<<Der rothaarige Mann verzog leicht das Gesicht. >>Ok Sportsfreund. Halt die Ohren steif. Wenn was ist, melde dich. Ich bin morgen Früh wieder hier.<< Dabei musste Brian lachen. >>In diesem Atombunker ist es selbst unmöglich sein Essen in der Microwelle warm zu machen, weil diese Strahlen abgeschirmt werden. Wie soll ich dich anrufen?<< Joseph musste lachen. >>Halt einfach die Ohren steif, ja?<< Er warf eine Hand in den Raum und legte seine Jacke über die Schulter, steckte nun die andere in die Hosentasche und begab sich Richtung Aufzug, um zurück ins Hotel zu gehen.


    Auch hier hatte der Regen bereits eingesetzt und er peitschte zusammen mit dem aufbäumenden Wind über die Haut des Mannes. Es fühlte sich an wie Nadelstiche die unerlässlich durch seine Haut stachen. Auf dem Weg ins Hotel blickte er gedankenversunken auf sein Telefon was 23 Anrufe in Abwesenheit von seiner Frau anzeigte. Ihn plagte das schlechte Gewissen und sein Finger wollte gerade auf die Rückruftaste drücken, als er auf die offene Straße stolperte und ein Taxi ihn anhupte. Erschrocken fiel der Mann nach hinten auf den nassen Steinboden, dabei fiel ihm sein Telefon auf den blanken Asphalt und rutschte über den Boden hin zu einem Gullideckel am Straßenrand, wo es durch seine flache Breite gerade so über die Rillen tanzte. >>Scheißdreck!<< fluchte er Lauthals und vorbeigehende Passagiere, welche hauptsächlich Jugendliche um diese Uhrzeit waren, schüttelten nur den Kopf. Der Mann rieb sich sein Hinterteil und hob sein erloschenes Telefon auf. Er drückte eine Taste und ein leuchtender Displaysprung in der Mitte trennte Evelyn und Liz im Bildschirmhintergrund in der Mitte. >>Gottverdammt. Was soll denn noch passieren?<< Er fasste sich mit seiner freien Hand an die Stirn und presste seine Augen streng zusammen, sodass seine Stirn sich in Falten legte. Er rief Evelyn an, doch das Telefon am anderen Ende läutete sich zu Tode. >> Dieser Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar, bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Tonsignal. Ihr Ansprechpartner wird per SMS von Ihrem Anruf in Kenntnis ge …<< ein weiteres Tuten des Telefons signalisierte das Unterbrechen des Gesprächs. Joe lächelte traurig und streifte mit seinen Fingern über das gebrochene Display. >>Jetzt betrügst du mich mein Schatz. …<< Die surrende Leuchtreklame am Hotel flackerte auf und bedeckte den Eingang mit einem hässlichen Neonpink, dessen Farbe von Josephs Schatten abgelenkt wurde als er die Stufen zur Rezeption passierte.

  • Kapitel V


    7 Tage vor dem Day-Z:
    Brookline: Forschungseinrichtung Abstergo Industries
    >> 29.07.2024 Mo 6:45 a.m.
    Dr. Joule




    Anders als die Tage zuvor spitzte nicht die Sonne über das sonst so gewaltige Monument des Abstergo Industries Gebäudes, sondern tiefe und schwarze Wolken die vollgesogen wie ein Schwamm schwer über Brookline hingen, waren das Resultat aus vergangenen Regennächten. Es war ein kalter Morgen gewesen und das erste Mal hatte sich Joseph gewünscht mehr eingepackt zu haben für seine Arbeitsreise, als nur ein Jackett und eine dünne Jacke. Er hatte nicht geahnt, dass seine Dienstreise länger in Anspruch nehmen würde. Er ging also mit frierenden Schritten an vielen Passagieren der Straße entlang die weitaus intelligenter waren als er, denn sie trugen dicke Jacken, Mützen und auch Schals. Grazil versuchte er diesen mit gigantischen Regenschirmen auszuweichen, obwohl der Regen vor ein paar Stunden aussetzte. Seine Augenringe konnten sich etwas erholen was bedeutete, sie waren nicht mehr so schwarz wie die Kohle an seinem BBQ Grillabend letzten Jahres, sondern grau und verwaschen, so unnatürlich und surreal, wie es der Morgen an sich schon war. Obwohl er selbst paar Stunden Schlaf erhaschen konnte fühlte er sich, als hätte man ihm Drogen verabreicht und Stunden durch die Mangel genommen. Er erinnerte sich unweigerlich an eine Situation, wo er an seinem Junggesellenabschied mit paar Freunden feiern war. Genauso fühlte er sich wie an damals an dem Tag danach, nur das kein Alkohol im Spiel war und sein Schädel um ein vielfaches mehr dröhnte. Er vermisste seine Familie. Dieses Gefühl von Verlust und der Abstand zu ihnen war schrecklich für ihn. Am liebsten hätte er alles hingeworfen, hätte seine drei Sachen gepackt, wäre in den nächsten Flieger gestiegen und auf dem Weg zu ihnen. Er wusste selbst nicht genau wie lange er noch hier bleiben sollte, denn große Anweisungen gab es nicht. Dr. Plank hatte sich nach all der Zeit noch immer nicht gemeldet und auch die anderen Mitarbeiter gaben kein Lebenszeichen von sich. Ihm fiel ein, dass ebenfalls ein Arbeiter der in Brookline stationiert war in Oklahoma wohnte und sein Sohn ging sogar in dieselbe Kindergartengruppe wie es seine Tochter tat. Sein Name allerdings vermochte ihm nicht einfallen.Joseph bemerkte gar nicht wie er schon einige Minuten auf derselben Stelle stand und vor sich ins Leere blickte. Die Arbeit machte ihn zu schaffen und seine Gedanken waren zusammen mit Brian dort verschlossen gewesen, wo nur ein gläserner Aufzug hinführte. In ein Untergeschoss indem es unmöglich war zu telefonieren. Der mittlerweile gar nicht mehr so großwirkende, rothaarige junge Mann war noch einige Kreuzungen von seiner momentanen Arbeitsstelle entfernt gewesen. Erst jetzt, als er erneut an Evelyn dachte, an ihre wunderbaren Haare, an ihre weiche und schmiegsame Haut, wie sie jeden Morgen, wenn sie nicht gerade verschlief, sich an ihn schmiegte, seinen Bauch strich mit ihren grazilen und schönen Fingern, fischte der Doktor in seiner Hosentasche nach seinem Telefon, welches er nicht fand. Wieder blieb der Mann abrupt auf der Straße stehen, checkte jede Tasche ab. Zuerst die Linke, wieder die Rechte, als ob das Telefon jetzt durch mystische Magie dort auftauchte, dann seine beiden Taschen am Hintern. Nichts. Das Telefon war wie weg, die einzige Verbindung zu seiner Frau, sie war weg. Sein Herz raste etwas schneller als er diese Erkenntnis zog und sein Atem schmeckte faulig. Seine Pupillen weiteten sich im Takt seines Atems der immer schneller wurde. Nun griff er in seine Jacketttasche und dort spürte er neben seinem Geldbeutel in der Tat etwas, was sich wie ein Telefon anfühlte. Mit ungeschickten Fingern fischte er es aus der viel zu eng geschneiderten Tasche. Kaum hatte er es ein viertel herausgeholt, entglitt es ihm aus seinen zittrigen Fingern und purzelte wie ein Seiltänzer im Zoo der einen Fehler machte, aus der Tasche in die Luft. Es überschlug sich einmal, zweimal, dreimal. Es vollführte eine Drehung nach der Anderen und die Zeit um ihn herum war wie eingefroren. Schließlich konnte er es durch Zufall doch kurz vor dem Aufprall mit einem Hasch ergreifen. Er seufzte, atmete durch und drückte das Telefon an seine Brust. Er musste neckisch grinsen. >>Joe du Volltrottel<< ging es ihm durch den Kopf. Wieder blickte er frustrierend auf sein Handy wie er es die Nacht zuvor schon tat, wunderte sich, warum seine Frau noch keine Nachricht hinterlassen hatte obwohl er sie gestern versucht hatte zu erreichen. Er tat die Situation mit einem simplen Lächeln ab und als er versuchte die Idle-Taste seines kaputten Telefons zu drücken stellte er fest, dass es keinen Mucks von sich gab. Er hatte auf der Straße in binnen von Minuten bisher nur wenige Schritte vollführen können bis er erneut auf den nassen Straßen Brooklines stehen blieb. Er packte das Telefon an beiden Seiten mit beiden Händen und schüttelte es kurz. Irgendwie hatte er gehofft ein Lebenszeichen aus diesem Telefon zu pressen indem er es nur stark genug schüttelte – Evelynsche Theorie – doch sein Unterfangen war hoffnungslos. Der Akku war leer. Joe hatte vergessen am Abend zuvor sein Handy an die Steckdose zu hängen und es hatte sich über Nacht entladen in seinem Jackett entladen.


    Joe war wütend. Er war ziemlich angekratzt. Es war eine Seltenheit das man diesen sonst so ruhigen Mann zornig erlebte, da er eigentlich in der Familiengeschichte derjenige war, der am meisten Geduld besaß und stets Ruhe bewahrte. Seine Frau war diejenige gewesen, die oft mit ihrem Temperament lauter wurde und dabei schaukelten sich Situationen oft auf. Selbst wenn Joe mit seiner Frau Evelyn stritt, war er ruhig. Das ärgerte seinen Gegenpart nur noch mehr wodurch sie nur noch wütender wurde. Doch jetzt war es so, dass er einen geballten Selbsthass empfand. Es war schon schwer genug sich nur auf die Arbeit zu konzentrieren nach alldem was hier passiert war, nachdem er seine Frau immer seltener und die letzten Tage über gar nicht sprach und ausgerechnet jetzt, hatte er seine eigene Chance verbockt weil er zu blöd war daran zu denken sein Telefon anzustecken. Er hatte gute Lust das Teil mit einem gewaltigen Rums gegen die nächste Hausmauer zu setzen, doch damit würde er sich nur selbst in das Bein schießen.


    Selbstresignierend und mit geballten Fäusten setzte er also seinen Gang fort über die nächsten Ecken und von der Ferne konnte man bereits das Gebäude erkennen, zu dem er musste. Vor ihm bauten sich die Sicherheitsgatter auf und Joe hatte jetzt schon ein seltsames Gefühl im Magen. Er konnte nicht erklären ob es sein durchdringender Hunger war, den er schon seit mehreren Tagen verspürte, oder ob es am regnerischen Morgen ohne Sonne lag. Das Gatter war offen, keine Soldaten oder Sicherheitskräfte waren vor Ort um es zu bewachen, kurzum, es hätte Tag der offenen Tür sein können. Zuerst tat der Rothaarige diese Situation mit einem Nicken ab, passierte die Sicherheitskontrolle ohne seinen Ausweis hervor zu zeigen und ging am Brunnen vorbei in die Lobby. Er hatte aus Gewohnheit bereits seinen Arm gehoben um das nette Fräulein an der Anmeldung zu begrüßen, doch … Es war niemand vor Ort. Joseph blieb in der Eingangshalle stehen, rieb sich mehrmals den linken und den rechten Oberarm um an Wärme zu gewinnen. >>Hallo?<< Durchhallte seine Stimme den eisernen Klang der von den kalten Glaswänden reflektiert wurde. >>Haaaloooo?<< So schnell wie sein Echo durch die Gänge preschte, so schnell wurde es von den Bäumen und vom Bach im Haus aufgesogen und nur die Einkaufsmusik,die durch die Lautsprecher drang, düdelde friedfertig vor sich hin. Nichts. Das ungute Gefühl, diese Vorahnung, diese Reize in seinem Kopf die sein Adrenalin in alle Körperregionen, in alle Zellen schießen ließ, rieten ihm schleunigst umzudrehen und das Weite zu suchen. Doch wie es meist so war, waren Geist, Verstand und Körper sich nicht einig. Der Mann setzte seinen Gang fort, blickte über das Rundell der Anmeldung und sah wie viele Dokumente verstreut auf dem Boden lagen, der Bildschirm zertrümmert auf dem Schreibtisch in tausend Splitter zerbarst, und die Tastatur blutverschmiert war. Erst als er den süßen roten Nektar des Lebenssaftes auf dem Schreibtisch erblickte, erkannte er den Duft von schwerem Eisen in der Luft. Was war passiert?


    Das war die richtige Frage die momentan alles in seinem Kopf dominierte. Evelyn, vergessen. Liz, vergessen. Sein Hunger? Vergessen. Seine Kopfschmerzen? Nicht anwesend. Ein Adrenalinbündel gepaart mit einem Puls über 180 trieb den Schweiß auf seine Stirn. Er schluckte einmal und setzte seinen langsamen Gang in Richtung Fahrstuhl, drückte den Knopf und wählte das Untergeschoss aus, in dem er aussteigen sollte.


    Schneller als die Tage zuvor, so erhaschte er die Situation, war der Fahrstuhl dort angekommen wo Joe ihn hingeschickt hatte, nämlich in das 4rte Untergeschoss. Die Glastür musste sich nicht mal öffnen um das zu offenbaren, welchen grausamen Anblick er betrachtete. Die Tür öffnete sich in alter Wuschmanier und Joseph trat mit einem schweren Schritt über den Glasfahrstuhl. Vor ihm bot sich ein Anblick des Chaos an, welches man nur dann deuten konnte, wenn man das Trümmerfeld von Häusern nach einem Hurrikan beschreiben musste. Überall standen die Schleusentüren offen, Bilder waren von den Wänden gerissen, Stühle lagen im Weg herum, Papier war zerfetzt und die Computer in seine Einzelteile zerlegt. In der Ferne, also in der Haupthalle des Level 0 Bereiches, konnte man einen Kurzschluss vernehmen der von einer halb heruntergerissenen Deckenleuchte stammt, der dafür sorgte, das aufblitzende Funken den Raum und dessen Spektakel nur für einen Bruchteil eines Wimpernschlags erhellte. Eine rote Warnsignalleuchte drehte sich wie ein Betrunkener stetig im Kreis und warf mit seinen bedrohlich roten Scheinwerferlichtern seltsame Frakturen und Schatten an die Wand. Die Notfallbeleuchtung dimmte den Raum in ein gefährliches grau grün und alles hier erinnerte Joseph immer mehr an einen schlechten Horrorfilm. Joe fuhr in sich zusammen als der Fahrstuhl plötzlich ein Bling Geräusch machte und die Fahrstuhltüren zugingen. Das war der Antrieb, der dafür sorgte, dass er weiterging.


    Sein Mund stand offen, seine Schritte waren schwer, sein Kopf konnte gar nicht all das Grauen verarbeiten was seine Augen ihm zeigten. Er stützte sich an der Wand ab und schlurfte mit gebeugten Schritten durch die offenstehende Sicherheitstür, dabei bemerkte er gar nicht, dass seine Hand blutverschmiert war von dort, wo er sich gerade abstützte. In der Lobby klebte überall Blut, Handabdrücke von Menschen zierten die Wände wie kunstvoll bemalte Blumen, wie er es in Liz‘ Kindergarten gesehen hatte. Blumen entsprungen der Hölle. Jetzt schlug ihm der Eisengeruch das erste Mal so richtig auf den Magen und ehe er sich die Frage stellen konnte was hier passiert war, durchbrach ein lautes Würgegeräusch das Springen der Funken an der Decke. Der rothaarige Mann beugte sich nach vorne Über und hielt sich seinen Bauch. Ein Schwall von säuerlichem Kaffee zusammengemischt mit Eier und Speck des morgendlichen Frühstücks heute, entleerte sich auf leichterem Wege auf dem Boden, als es heute in seinen Magen gekommen war. Der Rotschopf verlor für wenige Sekunden seine Orientierung und vor seinen Augen wurde es schwarz. Er tappte sich mit der blutverschmierten Hand an die Stirn und versuchte durchzuatmen. >>Joseph Joule. Du schaffst das. Reiß dich zusammen.<< Er versuchte sich mit wackeligen Beinen aufzurichten. Zentimeter kleine Schritte schaffte der nervöse Mann in die Lobby, dann warf er seinen ersten Blick auf die Krankenstation. Das Sicherheitsglas der Station war mit einem riesen großen Loch gespickt und überall lagen Glassplitter auf dem Boden. Das erste Bild das ihm in seinen Kopf schoss war die Videoaufzeichnung, die er Anfang letzter Woche erblickte, wie die Laborratten immer und immer wieder versucht hatten gegen die Scheibe zu springen. Er schüttelte seinen Kopf. Sein Kehlkopf fing an zu wackeln, dann wurde seine Stimme brüchig. >>Oh mein Gott was ist hier nur passiert?<< Er wagte einen weiteren Schritt nach vorne, bemerkte, wie er in etwas klebriges stieß. Sein Blick wanderte reflexartig nach unten. Der Mann hatte längst keine Kontrolle mehr über das was er tat, denn alles in ihm sträubte sich weiterzugehen, alles in ihm wollte, nein, verlangte JETZT umzudrehen, den Fahrstuhl zu nehmen und zu fliehen, doch er tat es nicht. Warum? Wieso waren seine Beine nun so schwer wie Blei? Sein Verstand der einer 4 Jährigen? Wieder ging er ein paar Schritte voran und Joseph durchzuckte ein Blitzschlag der Furcht, als erneut das Elektrokabel an der baumelnden Lampe die einzelnen Drähte berührte und einen lauten Funkenknall erzeugte. Schützend ging er in die Hocke, seine Knie zitterten. Sein einziger Gedanke war so simpel und auf jede noch so einfache Art der Motorik beschränkt. >>Bitte bitte bitte bitte. Lass das alles ein Traum sein …. << Wieder schaffte das Adrenalin seinen Geist zu verwaschen. Wieder pumpte sein Herz schneller seinen Verstand aus seinem Kopf als Alkohol es jemals schaffen würde. Sein blick richtete sich nun in den langen Flur mit den Wegweisern auf dem Boden. Diese konnte man vor lauter Blut und Glassplitter gar nicht mehr erkennen. >>HALLO? BRIAN? JENNY?<< Er ging einen weiteren Schritt nach vorne, passierte mit angestautem Atem Jennys Bürotisch der in der Mitte der Lobby stand auf dem Weg zum Flur. Seine Ohren hörten ein sonderbares, lautes Fiepen welches nicht zum Rest der Geräuschkulisse passte, denn es war Josephs Blut gewesen, welches wie eine Achterbahnfahrt durch seinen Körper rauschte. Sein Puls schlug zusammen mit seinem Herz in einem vorgegebenen Takt des Metronoms, welches der Sensenmann persönlich in der Hand hielt und mit einem breiten, fetten Grinsen in Josephs Gesicht drückte. Wieder einen kleinen Schritt nach vorne. >>Hall … o?<< Wimmerte er aus seinen Lungen als seine Stimmbänder nun versagten.


    >>Ahhhhh!<< Plötzlich riss es ihn zu Boden als würde irgendetwas an seinem Bein zerren. Sein lauter Schrei hallte durch den ganzen Komplex und wurde von einem gurgelnden und schmerzverzerrten Stöhnen abgelöst. Ein Griff, so stark wie eine Pavianhand, brachten den Mann zu fall. Er schlug mit dem Kopf auf und dieser nahm alle Sinne. Die rote Signalleuchte an der Decke der Lobby gab keinen Aufschluss darauf, was ihn packte und zu Boden brachte. Der dumpfe Aufschlag auf den sonst so nachgiebigen Linoleum Boden, presste dem Mann alle Luft aus den Lungen und ebenfalls entwich ihm ein stöhnender Hilfeschrei aus seinen Lippen. Seine Sicht war verschwommen, sein Kopf schmerzte vom Aufprall. Das Krallende, stöhnende Etwas packte nun nicht nur seinen Fuß, nein die Hände wanderten nun auf den Oberschenkel, hinauf zu seiner Hüfte. Schnell war klar, dass dieses Etwas sich an Joseph heranzog. Das rote Licht, es streifte immer wieder die Umrisse dieser Kreatur aus der Hölle und mit jedem Zentimeter, brachte der faulige Geruch von Blut und Eisen dem Mann das Übelgefühl weiter zurück das er versuchte zu unterdrücken. Joseph versuchte sich zu wehren, versuchte sich wie ein Krokodil aus dem Griff zu drehen, erfolglos. Seine Nase sonderte Wasser ab vor Angst, seine Hände und sein Gesicht, Blutverschmiert von der Blutlache in der er sich befand, doch das waren alles nur winzige Details im Gesamtbild eines Chaos, das Joseph nicht verstand. Die Umrisse der Kreatur wurden immer klarer und es dauerte eine weitere Umdrehung der Signalleuchte bis der klapprige Mann erkannte, um wen es sich handelte, wer gerade versuchte auf ihn zu klettern. Das rote Licht. Es hatte nur einen Bruchteil einer Sekunde das Antlitz der Frau bedeckt, welche auf ihm lag, doch es war eindeutig Jenny gewesen, dessen Gesicht so entstellt und zerfetzt war wie kaum auszumalen. Joseph ließ einen lauten, tiefen Schrei von sich. Er trat und Schlug um sich. Er erwischte Jenny mit einem Faustschlag im Gesicht, was sie mit einem fauchenden Schrei abtat. Wieder das rote Licht. Es bedeutete mehr Details. Eine abgekaute Lippe, Bissspuren an Händen, herausgerissenes Fleisch an der Backe, offenliegende Zähne, blutiges Zahnfleisch. … Das war zu viel. Eine noch nie da gewesene Finsternis streckte seine eisigen Klauen nach dem rothaarigen Mann aus. Nur der Reflex, eine weitere Ladung Speck mit Rührei auf sich ergehen zu lassen, hinderten ihn daran sich zu verlieren. >>Scheiße scheiße scheiße was ist hier passiert?<< Die Kreatur schnappte nun weiter nach dem Mann. Das erbrochene klebte an seinem Bart wie Erdnussbutter am Toast. Er versuchte sich mit aller Kraft vom Boden aufzustützen und sich mit beiden Armen nach hinten zu zerren, dabei fiel ihm auf, dass es ihm ziemlich leicht gelang. Diese Information konnte der Mann nur leider nicht verarbeiten, denn Stress und das, was sich vor seinen Augen darbot, war surreal genug. Er stützte sich weiter nach hinten, zog und zerrte so sehr an Jenny um sie loszuwerden sodass er nicht bemerkte, dass er seine Hände durch Glassplitter am Boden zog. Als wäre es ein aussichtloser Kampf, ein Kampf dessen Bedeutung noch keinen Sinn für den studierten Biochemikant hatte, zog sich Jenny mit einem Ruck weiter nach oben, erhob ihren Kopf und wollte mit ihr gelbblutigen Zähne in das Fleisch des Mannes stecken. Josephs Herz setzte aus. Das Adrenalin, auf dem Höhepunkt. Seine Ohren, taub vom Adrenalinrausch in seinem Körper. Die Zeit um ihn herum war wie eingefroren, nichts bewegte sich mehr, nichts gab einen Ton von sich. Joseph blinzelte einmal, zweimal, er war nicht länger Herr seiner Sinne. Wieder blinzelte er und nun befand er sich am Eingang der Lobby. Die Funken, sie lagen in der Luft wie stehengebliebene Glühwürmchen die nicht weiterflogen aber trotzdem Leuchteten. Das strahlende, rote Signalllicht, welches sein rotes Auge auf zwei Personen auf den Boden warf. Joseph, er legte seinen Kopf schräg, betrachtete die Beiden, die gerade einen Todeskampf ausübten, neutral und erkannte, dass er sich selbst dort sah. Mit langsamen Schritten ging er auf sich selbst zu, ging in die Knie, betrachtete seinen offenstehenden und schmerzschreienden Mund, verklebt von Blut zusammen mit einem Gemisch aus Speck und Ei, die zusammengekniffenen Augen voller Angst, die Falten auf seiner Stirn, seine Linke, die eine flache Hand schützend vor Jenny ausstreckte. Es waren Details die man so nie wahrgenommen hätte. Es war ein Augenblick der Ewigkeit, als würde man eine Sanduhr kurz vor dem Ablauf immer und immer wieder umdrehen. Josephs Blick reichte weiter zu Jenny. Ihre glasig milchigen Augen durchbohrten ihr eigenes Antlitz, ihre Wunden, frisch und blutend, die Tatsache das sie ihr Opfer krallend und kletternd bestieg, da ihre Beine abgefressen wurden, dann machte es Klick. Wie in einem Schleudersitz wurde Joseph nach hinten geworfen, der komplette Raum, er verzog sich an Joe vorbei. Ein Schrei, ein lauter ohrenbetäubender, männlicher Schrei zerriss die Stille der Zeit. >>AHHHHHHHHHHHH<< Das sabbernde Geräusch der Kreatur auf Joseph gurgelte herausquellendes Blut aus ihrem Mund und ehe die Zeit ihren normalen Gang ging, die Sanduhr kein weiteres Mal umgedreht wurde, öffnete der am Boden liegende Mann seine zusammengepressten Augen. Seine Sicht war verschwommen, seine Wahrnehmung getrübt, doch er fühlte wie eine Last von seinen Beinen fiel und mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden niederging. Josephs Hand schmerzte. Sie blutete wie verrückt und quoll an einer Naht in seiner Handfläche auf. Sein Atem ging wie verrückt, sein Kopf, von einer Seite zur anderen werfend, realisierte in einer ungewöhnlichen Zeit einer Millisekunde, was sich gerade abspielte. Der Rothaarige hatte eine spitze Türscheibe auf dem Boden der Kreatur auf ihm in den Hals gejagt und somit zu Boden gerungen. Noch immer gurgelnd, betrachtete er Jenny wie sie das Blut nur so von sich gab. >>Scheiße Scheiße Scheiße. Was hab ich getan? Was wird hier gespielt?!<< Der Mann stand hektisch auf und übernahm sich dabei, denn er gewann an Übergewicht und fiel erneut auf den Boden.


    Im Hintergrund des dunklen Flures konnte man nun weitere, schlurfende Schritte gepaart mit stöhnenden Stimmen vernehmen, die von Sekunde zu Sekunde immer lauter wurden. >>Das ist nicht euer Ernst?<< Entfuhr es dem Familienvater. Als wieder ein fester Griff das Bein des Mannes packte, trat er reflexartig mit seinem anderen gegen die Hand. Es war Jenny gewesen, die Augenscheinlich von ihrem neuen Accessoire sehr unbeeindruckt war. >>NEIN NEIN NEIN NEIN NEIN!!!!<< Er trat mit seinem freien Bein auf Jennys Gesicht ein. Er trat und trat und trat und mit jedem erfolgreichem Schwung, konnte man das markdurchtreibende Knacken von Knochen hören, das sich trotz der Geräusche hier auf alles niederlegte.


    Joseph dachte nicht mehr nach. Sein Verstand hatte sich längst verabschiedet und so warf er sich auf alle Viere, versuchte aufzustehen. Einen Blick riskierte er über seine Schulter und erkannte, wie ein Tumult aus wandelten Arbeitskollegen nun einen Spurt hinlegten, stets die Hände nach Joseph ausgestreckt. Allesamt waren sie grässlich entstellt und entweder halb aufgefressen, oder voller Blut, doch auch dieses Detail blieb dem Mann verwehrt. Ein weiteres Bild schoss ihm durch seinen Kopf, er hörte Dr. Planks Stimme.


    >>Testobjekte weisen gestörtes Verhalten auf. Ihre Kognitiven Eigenschaften sowie ihre Motorig sind auf das Minimalste beschränkt.<<


    Eines der Monster schaffte es den Hemdkragen des Mannes zu erhaschen, doch dieser konnte sich aus den Klauen winden. Nun rannte auch Joseph los in Richtung Ausgang. Er rannte und rannte, drückte wie wild auf den Aufzugsknopf. Verängstig und mit einem Bibbern im Gesicht murmelte er immer und immer wieder dieselben Worte. >>Komm schon … Komm schon ….<< Der Hintergrundpegel wurde immer lauter, das Schlurfen immer schneller, das Sabbern, das Stöhnen, es war unmittelbar hinter ihm. Joseph drehte sich um, presste seinen Rücken gegen die Glastür und blickte in das Antlitz seines besten Freundes. Brian, er war an der Spitze des Pulks und seine Augen, so verloren wie eine Seele nur sein konnte, erkannten seinen besten Freund nicht mehr. Tränen liefen dem Rothaarigen über seine Wangen, bis sie sich in seinem Bart verteilten. >>Brian, nein … Nein …<< Er presste sich enger an die Fahrstuhltür. Erneute Bilder schossen ihm unkontrolliert in seinen Kopf als hätte er ein Bilderbuch der Vergangenheit geöffnet. Er erinnerte sich an frühere Studienzeiten mit seinem Freund, zusammen wie er Evelyn kennengelernt hatte. Brian war damals der Antrieb gewesen die Frau in der Bar anzusprechen und ohne ihn gäbe es keine kleine Liz. Das letzte, gemeinsame BBQ mit einem glücklichen Brian zusammen mit seiner Frau Katie. Wie glücklich und sorgenfrei er zu diesem Zeitpunkt war. Das erste Wiedersehen vor einer Woche am Flughafen. Seine Tränen liefen nun ununterbrochen. Brian, er streckte seine gierigen, blutverschmierten Hände nach Joseph aus, stöhnte, ächzte, hatte nur eins im Sinn, zu fressen, doch Joseph tat es ihm gleich. Er streckte seine Hand nach seinem Freund Brian aus. >>Halt die Ohren Steif, mein Freund.<< Er schloss seine Augen. Die Zeit verlangsamte sich nun wieder auf Zeitlupe. Das Fahrstuhl-Bink öffnete die Türen und Joseph flog mit einem Stocken in die Fahrstuhlkabine. Seine Tränen flogen tropfenschwer in der Luft langsam zu Boden und vermischten sich mit dem eisenhaltigen, roten Lebenssaft, der überall verteilt war. In seinem Kopf hallte es wie durch ein Echo wieder und wieder. >>Halt die Ohren steif, mein Freund<< Die Fahrstuhltür zog sich zu und die Kreaturen donnerten mit einem lauten Knall dagegen. Sie schlugen, sie ratzten, sie bissen. Der süße rote Nektar verteilte sich schmierig und gelblich an der Fensterscheibe. Unbeeindruckt setzte sich der Glassarg in Bewegung und fuhr in Richtung Erdgeschoss. Inmitten Joseph der langsam das Ausmaß verstand, was gerade passiert war.

  • Kapitel VI


    7 Tage vor dem Day-Z:
    Brookline: Forschungseinrichtung Abstergo Industries
    >> 29.07.2024 Mo 7:25 a.m.
    Dr. Joule


    Joseph saß noch immer auf allen Vieren auf dem Glasboden des Fahrstuhls. Er traute sich nicht nach unten zu blicken um das Grauen, welches sich dort abspielte, nicht noch einmal in all seiner Grausamkeit in seinen Kopf zu holen.
    Sein Brustkorb besaß nun die Funktion eines Blasebalges. Kaum hatte er seine Lungen mit angestauter Luft aufgesogen, stieß er sie wie ein hechelnder Hund hervor. Immer und immer wieder erhob und senkte sich seine Brust hektisch.Seine Augen waren weit und traumatisch aufgerissen, seine Hände zitterten wie verrückt und die Fahrstuhltür, die bereits ein viertes Mal von alleine zu gehen wollte, stoppte bei der Hälfte und ging wieder in Anfangsposition auf, da Josephs Beine im Weg waren. Seine Unterlippe zitterte und sein Kiefer klapperte unkontrolliert ein theatralisches Orchester nach dem Anderen im Takt seine Herzens, welches das überschüssige Adrenalin durchden Körper pumpte. Ein eigenartiger Hauch von Müdigkeit legte sich wie ein Schleier auf Josephs Augen. >>Brian. …<< Ein schlechtes Gewissenplagte den Forscher. Er machte sich Vorwürfe ihn angebrüllt zu haben, dass er ihn dazu getrieben hat noch einmal ins Labor zu gehen. Umso mehr der Rotschopf im Aufzug saß und mit einem leeren, chaotischen Blick und einem blutverschmierten Gesicht vor sich hinstarrte, wurde ihm mehr und mehr bewusst was die letzten Tage an Forschungen verursacht hatten.


    >>Infizierte mit dem Mutagen Z greifen nicht ihre Art, sondern unbefallene Wesen an und fressen sie auf. Dadurch verbreitet sich das Mutagen wie ein Virus, befällt das Gewebe, zerfrisst das Gehirn, und breitet sich in seinem neuen Wirt aus. Zellen werden reaktiviert. …<< Er musste husten. Sein laut schallender Anfall durchbrach die Einkaufsmusik in der Haupthalle und zerriss diese friedfertige Stille. >>Wir haben nie beobachtet, dass tote, aufgefressene Ratten wieder auferstanden waren.<< Er tippte sich mit beiden Fingern an die Stirn. >>Natürlich nicht …<< flüsterte er leise, stand langsam auf und wackelte erschöpft und mit einer bluttropfenden Hand in Richtung Rundell der Lobby. >>Es dauert seine Zeit bis das Mutagen sich ausbreitet. Nach den Testergebnissen haben wir die Ratten entsorgt oder seziert und konnten aus dem Grund nie erkennen, was sich danach abspielen würde<<


    Brian schlug mit seiner geballten Faust auf den Schreibtisch, fixierte mit ernster Mimik den Ausgang der weit offen stand. Er biss sich zynisch auf die Unterlippe und sah noch einmal zurück zum Aufzug. >>Ich kann noch nicht weg.<< Dachte er angestrengt nach. Der kurze Ausdruck der Müdigkeit war von seinem Antlitz verschwunden. Joseph wandte sich mit seinem Körper jetzt zur Rolltreppenseite, blieb aber noch immer am Schreibtisch der Lobby stehen. >>Das Office für die Videoaufzeichnungen befindet sich im zweiten Stock. Wenn ich die Bänder holen könnte, könnte ich herausfinden was genau passiert ist. …<< Er presste seine beiden Augen zusammen und schlug ein weiteres Mal auf den Tisch. >>FUCK!!<< entglitt es ihm und er spurtete auf einen Rums los, als wäre er kein Forscher sondern ein Spitzensportler auf Crack. Seine Füße trugen ihn mit großen Schritten über die Rolltreppe hinauf in den oberen Stock. Die Lobby zusammen mit ihrer Einrichtung und Pflanzen wirkten mit jedem Schritt kleiner. Auf dem Lobbyfußboden war in einer anderen Kachelanordnung das Abstergologo auf dem Boden gelegt, inmitten des kleinen Rundells lag der Arbeitsplatz der jungen Empfangsdame, die noch immer nicht anwesend war. Joseph vermutete bereits mit einer innerlich liegenden Trauer, dass die junge Frau auch nicht mehr auftauchen würde. Er sah ihr freundliches und erhellendes Lächeln vor sich.


    Als er das nächste Stockwerk betrat atmete er angestrengt durch. Seine müden Knochen trugen ihn zur ersten Tür die verschlossen schien. Er kontrollierte mit seinem Blick die Tafelaufschrift an der Tür, wandte sich ab und nahm sich die nächste Tür vor, als er feststellte, dass es sich nicht um das Archiv handelte, ging er wieder weiter. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit die Türschilder mit der gewünschten Information in seinem Kopf zu vergleichen und tatsächlich machte sein Herz einen freudigen Aufsprung, als er nach der 5ten Tür tatsächlich das Archiv fand. Schweiß transparierte auf seiner Stirn, sein Hals wurde trocken. Seine zittrige, blutige Hand umfasste dieAliminiumklinke und benetzte den blanken Edelstahl mit seinem warmen Blut. Ein wackliges Geräusch ertönte als das Schloss zittrig aufsprang. Er öffnete die Tür zuerst einen Spalt und lugte mit vorsichtigem Blick hindurch.


    Im Inneren des Raumes surrten viele Bildschirmmonitore wie in einem Trafohäuschen, überall flackerten zeitversetzt andere Bilder auf, zeigten andere Raumabschnitte und Szenarien des Grauens. Joseph konnte von draußen nicht erkennen was genau sich auf den Flimmerkästen abspielte, denn dafür war der Raum auch zu dunkel.Er öffnete die Tür einen weiteren Spalt.Ein süßlich metallverbreitender, flüssiger Blutgeruch gepaart mit Schweiß und Angst, drückte dem Doktor in die Nase. Er verzog sein Gesicht, und schloss unmittelbar die Tür wieder. Er wandte sich mit seinem Rücken gegen die Tür, presste seine geballte Mannesstatur daran und rutschte mit seinem Rücken auf den Boden. Er presstebeide Handballen auf seine Augen. >>Scheiße scheiße scheiße. … << Erneut donnerte er seine Faust auf den Boden. Es war zu viel. Joseph konnte nicht mehr und das machten sein Körper sowie sein Verstandihm ohne Umwege klar. Seine Kopfschmerzen traten zurück in seinem Hinterkopf die sich mit einem hämmernden Schlag auf seine Schläfen wie ein Presslufthammer ausbreiteten. Jeder Pulsschlag trieb ihn die Schmerzen in seine Hand, dessen klaffende Wunde, auf seiner Handfläche, immer noch blutete.


    Mit einem Ruck riss er sich ein Stück seines Ärmels seines Hemdes ab, und wickelten diesen um seine Hand. Er versuchte noch einmal tief durchzuatmen.


    Er richtete sich erneut auf und stöhnte dabei als hätte er sein Rentenalter erreich. Wieder die Türklinke nach unten gedrückt und die Tür langsam geöffnet, sog er mit angestrengter Mime den süßlichen Duft des Todes in sich auf. Seine Füße erstarrten als er den Anblick im Inneren des Raumes in einem Bruchteil einer Sekunde erhaschte. Er würgte, hielt sich angestrengt seinen Bauch. Ein leises Wimmern kroch über seine Lippen und bedeckte die Totenstille im Archiv. >>Oh Gott, scheiße. …<< Auf dem Drehstuhl vor den aufgebauten Monitoren saß eine schmerzentstellte Männerleiche in dessen Fleisch an Armen, Beinen und Hals jeweils große Stücke von Fleisch und Haut fehlte. Seine braune Uniform zusammen mit seinem herunterklaffenden Funkgerät waren in Blut getränkt, seine Augen weit aufgerissen als hätte er in die tiefen Augenhöhlen des Sensenmannes geblickt. Eine klaffende Halswunde hing an mehreren Fäden seiner Muskeln und klaffte baumelnd an seiner Schulter. Sein Mund war weit aufgerissen, viele blutige Bissspuren zierten sein Gesicht, als wäre es eine neue Modeerscheinungwie Piercings oder Ohrringe.


    Josephs wackliger Schritt setzte den ersten Gang in die Finsternis, dabei behielt er den Uniformierten in seiner Blickrichtung. Joseph wusste nicht wann die Verwandlung eintreten würde, sollte er mit seiner Theorie wirklich Recht behalten, so wäre der Forscher nun in Gefahr. Die Blutstropfen auf den Monitoren sahen aus wie kleine rote dickflüssige Pünktchen, die sich wie Sommersprossen auf eine Nase legten. Wie Liz‘ Sommersprossen. Erneut rebellierte sein Magen. Krämpfe zwangen den Mann in die Knie und er hauchte undurchsichtige Worte hervor. Er schüttelte seinen Kopf, stützte sich von seinem Knie ab und wandte sich in Richtung Konsole auf dem Schreibtisch. Mit wenigen Handgriffen flog er mit der Maus über ein Menü und öffnete einen nicht passwortgeschützten Ordner, in dem sich einige Videodateien befanden.


    >>28.07.2024<< Zierte ein Dokumentationsname dessen Videodatei ebenfalls nicht verschlüsselt war. Seine Aufmerksamkeit zog sich nun auf einen halb verschmierten Bildschirm auf dem zu sehen war, wie mehrere Personen schlurfend im Kreis gingen. Eine Person beugte sich über eine blutverschmierte Leiche und ergötzte sich an dessen Innereien. Es handelte sich wohl um die Kantine, da viele Stühle verstreut auf dem Boden lagen und zerstörte Teller sowie das Besteck überall verteilt war. Angewidert verzog Joseph sein Gesicht. Wieder schnürte der Presslufthammer in seinem Kopf ihm seinen Atem ab. Er fischte sein totes Telefon hervor und öffnete eine Klappe an der Seite, entfernte die Speicherkarte und zog sich das Archiv der letzten Tage mit wenigen Klicks darauf.


    Ein klirrendes Dosengeräusch durchzuckte seine schwachen Knochen und trieb seinen Puls in die Unendlichkeit. Er warf seinen Kopf zur Seite. Seine Augen verfolgten eine Abfolge von surrealen Bildern. Ein Mittarbeiter des Abstergo Industries wackelte mit humpelnden Schritten und ausgestreckten Armen zusammen mit einem tosenden Gestöhne auf Joseph zu. Es lagen wenige Meter zwischen dem Lebendigen und dem lebendig Toten. Erneut raste Josephs Herz und sein Verstand lag kurz davor sich auszuklinken. Seine Mimik verhärtete sich, sein Körper zusammen mit seinen Armen presste sich auf den Schreibtisch, seine Fingerknöchel zeichneten ein tiefes Schneeweis, als er angestrengt die Tischkante ergriff. Sein Körper wollte fliehen. Jede Faser und jede Zelle schrien auf. Die Kreatur kam näher und näher. Man konnte den warmen, fauligen Atem bereits spüren, wie er sich zusammen mit dem blutigen Eisengehalt auf die Haut legte. Joseph betrachtete noch immer angestrengt das Etwas und fischte dabei blind im Hintergrund nach seiner Speicherkarte, die noch im Rechner steckte. Wieder waren die Meter zwischen dem Grauen und seinem Tot weniger geworden. Der Rothaarige hatte Probleme die Speicherkarte zu fischen, immer wieder rutschte er ab. Schweißperlen vermischten sich zusammen mit seinem fremden Blut im Gesicht und er biss sich angestrengt auf seine Unterlippe.Sein Herzschlag pochte stärker als zu vor, seine Lungen waren zum Zerbersten voll mit angestauter Luft. Das Surren wie in einem Trafohäuschen wurde stetig lauter und lauter und spielte zusammen mit dem Presslufthammer in seinem Kopf eine Symphonie der Erschöpfung. Joseph ging alle Möglichkeiten in seinem Kopf durch. Egal welchen Gedanken er erfasste, es kam immer auf dasselbe hinaus. Würde sich der Mann nicht schleunigst vom Fleck bewegen, wars das. Keine Evelyn mehr, keine Liz mehr, keine Gutenachtgeschichten mehr, keine Zweisamkeit mit seiner Frau mehr.


    Seine Augen weiteten sich erneut, als hätte er den nächsten Rausch aus einem gemischten Drogencocktail von Adrenalin und Crack. Er zog die Karte aus dem Rechner und ballte seine Faust, ergriff die Tastatur auf dem Schreibtisch und preschte mit seinem kompletten Gewicht nach vorne um dem Arme ausbreiteten Etwas eins überzubraten. Joseph wusste, dass dieser Angriff dieses Etwas nicht töten würde, aber darauf zielte er nicht ab. Zeit, Zeit war das, was der Doktor brauchte. Die weiße Tastatur flog mit einem leisen Schwung auf das Gesicht des Untoten. Die Buchstaben gruben sich wörtlich verteilt in das aufgerissene Gesicht seines Angreifers, der mit einem nicht beindruckenden Gurgeln die Arme zur Seite riss und durch den Knall zu Boden ging. Joseph’s Hände pochten nach diesem Angriff wie wild und ohne abzuwarten was als nächstes passieren sollte, spurtete er los. Er schob den Toten auf dem Stuhl mit einem Ruck beiseite und pirschte los, gerade bei der Tür angekommen, wollte er um die Ecke biegen, als er am Bein gepackt und zu Boden gerissen wurde. Sein Körper flog wie ein nasser Sandsack auf den Flur und ein dumpfer Schlag zusammen mit einem schmerzverzerrten Stöhnen mischte sich mit der Lobbymusik und legte sich auf die Baumspitzen der Pflanzen. Die Speicherkarte rutschte ihm bei diesem Aufprall aus der Hand und segelte rutschend vor sich hin zum Geländer, wo sie gerade so zum Stehen kam. Wieder trat und fuchtelte Joseph wild um sich, bemerkte, wie er scheinbar etwas mit seinem Fuß traf, da der Griff an seinem Bein sich lockerte. Permanent seinen Blick auf die Karte gerichtet, damit er sie ja nicht aus den Augen verlor, robbte er sich nach vorne, griff unter dem Glasgeländer hervor und berührte den rot/schwarzen Chip mit seinen Fingerspitzen, wodurch er diese nur weiter Richtung Abgrund schob. Als die Karte sich bereit machte 2 Stockwerke nach unten zu segeln, schnappten seine Finger nach vorne und drückten das Speichermedium gegen das Geländer. Vorsichtig zog er mit beiden Fingern das Medium wieder zurück zur Kante und fischte es darunter hervor. Mit einem Ruck drehte sich der Mann auf den Rücken. Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug, bäumte sich ein weiterer, schlurfender Schatten aus dem Archiv, wie er mit hinkenden Schritten Joseph fixierte. Es war der Archivwärter gewesen, der mit seinem baumelnden Stück Fleisch seine Hände nach ihm ausstreckten.


    Die letzten Kräfte mobilisiert, die letzten Schmerzen ignoriert, stand der Rotschopf vom Boden auf. er lief los. Unerwartet taten es ihm diese Kreaturen gleich. Sie waren schnell, sehr schnell, schneller als Joseph, denn er konnte im Augenwinkel erkennen, wie sie ihn auf langer Distanz einholen würden. Woher plötzlich diese Ausdauer? Der Forscher hatte keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Alles in ihm drängte förmlich daran dieses Horrorszenario endlich zu verlassen. Er sprintete über die Abseite zur Rolltreppe, wartete erst gar nicht bis die Stufen richtig in Position standen sondern setzte sich auf das Geländer und rutschte die beiden Stockwerke hinunter. Ein Fehler. Der Fußboden der triumphierend auf Josephs Ankunft wartete, hatte eine besondere Überraschung für ihn geplant. Der Man rutschte mit einem Karacho über den Boden und kam abrupt zum Stehen, woraufhin er sich seinen rechten Fußknöcheln zur Seit verdrehte und erneut auf die Nase flog. Er rutschte einige Zentimeter über den Boden und stieß einen entsetzlichen Schrei heraus. Er krümmte sich und hielt sich dabei sein Bein. Tränen liefen ihm über die Wange. Nicht nur sein Knöchel war gebrochen, sondern auch seine Ausdauer, sein Stolz, seine Kraft war verschwunden und auch der Sinn, warum er dies alles tat. Wieder stieß er einen weiteren Schrei hervor als ein Schmerzimpuls durch sein Knochenmark fuhr. >>Evely … << Hauchte er hervor, legte seinen Kopf auf das kalte Pflaster in der Lobby und wollte nur noch einschlafen. Seine Kräfte waren am Ende. Seine Sicht getrübt und verschwommen. Schließlich hatte es die Dunkelheit mit seiner Beharrlichkeit geschafft. Sie streckte ihre eiskalten und dunklen Klauen nach Joseph aus und ummantelten ihn in einer Finsternis, die unmittelbar Besitz von ihm ergriff.

  • Kapitel VII


    5 Tage vor dem Day-Z:
    Brookline: Hospital
    >> 31.07.2024 Mi 2:15 p.m.
    Dr. Joule




    Ein tragendes Echo vollführte seine Kreise inmitten der Finsternis, in der so manchmal ein kleiner Lichtimpuls, wie ein Ticken eines Uhrwerks, auf den regungslosen Körper schien. Evely, so nah und präsent, bewegte sich aus der Schwärze auf den Mann hinzu, dessen seelenloser Körper in der Luft schwebte und versuchte mit seinen Blicken das einzufangen, was nicht vorhanden war. Sie lächelte. Sie lächelte strahlend hell und ihre schwarzen, langen Haare bedeckten ihre nackten Brüste, dessen perfekte Rundungen nach jedem, kleinen Gang kurz freudig hüpften. Joseph, der inmitten der Finsternis gefangen war, streckte seine Hände zu seiner Frau. Sein Herzschlag hatte an Schwäche gewonnen, seine Kraft, vollendend aufgebraucht. Seine müden Blicke streiften die vollen, schönen Augen seiner Frau, er versuchte zu lächeln, versuchte etwas zu sagen, doch aus seinem leeren Mund entwich nicht einmal ein Hauch einer Silbe. Eine Träne bahnte sich ihren Weg über seine Wangen, sammelte sich an seinem glattrasierten Kinn, ehe dieser Tropfen voll Leben auf den eisigen, schwarzen Boden fiel und eine Welle des Lichts offenbarte. Ein lauter Schall, als würden beide in einer Höhle stehen, umfing die einsame Finsternis mit einem lichtdurchflutenden Flackern, welches nach binnen von Sekunden erlosch und die Finsternis sich das zurückholte, was ihres war. Evelyn bewegte sich weiter auf Joseph zu, ihre Linke noch immer nach ihrem Mann ausgestreckt, doch irgendwas hielt sie davon ab weiterzugehen. Der Rotschopf noch immer gefangen in seinem Körper erreichte seine Frau nicht. Schwarze, düstere und dunkle Wolken bäumten sich auf und schlurfende, gähnend sabbernde und stöhnende Geräusche traten aus dessen Nebel. Evelyn, sie fing an zu rennen, konnte aber nicht voran. In ihrem Ausdruck lag ein theatralischer Schmerz. Sie riss ihren Mund auf und schrie einen dumpfen Schrei aus, den niemand hören konnte. Das Zerren von Körpern, das Schleifen von totem Fleisch, das surrende Geräusch mehrerer Monster, ein Spektakel dessen Worte keinerlei Bedeutung hatte dieses groteske Schauspiel zu beschreiben, offenbarte sich nach und nach aus den türmenden Wolken und ergriffen mit seinen blutigen Klauen und abgenagtem Fleisch das Antlitz derjenigen, die versuchte mit ihrer Reinlichkeit an ihren Mann zu gelangen. Ihre Fingerspitzen berührten fast die des schwebenden Mannes, ihre beiden Blicke kreuzten sich. Die Kreaturen der Nacht umschlangen mit ihren gierigen Händen den Körper der Frau, versuchten sie einzunehmen. Aus dem Schatten traten ihre Fratzen, ihre leeren weißen Augen, ihre grotesken gelben Zähnen die sich in das weiße Fleisch der Frau am Hals bohrten. Das sabbernde Knacken des Fleisches war zu hören, das Blut so warm und Süß, rannte ihr den Nacken hinab, die Blicke noch immer gekreuzt, der Mann noch immer unfähig etwas zu tun. Die Tränen rannten unaufhörlich und auch Evelyn fing an zu weinen. Ihr Ausdruck von Trauer, ihr lautloser Hilfeschrei legte sich über das Schmatzen der Kreaturen, wie ein einsamer Vorhang der Hilflosigkeit, die nun immer mehr wurden und anfingen in die Arme, in die Beine oder in ihre Hüfte zu beißen. Die Krallen der Finsternis bohrten sich in das Fleisch, doch keine Macht konnte diese Frau zu Boden reißen. Nein. Ihre Tränen umspielten nun ihre blutigen Lippen und rannen zusammen mit dem, was sich aus ihrem innersten ergoss, so rein und blutschön, dessen Farbe sich immer wieder an den Lichtwellen brach, auf dem Boden. Joseph konnte nichts tun. Er schwebte noch immer in einem Feld dessen Kraft es nicht zuließ einzuschreiten. Er betrachtete das Spektakel, schrie, formte Worte dessen Bedeutung keinerlei Sinnlichkeit hatte. Evelyn schloss ihre Augen, akzeptierte ihr Schicksal und senkte ihren Arm, sodass sich die Kreaturen nun voll auf sie warfen. Sie wurde zu Boden gerissen und ihre Lippen formten eine letzte Botschaft.


    >>Ich liebe d i c h<<



    Joseph schrie, riss seine Augen auf und erhob sich mit aller Wucht aus dem weißen Krankenbett, dessen Reinlichkeit man mit dem Schnee im Winter vergleichen konnte. Seine Ohren dröhnten und sein Kopf schmerzte. Sein Blick so verwaschen wie das Wetter die letzten Tage, schweifte von der Fensterseite aus nach Richtung Krankenhaustür, die geschlossen war. >>Evelyn<< schrie er in den Raum doch eine Antwort war nicht zu erwarten. Sein Puls war gigantisch. Erneut pumpte sein Herz das Adrenalin in alter Gewohnheit durch seinen Körper, sodass er zu schwitzen begann. Seine Hände zitterten wie wild und ein durchfahrender Schmerz in seinem Bein schoss ihm durch alle Knochen, sodass er zurück auf das Bett fiel. Er bedeckte seine Stirn mit seiner Hand. Sie war bandagiert gewesen. >>Zum Teufel wo bin ich?<< Die Frage war den Umständen entsprechend eher blöd und das gestand sich der Forscher schnell ein. Seine Augen fixierten einen dunklen Fleck an der Decke. Ein stetiges Piepen drang durch sein Ohr. Sein Blick wandte sich von der Decke und untersuchte die Geräuschkulisse, welche ihn nach und nach in den Wahnsinn trieb. Das EKG, welches zur Überwachung seiner Vitalfunktionen eingesetzt war, gab in kontrollierenden Abständen seinen Herzschlag wieder und zeichnete eine lustige, grüne Kurve auf dem Display, die mal stark ausgeprägt wie ein Berg war und dann abflachte, als würde eine Hügellandschaft gezeigt. Das Display verdunkelte sich wieder und zeichnete die Kurven in einem hellen lichtgrün erneut. Joseph runzelte seine Stirn und warf die Decke zur Seite. >>Evelyn …<< Er setzte sich über die Bettkante und tapste mit nackten Füßen auf den eiskalten Boden. Sofort zeigte sein Körper eine abstoßende Reaktion, denn seine Härchen an seinen Oberarmen stellten sich auf und er fröstelte leicht. Genervt von dem ewigen Gepiepe zu seiner Linken, entfernte er die Klammer an seinem linken Zeigefinger und zog den Stecker des Gerätes. Verwirrt sah er auf die Uhr. >>2:15 p.m.<< Er kratzte sich am Hinterkopf und stand auf. Ein überkommender Schwindel warf ihn zurück auf die Bettkante, doch das ließ der Mann nicht zu. Wieder nahm er all seine Kraft und stieß sich vom Bett ab. Kaum wollte er einen Schritt wagen, öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer. Eine schmächtige, zierliche, junge Frau zusammen mit einem stämmigen Oberarzt betraten das Zimmer. Joseph fixierte beide für einen Bruchteil einer Sekunde, dann suchte er mit seinem Blick seine Klamotten. >>Freut mich, dass Sie auf den Beinen sind, Dr. Joule.<< Der Rotschopf antwortete nicht, schweifte mit seinem Blick kurz zum Arzt, dessen Blicke sich kreuzten, dann setzte er sich erneut auf das Bett. Der Arzt hielt ein Klemmbrett in der Hand und ging ein paar Details durch. Joseph fiel auf, dass beide Ärzte ziemlich erschöpft aussahen und es ihnen an Schlaf mangelte. Er musste zynisch grinsen. >>Als würde ich in einen Spiegel blicken.<< Der Arzt wandte sich nun an Joseph, tippte sich energisch mit einem Kugelschreiber gegen die Wange. >>Ein Bürger hatte sie bewusstlos auf den Straßen entdeckt und sofort hatte er einen Krankenwagen geordert. Wir haben ihre Schnittwunde versorgt und ihren Bruch behandelt.<< Joseph legte seinen Kopf schief. >>Bruch?<< Ungläubig musterte er die Aussage des Arztes, blickte dann prüfend an sich hinunter und entdeckte einen dicken Verband mit einer Schiene an seinem Knöchel. Schlagartig schossen ihm Bilder in einer unbestimmten Abfolge in den Kopf. Ein lächelnder Brian in einer Krankenstation, eine hustende Jenny. Szenenwechsel. Infizierte die blutsabbernd versuchten Joseph bei lebendigem Leib zu verspeisen. … Die Speicherkarte. >>Speicherkarte!!<< Schlagartig sprang Joseph wieder aus dem Bett. >>Wie viel Zeit ist vergangen?<< Der Arzt hängte das Klemmbrett zurück an das Krankenbett und kratzte sich an sein Kinn. >>Sie waren zwei Tage bewusstlos.<< Draußen konnte man hören wie medizinische Geräte den Flur entlang geschoben wurden und einige, energische Stimmen in den Raum traten. Instrumente klapperten, schwere Schritte donnerten über den Flur. Vereinzelt konnte man Stimmen und das Weinen von Personen vernehmen die abrupt abbrachen als die Assistenzärztin die Tür schloss. >>ZWEI TAGE?<< Joseph war ersichtlich nervös und seine Hände zitterten nun wieder vor Aufregung. Er seufzte. >>Was ist denn passiert? Ziemlich viele Patienten.<< Der Arzt blickte aus dem Fenster auf den Innenhof, wo sich vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brachen. >>Eine Grippewelle. In den letzten Tagen sind vermehrt Menschen zu uns gekommen die allesamt dieselben Symptome einer Influenza aufweisen.<< Er seufzte. >>Wir sind maßlos unterbesetzt, wir haben keine weiteren Plätze mehr frei und es kommen immer mehr Patienten.<< Joseph nickte, schnappte sich mit einem Ruck sein Hemd und seine Hose, streifte sich diese über und setzte sich wieder. >>Kann ich gehen?<< Der Arzt zuckte mit seinen Schultern, blickte dabei noch immer aus dem Fenster. >>Ihnen geht es gut Dr. Joule. Ihre vitalen Funktionen sind in Ordnung und ihre Wunden behandelt. Sie weisen keine Symptome der Grippe auf, also sind Sie gesund. Unter normalen Umständen hätte ich Sie noch einige Tage zur Untersuchung hierbehalten ob sich ihr Zustand verschlechtert, doch in Anbetracht unserer jetzigen Lage ist es wohl besser wenn Sie gehen…<< Joseph erhob seine Hand. >>Kein Problem. Ehrlich. Ich muss nach Hause und hätten Sie mich nicht entlassen, hätte ich mich selbst entlassen. Meine Frau wartet auf mich und es gibt gewisse Angelegenheiten die sehr dringend sind.<< Der rothaarige Mann streifte sich sein kaputtes Hemd glatt. >>Eine Sache wäre da allerdings noch.<< Der Arzt drehte sich um und warf einen Blick auf Joseph, er zeigte auf das blutgetränkte Hemd. >>Was ist passiert?<< Als sich Joseph gerade das Jackett überstreifte hielt er in einer buckligen Katzenhaltung inne. >>Ich bin Forscher und zwischenstationiert in Abstergo Industries. Es gab einen Sicherheitsvorfall da einige Kollegen von … << Er stockte. >>Sie wurden von Tieren angegriffen. Ich hatte versucht zu helfen um die Blutung zu stoppen. Als ich die Treppen hinuntersteigen wollte um weitere Hilfe zu holen musste ich wohl gestürzt sein. Überarbeitung und Leichtsinn … Sie verstehen?<< Er zwang sich zu einem schauspielerischen lächeln. Ob er überzeugend war mit seiner Scharade? Der Arzt nickte misstrauisch. >>Schlafmangel, Überarbeitet. Ich kann Sie verstehen Dr. Joule.<< Erneut legte sich ein tiefes Raunen über die Einrichtung des Zimmers. >>Die Polizei war vor kurzem hier und wollte Sie sprechen. Da Sie noch nicht ansprechbar waren, haben Sie eine Karte hinterlassen. Es geht um diesen besagten Vorfall im Labor den Sie ansprachen. Nachdem Sie nicht erreichbar waren, gingen sie noch einmal dorthin und untersuchten die genaueren Umstände.<< Er erhob ergebend seine Hände. >>Fragen Sie mich bitte nicht was sie genau wollen. Ich bin Arzt, kein Detektiv.<< Joe glaubte die Visitenkarte vom Nachtkästchen und steckte sie ein, belächelte das ganze schauspielerisch. Er nickte. >>In Ordnung.<< In ihm tobte ein unbeschreibliches Chaos aus Vorwürfen, Angst, Gefahr, und allen anderen Gefühlen die zusammen einen unguten Cocktail ergaben. Er stand auf und hinkte zur Tür, öffnete diese und schloss sie sogleich wieder, als er sich auf dem Flur befand.


    Auf den grünen Linoleumgängen präsentierte sich ein Schauspiel wie in einem Supermarkt, wenn gerade Sommerschlussverkauf war. Viele Leute standen an den Seitenwänden und warteten darauf behandelt zu werden, während einige damit ihre Kraft verbrauchten die Ärzte anzuschreien, wieso niemand mehr aufgenommen werden durfte. Vereinzelt konnte man das Weinen eines kleinen Kindes vernehmen das von seiner Mutter getröstet wurde, wieder wo anders husteten die Menschen lautstark und untermalten das Klischee von einem vollbesetzten Krankenhaus. Als gerade Joseph um die erste Ecke bog um die Treppen zum Erdgeschoss zu nehmen, rannte eine Krankenschwester an ihm vorbei mit einem blutigen Verband um ihr Handgelenk, wo noch immer ein dunkelroter Saft heraustrat. Er konnte hören, wie sie sich über einen Patienten beklagte. >>Hat mich dieser Kerl ernsthaft gebissen. Kannst du mal nachsehen wie schlimm es ist?<< Die Antwort hatte der Mann nicht mehr gehört, da er die Türen zum Treppenhaus aufdrückte und sich erst einmal über das Geländer beugte. Wie ein vorbeirasender Zug, dessen Wind einem ins Gesicht preschte, realisierte er langsam was passiert war. Er verarbeitete Informationen, Bilder, das Gespräch mit dem Arzt. Alles ordnete sich langsam in Regale während Joseph sie aus Schachteln auspackte. Sein Gesicht wurde bleich. >>Scheiße. Es verbreitet sich. Ich muss schleunigst nach Hause. …<< Unten im Erdgeschoss angekommen war der Geräuschpegel um ein vielfaches lauter als oben im zweiten Stock. Er drängte sich an vielen Menschenmassen vorbei um zu einem Taxi zu gelangen, welches auf dem Hof stand. Er öffnete die Tür und drückte dem Fahrer einige Scheine in die Hand, die er gerade so aus dem Jackett gefischt hatte. >>Zum Airport nach Boston. Und das so schnell wie nur möglich.<< Der Taxifahrer nickte und knackste mit seinen Fingern, dann rollte der Wagen los und sie fuhren in der Innenstadt nach Richtung Highway.

  • Kapitel VIII


    5 Tage vor dem Day-Z:
    Oklahoma City : 37212 St Augustine St
    >> 31.07.2024 Mi 7:55 p.m.
    Evelyn Joule




    Evelyn konnte sich kaum entspannen. Immer wieder fiel ihr Blick auf die Uhr an der Badezimmerwand und jedes Mal wenn sie darauf blickte, nahm sie einen Schluck ihres Rotweins, dessen Inhalt zum Überschwappen drohte, wenn sie es vom Badezimmernachtkästchen nahm. Der Schaum des Badewassers legte sich grazil um ihren nackten Körper und passte sich ihren Rundungen an. Ihr Herzschlag war unruhig vor Sorge und ihre Hände zitterten so wie es ihre Augen taten, da sie permanent an ihren Mann dachte, der seit einer Ewigkeit nichts mehr von sich hören ließ. Der warme Wasserdampf ließ die Fließen in ihrem Bad transparieren und der Schweiß lag ihr auf der Stirn. Sie rutschte ein wenig in die Wanne hinein und schlug Blasen mit ihrem Mund, als nur noch die Hälfte ihres Gesichtes im Trockenen lag. Mit einem tiefen Seufzer erhob sich die Frau und das Wasser schlug Wellen bis zur Kante des Keramikbehälters in dem sie sich befand. Sie stand auf und ergriff ein Handtuch am naheliegenden Handtuchständer und warf sich dieses zuerst über den Kopf, damit sie ihre Haare ein wenig freirubbelte. Sie nahm den letzten Schluck des Weines, streckte ihr graziles, langes Bein über die Kannte und trocknete anschließend dieses ab. Sie vermochte nicht zu sagen was in ihr vorging, da tausende Gedanken durch ihre Synapsen preschten, als hätte man einen Staudamm geöffnet. Sie konnte sich kaum auf ihre Arbeit, geschweige denn auf ihre Ruhe konzentrieren. Es war ungewöhnlich für Joseph sich nicht zu melden. Mit einem gekonnten Schwung erhaschte sie das nächste Handtuch und wickelte es sich um ihren Körper, so wie es nur Frauen konnten. Joseph machte sich des Öfteren darüber lustig, wie Frauen sich die Handtücher um ihren Kopf oder ihrer Taille wickeln konnten, sodass es sogar Erdbebenstufe 9 sicher war. Joseph war mehr der Grobmotoriker. Er rubbelte sich trocken und entging somit der Farce an seinem eigenen Körper Harakiri zu betreiben, nur dass ein Handtuch von alleine hielt. Er war sich sicher, dass die Frau schwarze Magie studierte und das Handtuch mit einem Bann fesselte. Anders konnte er sich das nicht erklären. Bei diesem Gedanken musste die Schwarzhaarige verloren kichern.


    Mit tapsigen, kleinen Schritten ging sie die Treppen hinab ins Wohnzimmer, schenkte sich einen weiteren, großen Schluck des Weines ein und schaltete den Fernseher an. Sie schaltete durch das langweilige Abendprogramm und behielt die Nachrichten an, die gerade um 8.00 Uhr anschlugen. Die Vertraute 8 Uhr Nachrichtenmelodie erklang und eine hübsch zurecht gemachte Reporterin tippte sich mehrmals an ihre Headset, als sich im Hintergrund verschiedene Stadtteile aufbauten und durchschalteten. Die Frau räusperte sich einmal mehr unprofessionell und nahm einen Stapel von Notizen in die Hand, die sie auf den Tisch klatschte. Evelyn legte ihre beiden Beine auf die Couch und nippte erneut am Rotwein.


    >>Und jetzt die Nachrichten mit Antonia Revellé.<< Sarkastisch winkte die Schwarzhaarige der Frau im Fernsehen zu. >>Eine noch nie dagewesene Grippewelle schockiert die Nationen. Brookline: Ein Sprecher vor Ort beschreibt das Desaster. Krankenhäuser sind überfüllt und immer mehr Menschen suchen Plätze um behandelt zu werden. Örtliche Arztpraxen sind ausgebucht und die Grippewelle nimmt weiter zu. Bosten und umliegende Städte sind ebenfalls betroffen. Der junge Chefarzt Dr. Pengasus liefert ein Statement ab:<< Die Szene wechselte und die Nachrichtensprecherin rückte in den Hintergrund. Ein gut aussehender, attraktiver Arzt ploppte in einem weiteren Fenster auf. >>Wir raten zur Beruhigung. Die Grippewelle breitet sich in enormer Geschwindigkeit aus, deswegen raten wir, bleiben Sie zu Hause und verdunkeln Sie ihre Zimmer, sollten Sie bereits Symptome aufweisen. Trinken sie viel und vermeiden Sie Stress. Holen Sie sich in Ihrer Apotheke des Vertrauens Medikamente gegen das Fieber und gehen Sie nur mit Mundschutz vor die Tür. Sollten die Symptome sich verschlechtern, rufen Sie den Krankenwagen.<< Die Szene wechselte wieder auf die Nachrichtenmoderatorin. >>Vielen Dank Dr. Pengasus. Nun kommen wir zum Wetter. Wie verzeichnet finden wir in Teilen des Südens vereinzelte Re - … << Die Schwarzhaarige unterbrach das Fernsehprogramm indem sie auf den roten Knopf der Fernbedienung drückte. Mit einem „Surr“, schaltete sich das Gerät vollständig aus. Gedankenversunkenumschloss sie ihr Weinglas als würde ihr Leben davon abhängen. Nur vorsichtig führte sie es zu ihren Lippen und nippte an dem roten Nektar des Lebens. Wieder blickte sie auf die Uhr. >>Grippewelle. Brookline. Bist du krank geworden und deswegen nicht erreichbar? Nein, du hättest dich gemeldet.<< Sie fischte das Telefon hinter ihrem Hintern hervor da sie auf diesem saß. Sie schaltete es an, glitt mit ihrem Blick über die Ziffern der Uhr. Sie entsperrte das Telefon mit einem Klick und drückte die Wahlwiederholung, die sie in der letzten Zeit gewiss 90 Mal gedrückt hatte. Josephs Nummer sprang an und der Bildschirmhintergrund wechselte auf ein Portrait, das ihren Mann zeigte. Das Telefon wählte erst gar nicht durch sondern leitete sogleich die freundliche Frauenstimme an, die zu jeder Uhrzeit und zu jedem Augenblick immer das sagte, was man nicht hören wollte. Wenn man mal eine Zeit hatte in der man überglücklich war und sich aufregen wollte, aber keinen Grund dazu hatte, dann war die Frau am anderen Ende der Leitung genau DIE Ansprechpartnerin, um von 0 auf 180 zu gehen und das in wenigen Sekunden. Wutentbrannt schmiss sie ihr Telefon gegen ein Kissen an der Couch, sodass es abprallte und auf den Boden flog. Sie verschränkte beide Arme zornig und nippte erneut an dem Weinglas. >>Melde dich, gottverdammt! …<< Der weitere Blick auf die Uhr ließ die Zeit nicht schneller vergehen, im Gegenteil. Sie hatte das Gefühl umso öfters sie das Ziffernblatt betrachtete umso mehr würde die Zeit stehen bleiben,– Evelynsche Theorie – doch sein lassen konnte sie es auch nicht.


    Am Wohnzimmer/ Flureingang konnte man leise, tapsende Schritte hören und eine kleine, im Schlafanzug stehende Liz rieb sich mit einer Faust ihr Auge. In ihrer Linken hielt sie Mr. Bommels, der wieder quer auf dem Boden lag. >>Mommy ich kann nicht schlafen.<< Evelyn stellte das Weinglas zur Seite und stand von der Couch auf. Sie lächelte tröstend. >>Ach Liz Spätzchen. Du musst ins Bett. Du bist krank. Du kannst nicht einfach herumlaufen, sonst wirst du nie gesund.<< Sie legte ihre Hand auf die Stirn ihrer Tochter und dabei hatte die Mutter das Gefühl, sie würde verbrennen. Das Fieber stieg von Stunde zu Stunde an und trieb die Nässe auf das Gesicht des Mädchens. >>Komm, Mommy bringt dich zurück ins Bett.<< Sie hob Liz auf den Arm und ging mit ihr zurück in ihr Kinderzimmer, worauf sie die Kleine ins Bett legte und das Kissen sowie die Bettdecke neu aufschüttelte. Schließlich brachte sie ihrer Kleinen noch etwas zu trinken, dann öffnete sie das Fenster einen Spalt, sodass frische Luft durchzog. >>Wo ist Daddy?<< Evelyn setzte sich auf die Bettkannte und hielt die Hand ihrer Tochter. Ihre Augenringe waren gigantisch tief gewesen und man konnte die Erschöpfung in den glasigen Augen ihrer Tochter direkt erkennen. Sie legte Mr. Bommels neben Liz und deckte auch den Hasen zu, dabei streichelte die Mutter behutsam den Kopf der Kleinen. >>Daddy ist noch in Brookline unterwegs. Er wird sich bestimmt bald melden.<< Evelyn hatte Sorge, dass sie ihre Tochter soeben angelogen hatte. Sie wusste nicht, wann Joseph etwas hören lassen würde. Sie hoffte ja selbst die ganze Zeit, dass das Telefon endlich schellen würde. Es blieb beiden nichts anderes übrig als abzuwarten. Als Evelyn gerade aufstehen und gehen wollte, hielt Liz den Arm ihrer Mutter fest. Sie schüttelte den Kopf. >>Nicht gehen.<< Hauchte sie weinerlich hervor. Evelyn rückte ihr Handtuch strenger, dann lächelte sie sanft. Sie legte sich mit Liz zusammen ins Bett und hielt sie fest im Arm bis beide eingeschlafen waren.

  • Kapitel IX


    3 Tage vor dem Day-Z:
    Oklahoma City : 37212 St Augustine St
    >> 02.08.2024 Do 6:30 a.m.
    Evelyn Joule



    Es war der zweite August herangebrochen und das erste Mal seit einiger Zeit schien die Sonne wieder durch die verschlossenen Jalousien durch das Kinderzimmer und warf zusammen mit seiner Wärme interessante Schatten an die pinken Wände von Liz Zimmer. Die Nacht war nur spärlich vorangeschritten und jede tickende Sekunde auf dem kleinen, rosa Kinderwecker, dessen Ziffernblatt eine weibliche Comicfigur auf einem Pony zeigte dessen bewegende Peitsche die Zahlen umspielte, hatte Mühe voranzuschreiten. Die schwarzhaarige Mutter hatte die ganze Nacht über wach gelegen denn sie war in Sorge um ihre Tochter. Liz Zustand hatte sich von Stunde zu Stunde verschlechtert und im Schlaf hatte sie oft weinerlich gemurrt, ohne dass sie selbst davon etwas mitbekam. Sie hatte einen schweren Fiebertraum der sie nicht gehen lassen wollte. Evelyn wich nach einigen Stunden nach Mitternacht in das Bad und holte eine kalte Schüssel mit Eiswasser darin, viele Handtücher und Waschlappen. Immer wieder legte sie die Badeartikel in das Wasser, sodass sie sich vollsogen, damit die junge Schwarzhaarige diese auf Liz Stirn legen konnte.Ihre Temperatur war bald an einem kritischen Punkt angelangt, doch die Mutter hatte alles im Griff. Sie konnte das Fieber um ein Grad senken und über die Nacht hinweg halten. Kurz vor 6 hatte sie sich aus dem Kinderzimmer geschlichen und mit einer großen Tasse Kaffee an den Esstisch gesetzt. Sie stierte mit ihrem Zuckerlöffel um die Schaumkrone und gähnte lauthals durch die Morgenrunde, dabei fixierte sie ein heranfahrendes Taxi vor ihrer Haustüre. Kurzzeitig wäre sie fast weggenickt, ihre schwarzen Augenränder lagen tief über ihren Wangen. Sie nahm einen kleinen weiteren Schluck ihres Kaffees, dann legte sie ihren Kopf schief. >>Besuch?<< Dachte sie sich verwundert und blickte dem Taxifahrer entgegen, der gerade ausstieg und die hinterste Beifahrertür öffnete. Man konnte sehen wie er lauthals mit den Armen fuchtelte, dann stieg ein zusammengeklappter und buckliger Mann aus, dessen Anblick ebenso abscheulich war, wie Evelyns Antlitz momentan. Als sie das feuerrote Haar über den gelben Taxiwagen erhaschen konnte, donnerte ein klirrender Knall auf die Fließen in der Küche. Evelyn hatte vor Anspannung ihre Kaffeetasse fallen gelassen, dessen Inhalt sich nun spritzartig überall an den Seitenwänden und Schubladen der Kücheneinrichtung verteilte. >>JOSEPH!<< Schrie sie förmlich und spurtete mit ihrem zugeschnürtem Bademantel Richtung Haustüre. Sie hörte wie ihr Mann versuchte den Schlüssel in das Loch zu stecken, doch Evelyn wartete nicht ab. Sie riss die Klinke zur Seite und warf die Tür auf. Joseph, der sich dahinter befand, erschrak und wich einen Schritt zurück. >>Schatz ich - …<< Evelyn warf sich um Josephs Schultern, dabei sah das ganze lustiger aus als es war. Die größere Frau drückte ihren kleineren Mann so sehr, dass er fast keine Luft mehr bekam. >>Halt die Klappe du Vollidiot und lass dich küssen!<< Sie hatte noch immer ihre Hände um ihn gelegt, sich nur minimal entfernt um ihn einen innigen Kuss auf die Lippen zu geben. Sie blickte ihren Mann vorwurfsvoll an, dann küsste sie ihn erneut. Eine Träne bahnte sich über ihre Wange. Sie boxte leicht mit einer geballten Faust auf den Brustkorb ihres Gatten. >>Scheiße Joseph. Wo warst du? Was ist passiert? Warum hast du dich nicht gemeldet? Eigentlich sollte ich dir jetzt den Kopf abreißen und dir einen Arschtritt verpassen.<< Ihr Mann lächelte beruhigend sanft und zog die Schuhe aus, dann warf er das Jackett in den Flur und ging in Richtung Wohnzimmer. Evelyn sah ihrem Mann an, dass etwas nicht stimmte. >>Alles in Ordnugn?<< Joseph ignorierte die Frage, schaltete den Fernseher an.


    >>Eilmeldung: Grippevirus erreicht kritische Notla …<< Das Programm wechselte. >>Ärzte haben mit einen noch nie dagewesenen Grippevirus zu kä …<< Wieder wechselte Joseph das Programm. Evelyn, sie stand verloren zwischen Wohnzimmertüre und Flur, betrachtete geistesabwesend die Handlungen ihres Mannes. Seine Mimik war ungewohnt hart. Er lächelte nicht. Seine Reaktion gegenüber war kälter als das Eiswasser, welches die Mutter zuvor für Liz machte. Schließlich ballte sie ihre Faust und ihre Stimme wurde energischer. >> JOSEPH JOULE! WAS IST GOTTVERDAMMT NOCH MAL LOS?!<< Ihr Mann zuckte kurz zusammen, tippte sich mit seiner Hand gegen die Stirn. Er atmete tief durch, dann bewegte er sich wieder hektisch schnell. >>Pack deine Sachen zusammen. Wir müssen hier weg. Schnell! Hol Liz aus ihrem Zimmer und dann fahren wir in die Berge, in unser Ferienhaus und bleiben dort!<< Evelyn schüttelte ihren Kopf. >>Nein Joseph! Du sagst mir SOFORT was passiert ist und was das mit den Nachrichten zu tun hat! Gottverdammt, REDE MIT MIR!<< Ihre erzürnte Stimme hallte durch das ganze Haus und man konnte die geballte Energie fast schon fühlen. Joseph, der nun zu seiner Frau aufschloss und sie an den Schultern packte und sie schüttelte, fing sich eine Ohrfeige von Evelyn ein. Er wankte zurück und blickte sie entgeistert an. Das Klatschen seiner Wange hinterließ einen bitteren Unterton und schongleich zeigte seine Frau Reue dies getan zu haben. Sie ging auf Joseph zu, hielt ihre flache Hand schützend vor seine Wange, dann sah sie ihn das erste Mal an richtig von oben bis unten an. Sein Gesicht war bleich und seine Augenringe so tief wie die von Evelyn und Liz zusammen. Sein Hemd war zerrissen und voller Blut, sein Bein einbandagiert. Evelyns Unterkiefer begann zu zittern und noch einmal fragte sie in einer ruhigen Manier, was passiert war. Joseph holte tief Luft, dabei sah man in seinem Auge, wie Bilder einer Katastrophe sich abspielten. Seine Hände fingen plötzlich an zu zittern. >>Es gab ein Vorfall im Labor mit den Testobjekten. Die Grippe, die sie in den Nachrichten ankündigen, IST KEINE Grippe. Es ist das Mutagen Z, ein Virus das sich wie eine Krankheit verbreitet. Brian … er … Brian ist TOT, Evelyn, verstehst du TOT?!<< Er ging auf die Knie und fing an zu schluchzen. Seine Frau verstand immer noch nicht so recht, hielt allerdings ihren Mann in den Armen und legte ihren Kopf auf seinen, strich seinen Hinterkopf um ihn zu beruhigen. >>Was ist genau passiert Joe.<< Er holte tief Luft. >>Brian und ich waren dafür eingeteilt die Vorkommnisse im Labor zu untersuchen da einige Mitarbeiter an Grippe erkrankt waren. Wir haben das Mutagen an Tieren ausprobiert und ein Verhaltensmuster festgestellt was daraus resultierte, dass das Gen die Gehirnzellen angreift. Es gab einen Zwischenfall indem Brian infiziert wurde, danach … Danach … Evelyn!<< Seine Stimme brach mitten drin ab und er holte Luft. Tief aus seiner Lunge atmete er ein als würde er für die nächsten Stunden Unterwasser verbringen. Seine raunende Stimme zusammen mit seinem emotionalen Zusammenbruch, legte sich über alles hier im Raum. Auch Evelyn ließ einen Ausdruck von Mitgefühl. >>Hauptsache du bist wieder da.<< Sie flüsterte ihm ins Ohr. Nach einer kurzen Zeit, die für beide wie eine Unendlichkeit vorkamen, setzte sich Joseph auf. >>Schatz, hol deine Sachen und wir müssen fahren. Vertrau mir. Ich habe Dinge gesehen die ich gerade nicht erklären kann aber wir müssen hier weg. Schnell!<< Joseph ging in das Bücherzimmer im Erdgeschoss, welches neben Esszimmer und Wohnzimmer lag, an den Safe, indem Evelyn ihre Dienstwaffe lagerte. Die große Frau, sie schlurfte ihrem Mann hinterher und blieb halb an der Wohnzimmerseite in der Tür stehen. >>Joseph?<< Ihre Stimme klang ernst. >>Joseph was machst du da?<< Ihr Mann blickte das schwere Metallobjekt an. Es war ein befremdliches Gefühl. Ein Gefühl von Unbehagen und Unsicherheit legte sich auf seine Hand. Er konnte nicht verstehen wie Evelyn damit umgehen konnte geschweige denn, wie sie es damit aushielt und auf jemanden schießen konnte. Als Joseph wieder keine Antwort auf Evelyns Frage gab, trat sie mit ihrem nackten Fuß auf den Boden. >>Herrgott Joseph. Jetzt beruhig dich mal wieder! Wir können nicht weg! Deine Tochter ist Krank und sie liegt oben im Bett!<< Nun durchfuhr ein zittriger Blitz das komplette Mark in Josephs Knochen. Seine Stimme zitterte und seine Augen weiteten sich vom Adrenalin, welches er gerade in Massen produzierte. >>Liz ist krank?<< Evelyn nickte. >>Ja Joseph. Deine Tochter hat Fieber und diese dämliche Grippe eingefangen, die gerade in den Nachrichten kursiert.<< Ihr Mann ging einige Schritte auf Evelyn zu, diese hatte mit ihrem scharfen Blick stetig die Waffe im Auge. >>Wurde Liz die letzten Tage gebissen?<< Evelyn erhob eine Augenbraue und ging einen Schritt zurück. In ihrer Stimme lag eine gewagte Unsicherheit. >>Jaa? Es war gestern gewesen. Ich habe sie vom Kindergarten abgeholt und dabei hatte mir die Leiterin erzählt, dass ein Junge sie gebissen hätte. Liz machte während der Autofahrt schon einen kränklichen Eindruck also wollte ich sie die Woche zu Hause lassen und habe mir extra Urlaub genommen. Aber was hat das jetzt mit der Situation zu tun.<< Joseph wankte mit einem donnernden Schlag zusammen mit seinen Schultern gegen das Bücherregal, sodass einige Bücher herausflogen. Er weinte, er weinte fürchterlich und seine Tränen überdauerten keine Sekunde den anbahnenden Schmerz, den er in seiner Brust verspürte. Als Evelyn auf ihren Mann einredete, hörte er nicht zu. Seine Hände zitterten und immer wieder schlug er mit der Waffe gegen das Bücherregal, als würde jemand energisch an die Tür klopfen. >>Nein … nein … nicht Liz. …. Nein!<< Auch jetzt war Evelyns Coolness weg. Sie machte sich langsam Sorgen und auch ihr überkam ein Schauer des Unwohlseins.


    Draußen auf dem Flur konnte man kleine tapsende Schritte hören.


    Evelyns Arme und Beine zitterten, sie versuchte sich ein paar Schritte auf ihren Mann zuzubewegen, aber ihr Körper reagierte nicht. >>Was ist mit unserer Tochter?<< stammelte sie mit verwirrten und unvollständigen Worten hervor. Das Schlurfen im Hintergrund wurde immer lauter.


    Evelyn drehte sich um. Zwischen dem Glastisch und dem Fernseher im Wohnzimmer stand Liz mit herabgesenkten Schultern und einem bleichen Gesicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Zähne bleckten wie die eines Reißwolfes hervor, während eine dunkle Substanz aus ihren Mundwinkeln floss und sich in einem schimmernden Rot in den weißen Flusen Teppich vergruben. Evelyn Schrie auf. >>ELISABETH!<< Dröhnte es durch das ganze Haus und brach die Fensterscheiben zum Wackeln. Joseph der sich aufrappelte versuchte zu Evelyn zu spurten, die sich gerade aus der Türschwelle entfernte. >>EVLYN NEIN!<< Er presste beide Augen stark zusammen und versuchte sich auf den Beinen zu halten. Sein gebrochener Fuß trieb die Schmerzgrenze um ein Vielfaches hoch und Schweiß perlte von seiner Stirn ab. Evelyn, sie rannte zu ihrer Tochter, hielt allerdings abrupt inne, als ihre kleine Tochter sie anfauchte. >>Liz Spätzchen?<< Joseph gelang zu seiner Frau, packte sie an den Schultern wobei der eiskalte Stahl in seinen Händen ein imaginäres Zischen von sich stieß, als es die Haut von Evelyn berührte. Liz tapste weitere Schritte nach vorne. Ihre glanzlosen und weiß getrübten Augen fixierten jeweils Joseph, dann wieder Evelyn. Sie schmatzte und grunzte mit einem tiefen Gurgeln Blut über die Lippen. Die Kleine Schrie einen dumpfen, ohrenbetäubenden und kreischenden Schrei aus, den Evelyn auf den Boden warf. Die schwarzhaarige Mutter streckte ihre Hand nach ihrer Tochter aus. >>Joseph, was … Was hat das zu bedeuten?<< Ihre Luft wurde abgeschnürt. Hilflosigkeit und das Einzige, was Evelyn jemals beschützen wollte, lag nun so weit in der Ferne, dass es keinen Sinn mehr machte überhaupt noch einen Gedanken zu fassen. Der rothaarige vergoss weitere Tränen die über seine Wangen flossen und seine Hände zitterten. Die Waffe lag klappernd in beiden Handflächen und der Finger war bereits am Abzug. Er zielte auf Liz, schob den Hahn des Revolvers mit einem Klicken nach hinten. >>E-es tut mir leid.<< Evelyn verstand nicht, sie blickte ihren Mann entgeistert an. >>JOSEPH?!<< Wieder sprang sie auf ihre Beine. Diese schnelle Reaktion veranlasste, dass Liz nun nach vorne preschte wie eine Furie die nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte. Sie nahm den Glastisch als Sprungbrett und vollführte mit patzigen Schritten einen Sprung. Ihre kleinen Füßchen, getränkt in ihrem eigenen Blut, beschmierten den Tisch mit Fußabdrücken und ihr noch immer währendes Fauchen zerriss die morgendliche Stille im Haus. Evelyns Mund stand offen, ihre Augen, so groß vor Angst und Unsicherheit wie die Pforten zur Hölle. Die Schwarzhaarige wusste nicht was zu tun war, also schaltete sich ihr Instinkt ein. Mit einem Ruck, drehte sie sich mit dem Rücken zu Liz, hielt ihre Arme weit ausbreitend zur Seite.


    Wieder hatte der Sensenmann seine Finger mit im Spiel denn er griff nach seiner Sanduhr, die er stets bei sich trug und stellte sie mit seinen knochigen Fingern auf den Glastisch in die Blutstapfen der kleinen Liz. Die Zeit fror ein und mit seinen gierigen, blutigen Schädelhöhlen überflog er das Szenario, dessen Bildabfolge nur schwer voranschritt. Joseph zuckte zusammen und hatte den Abzug nach hinten gedrückt. Sein Herzschlag taktierte das nächste Kapitel in seinem Leben und egal was folgte, es wäre zu spät. Die silberne Trommel drehte sich im Uhrzeigersinn und der Hahn schlug mit einem ohrenbetäubenden Lärm auf die goldene Kugel in der Kammer, die nur darauf wartete bis ihre Zeit gekommen war. Pulverreste flogen in Zeitlupe durch sämtliche Öffnungen und rieselten wie schwarzer Schnee zu Boden. Der Rauch aus der Revolverspitze, aus dem Lauf des Todes, stieg bedrohlich an die Decke und verteilte sich mit einem schießpulverartigen Geruch mit dem eingeschalteten Deckenventilator. Der Sensenmann, der im Hintergrund seine Sense in die Ecke stellte und sein schwarzes Buch herausholte, fing bereits an Namen zu notieren. Sein immerwährendes, groteskes Lächeln unter seiner schwarzen Kapuze, lugte hervor und doch konnte es niemand sehen. Niemand konnte den Herren des Totes sehen, zusammen mit seiner Waffe die sich stetig nach dem Verderben anderer sehnte um sich an deren Blut und Seelen zu laben.


    Als ob Evelyn die Sanduhr umgestoßen hätte war der stillgelegte Augenblick wieder in normaler Zeit und alles was passierte, war real. Die Kugel bohrte sich mit einem donnernden und nicht zu erblickenden Getöse in die linke Schulter der Frau, die sich schützend zwischen Kind und ihren Mann aufbaute. Ihre Augen quollen hervor und Blut spritzte aus ihrem Mund, welches sich zusammen mit dem schwarzen Schnee auf den Boden legte. Josephs Schrei drang nicht länger an das Gehör der schwarzhaarigen Frau. Es war, als würde sie sich unter Wasser befinden. Ihr Herzschlag und das Tosen in ihren Ohren dominierte alles um sie herum. Scherben zerbarsten unter dem heftigen Ruck von Evelyn, da sie auf den Glastisch im Wohnzimmer flog.


    Ihre Sicht war trüb und ihr Körper, er reagierte auf keine Signale mehr. Sie blickte stets ohne zu blinzeln an die Decke und betrachtete schon fast zynisch den Deckenventilator, wie er eine Runde nach der anderen Drehte und das ganze Spektakel mit ansah, ohne in geringster Weise einzuschreiten, etwas zu unternehmen. Das Surren hallte weiter und weiter in ihren Ohren. Es übertönte alles um sie herum und tunkte die Schwarzhaarige in eine gewisse Lethargie. Ihr wurde langsam kalt und sie bemerkte, dass sie ihre Finger nicht bewegen konnte. So sehr sie sich anstrengte um ihren Arm zu heben, um aufzustehen und ihre Tochter zusammen mit ihrem Mann zu umarmen, es gelang ihr nicht. Ein trockener husten zusammen mit einer warmen Flüssigkeit bahnte sich über ihre Lungen hinweg und benetzte ihre vollen, roten Lippen. Dann erneut. Die Frau sah aus ihren Augenwinkeln, wie ein schwarzer Schatten an der Decke sich aufbäumte und in Richtung Joseph lief. Ein erneuter Schuss zerriss die Luft. Schwefel trat der Frau in die Nase. Wieder konnte sie nichts riechen, schmecken, oder sehen. Der Ventilator entfernte sich mit jeder Umdrehung mehr und ihre Augen zeichneten vereinzelt blinkende Sterne. Ein letztes Mal bäumte sich ihr Brustkorb, dann umfasste eine noch nie dagewesene Finsternis ihre Augen. Ein dumpfer Knall neben ihr ließ eine kurze Weile vergehen, ehe noch ein Schuss fiel.

  • Der Versuch den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle. >> Karl Popper


    Prolog Akt II


    Ausbruch des Day-Z:
    Weltweit



    Der menschliche Organismus ist ein aufziehendes Uhrwerk, welches mit voranschreitender Zeit immer mehr an Kraft verliert. So beschaffen, dass er sich nach einer bestimmten Zahl von Jahren gewissermaßen selbst zerstört. Die Körperzellen folgen einem inneren Lauf, sich zu verändern, sich weiterzuentwickeln. Es ist ein ungemein komplexer Prozess, in dem sich die chemische Aktivität verändert wodurch immer seltener Mechanismen genutzt werden, immer seltener neue Zellen entstehen. Manche Gene beginnen selbstzerstörend zu wirken. Das Resultat: Wir altern, bis wir schließlich sterben. Was also, wenn man diesen Prozess verlangsamen oder gar stoppen könnte? Abestergo Industries, ein Farmerkonzern und eine Forschungseinrichtung zum Erforschen gentechnisch veränderbaren Substanzen, befasste sich mit dem Thema der „Unsterblichkeit“. Krankheiten heilen, den Zellverfall überdauern. Was nützt einem jene Unsterblichkeit eigentlich die der Mensch seit jeher anstrebt?


    Die Angst vor dem eigenen Ende treibt uns an wie ein Motor. Der Instinkt erwacht. Angst dominiert das Handeln zu überleben. Egoismus treibt den Mensch in der Not an vorderster Front. Gruppen bilden sich. Das Rechtssystem verabschiedet sich. Anarchie unter einer Gruppierung ohne Regeln. Die Gesellschaft verändert sich. Veränderung ist die Instanz die sich nicht aufhalten lässt, die sich zwangsweise entwickelt. Veränderung sowohl bedingt durch Ereignisse auf der Welt, als auch durch Mutation.


    Chaos, die Höllenpforten geöffnet, die Dämonen freigelassen auf der Spielwiese des Planeten. Nach dem Ausbruch des Mutagens-Z dauerte es nicht lange bis es in einer grippeartigen Seuche seinen Lauf machte. Dr. Joule, angesehener Wissenschaftler und Doktor im Bereich Biochemie, war zusammen mit seinem Kollegen dafür verantwortlich, das Mutagen zu entwickelnund zu erforschen. Unfälle die sich ereigneten waren das Resultat für einen Beginn eines neuen Zeitalters. Das unfertige Gen brach in unkontrollierten Zügen aus dem Labor und infizierte durch zunehmende Entwicklung die Menschen, die damit in Kontakt kamen. Das Gen veränderte die Struktur ihres Erbguts und befiel die Aktivitäten im Gehirn, reduzierte die Funktion auf das Geringste. Das Mutagen-Z bewirkte, dass zuerst die Zellenregeneration angetrieben wurde um altes und totes Material zu beseitigen. Haare wuchsen in einer in ihrer alten Form und Farbe, gebrochene Knochen heilten in binnen von Stunden, Hautzellen bildeten sich nach. Schließlich fing es an sich in den Kopf zu fressen. Es löste eine Kettenreaktion aus, was die Synapsen angriff. Menschen wurden krank, sie wurden verrückt. Ihre Körpertemperatur stieg an, bis sie selbst an einem Herzstillstand starben. Tote Zellen und das befindliche Fleisch an den Knochen, wurden trotz fehlendem Antrieb reaktiviert und am Leben gehalten. Die Toten waren nicht länger tot, gepaart mit dem einfachsten Trieb den ein Tier aufweisen konnte. FRESSEN.


    So war es möglich, dass wandelnde Leichen zuerst Brookline, dann Boston überfielen. Was als Grippe getarnt war, war ein ernstzunehmender Fall. Die Krankheit verbreitete sich über einen Biss der neuen Spezies Mensch. Ein Raubtier, welches seine Reißzähne in das saftige Fleisch des Menschen stecken konnte, infizierte deren Blut. Das Virus war im Körper und sogleich fing es an zu arbeiten. Etwas mehr als Vierundzwanzig Stunden hatte der Mensch Zeit, bevor die Verwandlung eintrat.



    Eine Heilung gab es nicht.

  • Kapitel I



    0 Tage nach dem Day-Z:
    Oklahoma City: 37212 St Augustine St
    >> 05.08.2024 Fr. 10:00 a.m.
    Evelyn Joule



    Einsamkeit. Eine ummantelte Einsamkeit umspielte mit seinen schwingenden Tönen das Echo der Zeit, welches mit pulsierenden und schlagenden Wellen voranschritt. Das Metronom im Hintergrund zusammen mit dem Dirigenten, der in einem Frack auf seinem Podest stand und die schwarzen Schatten, dessen Instrumente ein tiefes Raunen anspielten, mit seinem Taktstock die Richtung unterwies.


    Eine Frau mit schwarzen Haaren, ihre Lippen rot geschminkt und ihre langen Wimpern schwarz getuscht, lief mit langsamen und kleinen Schritten auf ihren Platz in der Oper, dessen Saal vollkommen leer war. Ihr tiefes und weinrotes Ballkleid schlug Wellen an dessen Spitzen und ihre hochhackigen Schuhe versanken im säumenden Teppich der Halle. Eine weiße Rose zierte den linken Träger ihres Kleides und blickte mit unschuldigem Blick in die Richtung, welche die Frau einschlug. Sie legte ihre kleine Handtasche beiseite, nahm ihren Platz in der vordersten Reihe der Oper ein und legte ihr linkes Bein über ihr Rechtes. Sie sog die Luft scharf ein, atmete sie leise und behutsam aus. Ihr Blick flog auf die leere Bühne, dessen surrende Scheinwerfer nun in kegelförmigen Abständen von der Decke strahlten. Die Instrumente verstummten, der Vorhang öffnete sich. Evelyn strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, legte ihren Kopf dabei schräg. Der große Kronleuchter an der Decke erlosch und der Saal wurde in eine gedimmte Finsternis getunkt.


    Der eingefallene Dirigent, dessen Knochenhände den Taktstock zuerst einmal gegen die Notenblätter schlug, dann zweimal und dreimal, erhaschte die Aufmerksamkeit seiner schattenspielenden Instrumente. Er blickte mit seinen tiefen und schwarzen Augenhöhlen über seine Schulter, dessen Frack nichts an seinem Skelett ausfüllte und musterte dabei die einzige Zuschauerin im Saal. Er nickte ihr zu, seine weißen Zähne an seinem Schädel zierten ein immerwährendes Lächeln, dann hielt das Etwas inne. Er öffnete seinen Mund, der Taktstock vollführte eine stille Pause in der Luft. Ein konisches, klapperndes Lachen durchbrach die andauernde Stille, ehe er mit einem Schwung den Taktstock nach unten riss und die Schatten Anfingen ihre Instrumente zu spielen.


    Eine Welle geballter Musik preschte durch den Saal und auf Evelyns Armen stellten sich die Haare auf. Die Vorhänge der Bühne zogen sich wie von Geisterhand zur Seite und offenbarten eine Kulisse, dessen Szenerie der einzigen Zuschauerin sehr bekannt vorkam.


    >>Beginnen wir den ersten Auftakt, den ersten Einblick in dessen, was sich offenbart, wenn die Einsamkeit sich wie ein Schleier über die Gefühle derer legt, die davon betroffen sind.<< Der Dirigent breitete seine beiden, knochigen Arme zur Seite aus.



    Die Bühne war aufgeteilt in nun mehreren Räumen. Eine offene Tür trennte ein Spielzimmer von der Küche, in der sich zwei Personen lauthals unterhielten. Die Einrichtung war nobel gehalten, es war sauber und aufgeräumt. Im Fenster konnte man Frühlingsbäume erhaschen, die in einem prächtigen Blütenmeer erblühten. Ein stämmiger, kräftiger Mann mit kurzgeschorenen, schwarzen Haaren war in Armeekleidung gehüllt und hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Der weibliche Gegenpart hingegen, hatte eine Schürze über ihrem sonst so natürlichen Outfit. Was sie sagten, das drang der Frau im Publikum nicht ans Ohr, doch ein Gefühl ließ sie nicht los, dass sie diese Szene bereits kannte. Man konnte die Gesichter der beiden Erwachsenen nicht erkennen. Tiefe Schatten überzogen ihre Augen, ihre Wangen, ihre Nasen, nur den Mund konnte man in einem strahlenden Licht erblicken, dessen Konturen nur ein Strich war. Ihre Hände gestikulierten wie wild. Ein Auftakt der Instrumente stimmte eine Arie an und die Frau warf in einem trauernden, zittrigen Blick einige Teller zu Boden die in einem weiteren Auftakt der Streichinstrumente zusammen mit dem tiefen Wanken des Kontrabasses zerbarsten.


    Ein kleines Mädchen mit gebundenen, schwarzen Haaren spielte auf dem Boden mit einer Puppe im Nachbarzimmer, die sie immerzu nach oben in die Luft hob. Das Gesicht der Kleinen konnte man im Gegensatz zu den anderen Schauspielern sehr gut erkennen. Ihre Augen strahlten die Unschuld in Person aus und ihre Lippen, so rot gezeichnet wie ein dunkles, gefülltes Weinglas, zogen verschiedene Ausrücke durch den Raum. Der Soldat, er entfernte sich von seinem Gegenüber, dessen Hände sich in das Gesicht gruben. Die Brust der Frau zuckte fürchterlich, ihre Haltung war gebrochen und nach vorne Übergebeugt.Sie weinte. Die Tür zum Nebenraum fiel ins Schloss. Der Mann beugte sich, kniete auf den Boden und umarmte seine schwarzhaarige Tochter, die mit ihrem Kleid auf dem Boden saß. Ihre schwarzen Haare legten sich über seine Schultern, ihr Gesicht vergrub sich in seinen Armen. Sie verstand nicht. Die große Person erhob sich und auf seinem in Licht getränkten Mund legte sich ein sanftes Lächeln, sein mit Nebel bedecktes Gesicht blickte in die großen, vollen Augen des Kindes. Mit einem weiteren Auftakt erlosch das Licht der Bühne und der Vorhang fiel. Der Knochenmann mit seinem Taktstock des Todes, warf eine theatralische Handbewegung in den Raum und das Konzert verstummte. Er lachte. Sein schellendes, klapperndes Lachen durchflutete den leeren Saal und legte sich auf die Haut von Evelyn, die nun angespannt im Sitz herumrutschte. Sein Kieferknochen preschte immer und immer wieder auf seine Zähne.


    Der Dirigent wandte sich umher. Sein Frack flatterte in der aufbäumenden Drehung. >>Das war das erste Mal, das sich der Schatten der Einsamkeit auf das Antlitz der Kleinen legte. Mal sehen was Akt II zu bieten hat.<< Sein metallenes, schellendes Lachen überzog ein weiteres Mal die roten Samtbezüge der Oper und erneut erhob er seinen Taktstock, woraufhin die Schatten anfingen zu spielen.


    Wieder war die Bühne in einem gleißenden Licht getränkt, die Vorhänge öffneten sich. Es musste einige Zeit vergangen sein, so sah man durch das Fenster die Frühlingsbaume, die in ein sanftes Rot/Braun getränkt waren. Es war Herbst und die Blätter fielen von den Bäumen. Dieselbe Darstellung des Hauses zeigte nun die Küche sowie das alte Spielzimmer, in dem es chaotisch aussah. Die Möbel waren vergilbt, das Sofa zerstört, die Kücheneinrichtung spröde und die Kacheln vor Müll nicht zu überblicken. Eine ältere Frau saß nachdenklich am Küchentisch und eine heranreifende, junge, schwarzhaarige Dame gesellte sich mit ihrem festen und zynischen Blick zu ihrer Mutter. Sie redeten miteinander, der Dialog vom Konzert des Todes überspielt, blieb es am Betrachter hängen die Mimik der jungen Frau zu lesen. Ihre vollen, roten Lippen bewegten sich, ihre Haltung war stark und präsent, ihre Augen strahlten einen Glanz von Stärke und Wut aus. Die ältere Frau weinte erneut, faltete einen Brief auf dem Tisch und stand auf. Die schwarzhaarige Tochter, sie streifte sich einmal durch ihr am Ende auflockendes, schwarzes Haar und wandte sich ab in Richtung Küchentür, wo sie einen Augenblick inne hielt. Ihr Blick war gesenkt, ihre Haltung angespannt. Ihre Lippen bewegten sich, ihre Augen strahlten einen Glanz von Kälte aus, die mit ihrem Schein alles um sich herum bedeckte. Das Konzert erreichte seinen weiteren Höhepunkt, das Scheinwerferlicht wurde gedimmt, die ältere Frau am Tisch nahm ein Glas und warf es in die Richtung ihrer Tochter gegen die Wand. Es wurde dunkler. Ein Scheinwerfer zielte auf die große, schwarzhaarige Frau, die sich mit sanften Schritten Richtung Ausgang machte, auf dem Weg die kleine Puppe auf dem Boden betrachtete, dann mit mehreren Männern in ein Militärfahrzeug stieg. Der Vorhang, er schloss sich erneut.


    Ein leises Wispern durchzuckte die Einsamkeit die in diesem Saal lag. Der Knochenmann erhob seine Stimme erneut. >>Ein weiteres Mal. Die Einsamkeit, sie umfasst mit seiner krallenden Reichweite nicht nur eine Person, sondern legt sich auch über seine Mitmenschen. Wie fühlt sich wohl die schwarzhaarige Maid dabei, sich für einen Weg entschieden zu haben auf dem nur der Tot lauert? Sie hat sich verraten gefühlt von ihrem Vater verlassen worden zu sein. Erneut verraten von seiner Abstinenz nie wieder zurückgekommen zu sein. Ihre Entscheidung in seine Fußstapfen zu treten, um seinem und vor allem ihr Leben einen Sinn zu geben, warf nicht nur Schneewittchen in einen tiefen Schlaf in ihrem Glassarg, sondern brachte auch dazu ihre Mutter die eisige Kälte zu spüren. Hehe…<< Er erhob wieder seine Hände. >>Werfen wir einen Blick auf Akt III<<


    Schrecklich monoton und fast wie in einem Déjà-vu, öffnete sich der Vorhang erneut.


    Die junge, schwarzhaarige Frau war älter geworden und saß allein an einem Tisch in einem auf der Bühne aufgebauten Militärzelt, las einen Brief. Ihre Ellenbogen waren darauf gestützt und man konnte von den Plätzen aus sehen, dass sie an der Stirn sowie um ihrer Brust hin bandagiert war. Der weiße Verband erstreckte sich wie eine einbandagierte Mumie über ihre linke Hand bis zu den Fingerspitzen, dessen Fingerkuppen zusammen mit ihren Nägeln gerade so herausblitzten. Ihre Kräfte hatten nachgelassen, dennoch mimte sie die Starke, musterte den Gefreiten, der in das Zelt trat und mit seinem Schattengesicht mit der schwarzhaarigen Frau sprach. Sie nickte ihm mehrmals zu, dann stand die Frau auf und verließ das Zelt. Draußen war ein Jeep aufgebaut indem sich ein großer Rucksack sowie die Waffe der Soldatin befanden. In ihrem Tanktop strich sie sich mit ihrer bandagierten Hand einmal durch ihr volles Haar, ehe sie als Beifahrerin in den Wagen stieg.


    Der Vorhang schloss sich, die Musik spielte weiter. Nun stimmte das Konzert eine traurigere Musik an und so wie sich der schwere Vorhang schloss, öffnete er sich wieder. Die Kulisse hatte sich geändert. Papierfetzen, die den Schnee symbolisierten, fielen nun von der Decke auf die Bühne und ins Publikum. Das traurige Musikstück untermalte die Szenerie in seiner Einfachheit und die Soldatin stand mit einem gekrümmten, vorgebeugten Rücken vor einem Grabstein, dessen Aufschrift in der ersten Reihe, in der sich Evelyn befand, sehr gut lesbar waren.


    >> Alles, was wir in unserer Einsamkeit sagen können, ist, möge der reiche Segen des Himmels auf alle herabkommen<< Die Namen, waren in silberner kalligrafischen Schrift über den schwarzen Marmor gezogen.


    >>Hier ruhen die Gebeine von Noah und Abigail Joule<<


    Wieder legte sich der Vorhang über die Szene, wieder wandte sich der Dirigent an die Frau im Publikum. Evelyn, sie biss sich auf ihre Unterlippe, krallte sich mit ihren Händen in den rot überzogenen Stoffsessel und stand auf. >>Nana? Derweil habt doch Ihr den Auftakt unseres Schauspiels noch gar nicht gesehen!<< Evelyn ballte eine Faust. Gestikulierte mit dieser und strich von der linken Seite zur Rechten, als vollführte sie einen Schlussstrich. Ihre Wangen liefen vor Wut rot an und untermalten dabei ihre gleißende Schönheit. Der Knochenmensch schallte wieder auf, legte den Taktstock zur Seite und flog mit einem tosenden Schatten auf Evelyn zu, packte sie an beiden Schultern und warf sie dabei zu Boden. Umso weiter er sich zu ihr bewegte, umso verfaulter wurde das reine und schöne rote Kleid. Es schrumpfte zusammen, es wurde dreckig, Löcher bildeten sich und schon bald glich es einem Lumpen, dessen Anblick nichts mehr mit dem Kleid davor zu tun hatte. Sein kalter, weißer Schädel bewegte sich langsam über die Wange der Frau hinweg und sein Körper, trotz, dass er nur aus Knochen unter einem Frack bestand, war so schwer wie ein Fass voll Blei. Seine Stimme war nun energischer. >>Aber aber junge Maid. Was soll diese Aufregung? Habt nicht Ihr dieses Leben der Schwarzhaarigen geschrieben? Habt nicht Ihr mit Euren Entscheidungen dafür gesorgt, dass sich der Vorhang der Einsamkeit über eure Köpfe hinabbewegt? Der Im Krieg gefallene Vater, die einsam zurückgelassene Mutter die ihr Kind vernachlässigt, eine rebellische Jugendliche die sich zur Armee verpflichtet, ihre Mutter allein lässt sodass sie erkrankt und allein in ihrem Haus stirbt?<< Der Knochenmann wischte mit seiner Rechten einmal zur Seite und wieder öffnete sich der Vorhang. Das Konzert stimmte eine neue Arie an. >>Seht! Seht genau hin! Eure Entscheidung der Einsamkeit zu entfliehen zog weitere Menschen in Euer Schicksal!<< Evelyn raunte, sie bewegte sich strampelnd von einer Seite zur anderen, doch sie konnte nichts ausrichten, sie unterlag dem knochigen Koloss.


    Auf der Bühne war es leer. Eine Leinwand fuhr hinunter und ein Projektor schlug mit rasselnden Bewegungen Bilder an die Wand. Man sah, wie eine wieder älter gewordene Frau in einer Bar saß, sich mit ihrem Blick in ihrem Whiskeyglas verlor und genervt von einem gutaussehenden, rothaarigen Mann mit Dreitagebart angesprochen wurde. Sie ließ ihn mehrere Male abblitzen, doch das machte den Mann nur energischer. Schließlich stand sie wortlos auf und knallte dem Barkeeper das Bargeld auf den Tresen und wackelte mit betrunkenen Schritten vor die Tür, wo es aus allen Wolken schüttete. Ihre Augen waren glasig, ihre Haare in binnen von Sekunden klatsch nass. Sie hatte gerade ihre Arme vor ihren Brüsten verschränkt und den Weg nach Hause eingeschlagen, so öffnete sich die Tür erneut. Der rothaarige Mann trat mit einem Schirm heraus und lief der jungen Frau hinterher, spannte ihn auf. Die Betrunkene musterte den Kerl erneut, doch dieses Mal ließ sie ihn nicht abblitzen, im Gegenteil. Sie sprachen miteinander und gingen die Straßen in Manhattan entlang.


    Szenenwechsel. Es war erneut einige Zeit vergangen und die schwarzhaarige Frau, zusammen mit dem rothaarigen Mann, befand sich im Schlafzimmer, in einem großen Bett. Ihre nackten Körper schmiegten sich zusammen mit ihren innigen Küssen aneinander. Der Mann umfasste die großen und wohlgeformten Brüste der Frau und er ergötzte sich an ihrem reinen Antlitz. Sie war kein Engel, nein, das war die Frau nie gewesen, eher wie ein Teufel heraufgekommen um den zu verführen auf dem sie gerade saß, mit ihren Beinen abgewinkelt, dessen schwarzen Spitzen ihrer Seidenstrümpfe nur so an seinem Becken kratzten. Sie strich mit ihren sanften Fingern mehrmals über das Brustbein des Mannes, öffnete ihre roten Lippen jedes Mal, wenn eine wellenartige Bewegung durch das Becken des Mannes schoss und ein Gefühl der innigen Geborgenheit in ihr auslöste. Sie beugte sich vorne über, ihre Haare umstrichen die Schultern des Mannes und auch er packte sich die Frau, zog sie enger zu sich heran. Er spürte das weiche Pärchen auf seiner Brust, küsste die Frau, die er sein Eigen nennen konnte, auf ihre roten Lippen.


    Szenenwechsel. Der Projektor warf weitere Bilder an die Wand, die nun eine Kirche offenbarten. Die schwarzhaarige Frau war in Weiß gekleidet. Ihr großes, weißes Ballkleid zusammen mit dunkelroten, zierlichen Bändchen, schmiegte sich um ihre Taille und stach besonders mit ihren Lippen und ihrem schwarzen Haar hervor. Ein Priester im Hintergrund hatte die Hände gefaltet auf einem schwarzen Buch mit goldener Aufschrift und die Menschen, die in der Kirche waren, standen mit Tränen in den Augen auf. Eine ältere Frau im Hintergrund spielte tonlos auf einer Orgel und die Kamera schwenkte auf die große Eingangstür, in der ein Mann in einem schwarzen Anzug und mit bibbernden Knien sich auf den Altar zubewegte. Die Filmrolle stockte kurz. Die Frau zusammen mit dem Mann, sie küssten sich und beide steckten sich den Ehering an den Finger.


    Ein erneutes Stocken ließ die Zeit in einem Jahrestakt vergehen. Die Frau, sie lag verschwitzt in einem Krankenhaus. Ihre Wangen rot vor Anstrengung, ihre Haare klatschnass auf ihren Schultern, in ihren Händen, ein schreiendes Mädchen, neben ihr, ein bleicher Mann, der mit seinen roten Haaren und seinen tiefen Augenrändern seine beiden Frauen betrachtete. Eine unbeschreibliche Glückseligkeit lag in dieser Szene.


    Szenenwechsel. Die Kleine war größer, sie machte ihre ersten Schritte. Erneuter Wechsel. Sie lag zusammen mit ihrem Vater im Bett, der ihr was vorlas. Wechsel. Sie hatte zusammen mit ihrer Mutter einen Kuchen gebacken und ihre Nasenspitze war in Mehl getaucht. Wechsel. Die Kleine wurde größer und größer. Sie stand zusammen mit ihren Eltern an der Kindergartenpforte. Beide waren sie glücklich und hielten sich im Arm als die Kleine hüpfend die Pforten des Kindergartens durchquerte. Der Film stoppte.


    Der Knochenmann legte seinen Kopf schief, dann strich er mit seinen weißen und hadernden Fingern über die Wange der Frau, die er noch immer in der Gewalt hatte. >>Ihr habt diese Szenen geschrieben, sie durchlebt. Tragt die Konsequenzen die daraus resultieren, Evelyn. Was als nächstes kommt, wisst Ihr genau. Akzeptiert Euer Schicksal. Akzeptiert Euren Verlust, lasst den Schmerz zu und umarmt die einsame Finsternis mit all Eurer Kraft. Ihr stielt Euch nicht so einfach aus dem Leben, Eure Zeit ist noch lang nicht gekommen!<< Wie in einem heranfahrenden Zug, zog sich der Saal komplett zusammen und verschwamm unter den Tränen der liegenden Evelyn. Der Knochenmann lachte schellend auf, breitete seine Arme aus und schwebte in die Luft. Sein schallendes Lachen dröhnte in den Ohren der Frau und sie bewegte hektisch ihren Kopf stetig von der einen Seite zur anderen. Immer wieder murmelte sie unverständliche Worte, immer wieder strampelte sie wie ein kleines Kind um sich von irgendetwas loszureißen. Der Saal, der zerfiel. Wie in einem Zeitraffer alterte der Saal zusammen mit der Einrichtung. Das Holz wurde spröde, die Requisiten auf der Bühne verloren an Glanz, das Licht flackerte bedrohlich auf. Alles brach in sich zusammen und begrub die Frau unter sich, die schützend ihre Arme von sich gestreckt hielt.


    Stille.
    Eine nie dagewesene, ohrenbetäubende Stille legte sich über ihr Trommelfell und nur langsam öffnete sie ihre Augen. Sie schwebte in einem schwerelosen Raum, dessen Ende nicht zu erkennen war. Kinderlachen hallte durch ihren Kopf. Immer wieder blickte sie von einer Seite zur anderen, schwenkte ihren Kopf stark von einer Schulter zur nächsten, konnte weder Wände nocheinen Boden erkennen. Sie presste ihre Lungen fest zusammen und wollte etwas sagen, doch ihre Worte verstummten und Luftblasen stiegen an der unendlichen Weite der Decke hinauf. Ihre Augen, sie hatte sie weit aufgerissen. Wieder schallte Kinderlachen durch ihre Ohren. Evelyn, sie fing an zu schreien, sie zappelte. Weitere, weiße Luftblasen stiegen empor und bedeckten ihr weinendes Gesicht, dessen salzige Tränen sich mit ihrer Umgebung vermischten. Sie war gefangen. Sie war gefangen in sich selbst und eine gewisse Akzeptanz sowie Unbeschwertheit legte sich über ihr Herz, dessen Impuls ihr dennoch Schmerzen durch den Körper trieben. Es waren keine Schmerzen von oberflächlichen Wunden, es waren emotionale Schmerzen die sich nach und nach tiefer in ihr Herz fraßen und dort Schäden verursachten, die eine gewisse Kälte auf ihren Augen abzeichnen ließ. Ihr roter Mund, er war ein gezeichneter Strich geworden und der lebhafte Glanz in ihren Augen, verschwand mit dem nächsten Kinderlachen. Liz Antlitz flackerte in der Ferne für eine Sekunde auf. Ihr strahlendes Lächeln, brannte sich in die Augen der Mutter, die emotionslos ihre Hand nach der Ferne ausstreckte.


    Ein lauter, zerreißender Schuss, durchbrach die atemlose Stille unter Wasser und riss die Frau zusammen mit der Schwärze um sie herum in einen Abgrund, dessen Geräusch an einen Wasserfall erinnerte.


    Evelyn riss ihre Augen auf, stemmte sich vom Glastisch empor und sog die Luft so lauthals scharf ein, dass sie damit das ganze Wohnzimmer tränkte. Ihre Schulterschmerzen ignorierte die Frau zunächst, da das Adrenalin, welches durch ihre Adern gepumpt wurde, die Hemmschwelle ihrer Schmerzen trübte. Ihre Hände bluteten vor Schnittwunden des Tisches, ihr verwirrter Blick flog über die zertrümmerte Einrichtung hinweg zur Küche, in der noch immer die zerstörte Kaffeetasse auf dem Boden lag. Langsam richtete sie sich auf. Sie packte ihre linke Schulter und hielt sie fest. Ihr panischer Blick fixiert auf den blutverschmierten Boden. Ihre Dienstwaffe lag in einer Lache aus Blut auf dem Teppich und schongleich arbeitete ihr messerscharfer Verstand unter dem Einfluss des Adrenalins rational und ohne Umwege. Bilder flogen ihr in den Kopf was sich im letzten Moment abgespielt haben musste. Bilder der Entrückung, des Schmerzes, des Verlustes. Ehe sie die ganzen Eindrücke und Gefühle aufsaugen und sortieren konnte, stieß sie mit ihrem Fuß über etwas Weiches auf dem Boden. Evelyn bewegte ihren Blick stockend auf den Gegenstand. Ihre Augen weiteten sich. Der letzte Hauch von Leben entwich mit einem schallenden Gelächter des Knochenmanns in ihren Ohren und die Frau fiel auf ihre Knie. Ihre Hände zitterten und mit einem Male flachte das stützende Adrenalin ab. Ihre Lippen zitterten, ihr Hals zuckte förmlich und in ihrem Gesicht machte sich ein Ausdruck von undefinierbarem Schmerz breit. Evelyn, sie konnte nichts sagen, sie war stumm gewesen. Obwohl tausende Gedanken durch ihren Kopf schossen, obwohl eine Welle von Gefühlen des Schmerzes sie überrannte, sie stieß keinen einzigen Jauchzer hervor. Ihre zittrigen Arme, ihre Hände, die von ihrer Wunde an ihrem linken Arm mit Blut bedeckt waren, gruben sich unter den pinken Schlafanzug der regungslosen Person auf dem Boden, dessen Einschusslöcher rote Flecken auf den aufgestickten Bären hinterließen, der auf der Brust des kleinen Mädchens zu sehen war. Evelyn legte ihre Stirn auf die blutverschmierte, offene, Stirn des Mädchens und ignorierte die Einschussstelle darauf. Sie strich ihrer Tochter das zerzauste, rote Haar mehrmals glatt, dann überkam ihr ein stechender Schmerz in ihrer Brust, der sie daran hinderte Tränen zu vergießen. Evelyn, die schwarzhaarige Ex-Soldatin, die Mutter der einzigen Tochter die sie in die Welt gesetzt hatte, lag nun in Scherben zerbrochen auf dem Boden, so wie es ihr Glastisch war und weinte stille Tränen des Leids, die in keiner Form sichtbar waren. Nein Stille Tränen waren nie für jemanden Sichtbar, denn ihr Herz blutete mehr als es Tränen hätte ausdrücken können.

  • Kapitel II


    0 Tage nach dem Day-Z:
    Oklahoma City: 37212 St Augustine St
    >> 05.08.2024 Fr. 11:30 a.m.
    Evelyn Joule




    Wozu das Ganze? Wieso weitermachen? Der Moment zog sich wie eine Spirale tief in den Abgrund von Schwärze und Schmerz in der die Frau so nach und nach hinabgezogen wurde. Noch immer hatte sie das Haar ihrer Tochter gestreichelt, noch immer hatte sie ihren leblosen Körper an sich gepresst und dabei ihre Umgebung vollkommen aus den Augen verloren. Ihr Kopf tickte nur noch in einer Richtung. Alles was sie besaß, alles was sie liebte, was sie schützen wollte, was sie sich zur Aufgabe machte, war mit mehreren Schüssen zunichte gemacht. Die Schwarzhaarige bäume ihren Brustkorb auf, ihr Herzschlag war um ein vielfaches reduziert. Ihre Hände zitterten noch immer und in ihren Augen lag eine Ausdruckslosigkeit, die beängstigend war. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. War es bereits Mittag, war es abends? Welcher Tag war überhaupt? Diese Fragen stellte sich die junge Mutter erst gar nicht. In ihrem Kopf dominierte das Scherbenmeer aus dem einzigen Chaos, welches sie in ihren Händen hielt. Was gab es noch für einen Grund jetzt aufzustehen und nach Antworten zu suchen? Es wäre so viel einfachergewesen, hätte Joes Schuss sie am Kopf getroffen, denn ihr Herz war gerade so und so in blutigen Splittern am Boden verteilt. Sie wusste es nicht und eine Antriebslosigkeit überflutete ihre kompletten Gliedmaßen. Als erneut die Zeit wie ein Wimpernschlag verging, betrachtete die schwarzhaarige Mutter die Sommersprossen ihrer Tochter. Das Kinderlachen in ihrem Geiste ebbte nicht ab. Sie war noch immer Stumm, weinte noch immer nicht. In ihrer Verfassung war die simpelste Handlung eine schiere Überwindung.


    Kratzende und klopfende Geräusche bahnten sich im Flur an und Evelyn vermochte nicht zu sagen, was sich auf den Straßen Oklahomas abspielte. Das Donnern wurde immer stärker, dann konnte man Holzsplitter zerbersten hören. Die Eingangstür wurde aufgeschlagen, der Frau war es egal. Noch immer saß sie regungslos auf dem Boden. Mehrere, schwere Schritte überrannten den Flur, dann bauten sich schwer geschützte Männer in der Wohnzimmertür auf. >>Wir haben eine Überlebende! Sichert den Flur!<< Man konnte hören wie einige Funkgeräte knackten, wie schwere Waffen in den Anschlag genommen wurden. Einer der Männer bewegte sich mit beruhigender Stimme und einer erhobenen, flachen Hand auf Evelyn zu. Sie blickte noch immer karg auf ihre Tochter, die von Sekunde zu Sekunde blasser wirkte. >>Alles in Ordnung Ma’am?<< Was für eine bescheuerte Frage. Natürlich war alles in Ordnung, konnte man das nicht sehen? Wäre Evelyn in einer anderen Verfassung gewesen, hätte sie dem Mann wohl mit wenigen Handgriffen für diese Frage den Kopf umgedreht, doch nichts drang in ihrer Welt an ihr Ohr. Nicht die Kugel, die noch immer in ihrer Schulter steckte, nicht die Tatsache, dass sie halbnackt und voller Blut auf einem Scherbenmeer des Tisches saß und auch nicht, dass von Joseph jegliche Spur fehlte.


    Die Männer entpuppten sich als Sondereinsatzkommando dessen Aufgabe darin bestand nach Lebenden zu suchen, doch wenige Worte gelangten in ihr Gehör. Sie erhob ihren Blick nicht, sie antwortete nicht. Die junge Frau saß noch immer wortlos auf dem Boden, ihr Kind eng an sich gedrückt. >>Ma’am Sie müssen mit uns kommen.<< Keine Reaktion. Er ging ein paar Schritte auf Evelyn zu, streckte seine Hand hervor und legte sie auf ihre Schulter. Ein Fehler. Blitzschnell und ohne zu realisieren was die Frau eigentlich tat, hatte sie nach der Hand des Soldaten gegriffen, sich dabei vom Boden mit beiden Knien abgestoßen und mit einem gezielten Tritt den schweren Koloss, der durch seinen Helm gut ein Kopf größer war, ins Wanken gebracht. Dies nutzte die Frau aus um sich an seinem Arm heranzuziehen. Sie vollführte eine tänzerische, halbe Drehung um ihn, sodass der Bademantel komplett zu Boden glitt. Ihre nackte Haut offenbarte sich im blutigen Szenario des Wohnzimmers. Sie legte ihren linken Arm um den Hals des Mannes und drückte zu, fischte mit ihrer Rechten die Pistole aus dem Holster des Soldaten und legte den Lauf an die Schläfe, die nur wenige Millimeter durch seinen Helm geschützt war. Ihre weichen Brüste pressten sich auf die Kevlarpanzerrung an seinem Rücken. >>Was zum?!<< Entfuhr es dem Mann. Zwei weitere Soldaten im Flur bauten sich in der Tür auf und gingen mit ihren Waffen in den Anschlag, ihre Stimmen hallten durch das Visier, sodass es beschlug. >>LASSEN SIE DIE WAFFE FALLEN! WIR ERÖFFNEN DAS FEUER!<<


    Evelyn legte ihren Kopf zur linken Seite auf ihre Schulter und knackte mit ihrem Genick. Ihr Zeigefinger, so ruhig und gelassen, streichelte den Abzug der Waffe mit einer grazilen Bewegung wie es ein Klavierspieler tun würde, wenn er eine Arie anstimmte, sodass sie den ersten Widerstand des Abzugs bereits im Griff hatte. Ein weiteres Zucken ihres Zeigefingers würde dafür sorgen, dass der Mann das zeitliche segnet.


    Ihr Verstand arbeitete messerscharf. Ihre Emotionen und Gefühle abgeschaltet, ihr Geist auf Hochtouren. Sie blickte mit abschätzenden Blicken die beiden Männer vor ihr an, blinzelte einmal kurz, dann hielt sie die Luft an. Ihr eiskalter Blick durchbrach Mark und Bein und wenn es allein um das Überleben ohne Waffengewalt ging, hätte die schwarzhaarige Eisprinzessin bereits nur allein durch ihre Augen gewonnen. Sie zog den Abzug einen Millimeter nach hinten und der Lauf der schwarzen Glock sprang zurück. Das Mündungsfeuer sprang in einem tosenden Lärm zusammen mit Funken am Helm des Mannes ab, doch die Kugel, die sich im Lauf befand, durchdrang seinen Schädel als würde man mit einer heißen Klinge Butter schneiden. Das Blut verteilte sich auf den Regalen im Wohnzimmer und mit einem Ruck drückte die Frau den Hals des toten Mannes in ihren Arm fester zu, bewegte sich einen Schritt nach hinten und warf sich mit dem Rücken auf den Boden. Die beiden Soldaten im Flur fingen an zu schießen. Die Kugeln feuerten in einem aufblitzenden Gewitter quer durch das Haus. Putz bröckelte von der Wand, Bilder fielen herunter, der Fernseher war durchlöchert wie Schweizer Käse. Evelyn befand sich noch immer im Fall und hatte den Koloss vor sich als Schutzschild missbraucht. Seine Panzerung hielt die meisten Kugeln von ihr fern und als der 120 Kilo Mensch Evelyn unter sich begrub, blitzte ihre rechte Hand hervor. Mit zwei gezielten Schüssen auf beide Männer, durchdrang ein tosendes Donnern deren Helme und setzte ein Statement genau zwischen deren Augen.


    >>WAFFE FALLEN LASSEN!<< Stürmte es erneut durch das Haus und Evelyn zuckte absent zusammen. Ihre kalten Augen fixierten beide Männer die wieder im Flur standen, die sich gerade auf die Frau zubewegten, die Waffen noch immer im Anschlag hatten. Sie zuckte katatonisch mit ihren Augenlidern. Sie hatte den nun wieder lebenden Mann noch immer im Schwitzkasten, drückte seine Kehle weiter zu, als hätte man die Zeit um ein paar Sekunden zurückgedreht. Nein, es war keine Magie im Spiel, es war Evelyns Gabe Dinge einzuschätzen, abzuwägen und auszuführen. Sie konnte in ihrem Kopf Szenarien abspielen lassen die sie wie ein Theaterstück befolgte, als würde sie ein bereits geschriebenes Skript lesen. Sie konnte anhand von Beobachtungen, Abschätzungen und Erfahrung Dinge beurteilen, sodass sie meist ihren Gegenspielern mehreren Schritten voraus war. Evelyn verglich ihren tief vergrabenen Instinkt mit einem simplen Schachspiel.


    Der schwarze Tod in ihren Fingern, er war noch immer auf die Schläfe des Helmes gerichtet, ohne zu zittern, ohne zu zucken. Sie seufzte, ließ mit ihrem Griff locker, bewegte sich einem Schritt nach hinten und zielte mit ihrer Waffe auf die beiden Männer mit den Gewehren. Sie ließ das Magazin der Waffe wie ein Magier mit einem Knopfdurch aus der Kammer fallen, zog den Schlitten nach hinten, sodass sich die ungebrauchte Kugel mit ihrem goldenen Glanz in den blutgetränkten Teppich fraß. Sie warf die Einzelteile der Waffe zur Seite, ihre dünnen Härchen auf den Armen stellten sich auf und sie strich sich einmal durch ihr Haar. Sie bemerkte nicht, dass sie nackt vor den Soldaten stand, dass ihr blutgetränkter Bademantel auf dem Boden thronte. Jetzt, wo ihr Herzschlag aufhörte das Adrenalin weiter durch ihre Blutbahn zu befördern, klopfte ihr Herz stark. Das Tosen, das sich gerade in ihrem Körper ausbreitete, ließ die Frau auf ihre Knie fallen. Sie hielt sich ihre linke Schulter und ihr Gesicht war mit einem Ausdruck des Schmerzes geprägt.


    Der Soldat raffte sich mit einem tiefen Schnaufen wieder auf die Beine, wandte sich zur Frau, die mit beiden geschlossenen Händen um ihre Arme greifend auf den Knien saß. Er war trotz der Situation eher gelassen und ruhig. Wieder versuchte er einen Annäherungsversuch und streckte seine Hand hervor. Der schwarze Lederhandschuh brach sich im hereinfallenden Sonnenlicht der Fensterscheiben. >>Hören Sie. Sie müssen mitkommen. Es bleibt Ihnen nicht viel Zeit, sonst sterben Sie hier.<< Evelyn blickte den Mann nicht an. Sie fixierte einen toten Punkt auf dem Teppich dessen rotes Blut zu einem Muster zusammenfloss, was an eine abstrakte Figur erinnerte. Sie stieß zynisch einen schnalzenden Seufzer über ihre Lippen. >>Ich bin längst tot. …<< entgegnete sie leise zu sich selbst.


    Einer der Männer im Flur wandte sich blitzschnell zur Eingangstür da mehrere, sabbernde und schlurfende Schritte von Draußen zu hören waren. >>Scheiße diese Viecher haben uns bemerkt!<< Er richtete seinen Blick zu seinem Kollegen. Der Mann im Wohnzimmer biss sich auf seine Lippen. Mit einem Ruck zog er seinen Helm vom Kopf und legte ihn auf den Boden. Ein seidenlanges und auflockerndes, blondes Haar offenbarte sich unter der schwarzen Uniform und seine blauen Augen konnten den eiskalten Machtkampf mit den Augen der Frau mit Leichtigkeit aufnehmen. >>Mein Name ist Nathan. Uns bleibt nicht viel Zeit. Sie müssen dringend mit uns kommen, ansonsten …<< Schüsse fielen im Hintergrund und ein Mann ging schreiend zu Boden. Ein dumpfer Knall zog den Helm des Mannes zur Seite und er rollte in Richtung Abstellkammer die sich ebenfalls im Flur befand. Das zweite Teammitglied des Sondereinsatzkommandos hatte die gurgelnde Bestie, die sich gerade über den Hals seines Kammeraden hermachte, mit einem Tritt gegen das Treppengeländer des Hauses bugsiert und mit seiner Waffe mehrere, blitzartige Salven abgefeuert. Der Lärm der dabei entstand hatte zur Folge, dass auf der Straße das grauenhafte Stöhnen und Gurgeln nur lauter wurde. Es machte den Anschein, als würden die Bestien von Lärm angezogen. Der Soldat beugte sich zu seinen Kameraden auf den Boden und versuchte seine Hand zu nehmen um sie auf seine klaffende Wunde am Hals zu drücken. Der hilflose, inschwarz gepanzerte Mann, hatte seine Augen weit aufgerissen. Blut quoll ihm durch sämtlichen Öffnungen seiner Zähne und er konnte sich auf nichts mehr konzentrieren. Sein Lebensinhalt schoss in Fontänen durch die Fingerritzen seines Freundes und es dauerte nicht lange bis der Druck nachließ. Wie als hätte man ein Ventil zugedreht, stoppte der Blutfluss und der Kamerad lag regungslos auf dem Boden. >>Scheiße man!<< Er ballte eine Faust und schlug auf seinen Brustkorb. Mit einem Wimmern in seiner Stimme, schaltete er das Funkgerät ein. >>Einheit 274. Melde Verlust. Soldat Jenkins hat es nicht geschafft.<< Evelyn blickte wortlos über die Schultern des Mannes vor ihr. Sie sog das Szenario auf wie ein Schwamm. Kopfschmerzen überrannten sie wie eine Horde wild gewordener Affen und sie hatte die ganze Zeit nur eine Szene im Kopf, wie ihre Tochter blutächzend auf Joseph und Evelyn zu sprintete. Ein weiteres Rauschen bestätigte das Beenden der Kommunikation. Der Soldat stand auf und nahm seine Waffe in den Anschlag, zielte auf die Tür und drückte ab. Mehrere Schüsse fielen durch Tür und Angel und trafen die Kreaturen draußen auf der Veranda. Ein lautes Gestöhne mit dumpfen Aufschlägen prasselte durchs Haus. >>NATHAN!<< Der blondhaarige Engel verzog sein Gesicht. Er versuchte die Bilder aus seinem Kopf in eine Ecke zu schieben, in der er sie später abrufen konnte. Der Verlust seines Kameradens schockierte ihn sehr, doch auch Nathan wusste, dass er eine Mission zu erfüllen hatte. Er blickte wieder zur Frau, nur das er nun aufstand und ebenfalls die Waffe in den Anschlag nahm und auf die Wohnzimmertür zielte. >>Wenn Sie nicht sofort mit uns kommen, dann verschwinden wir hier! Das ist Ihre letzte Chance.<< Viele Fragen und undefinierbare Stimmen sowie Geflüster preschten durch den Schädel der Frau und ihr Griff um ihre Arme wurde stetig fester. Sie wusste nicht was sie tun sollte, sie wusste aber, würde sie jetzt aufstehen, dann würde sie alles verleugnen, sie würde alles akzeptieren wie es war. Nein. Das konnte sie nicht. Sie konnte nicht akzeptieren. Das hätte nämlich zur Folge, dass Liz tot war. Das DURFTE nicht sein!


    Die Schüsse verstummten für eine kurze Zeit, denn der Soldat musste nachladen. Angestrengt fischte er das Magazin aus seiner Tasche und ließ es fallen. Mit einem stöhnenden Seufzer schmiss er seine Waffe zu Boden und grabschte nach seiner Glock, mit der er wenige Schüsse abfeuerte. Hoffnungslos. Wie eine Fleischwand überrannten die Kreaturen das Haus, ignorierten sämtliche Treffer und stürzten sich mit einem zerfleischenden Rauschen auf den Mann, der in binnen von Sekunden unter einem Berg von Menschen begraben war. Man konnte die Schreie es Mannes noch laut, aber dumpf hören. Es waren atemberaubende Schreie die jedem Anwesenden hier im Raum die Luft stahl. Nathan feuerte Salve für Salve auf die Kreaturen ab. Blut spritzte und das Fleisch perlte sich von deren Knochen als würde Joe bei seinem BBQ an einem Steak knabbern. Die blutzerrissene Kleidung, die die Menschen trugen, glichen nach dem Gewehrfeuer einem zerstörten Putzlumpen. Auch Nathans Munition ging aus. Die Kreaturen störten sich nicht an den Kugeln, im Gegenteil. Sie gruben ihre Hände und ihre Zähne weiter in das Fleisch des Mannes dessen Schreie immer schmerzdurchdringender waren, bis sie schließlich verebbten. Ihr zorniger und glasiger Durchblick fixierte nun die beiden Lebenden im Wohnzimmer. Evelyn, die jedes Detail aufsog und nicht verdrängen konnte, fiel auf ihren Hintern. Sie stützte sich mit ihren Händen ab und bewegte sich einige Zentimeter nach hinten, bis sie Liz Leiche antippte. Ihr vorschneller Blick streifte die geschlossenen Augen des Mädchens. Wieder hörte sich Nathans beruhigende Stimme. Sie antwortete nicht, schluckte heftig, dann kämpfte sie sich auf die Beine und schnappte sich ihren Revolver als es ziemlich knapp wurde.


    Noch immer in voller Naturpracht, ging sie einige Schritte zurück. Ihre Brüste wankten im Takt ihrer Schritte. Nathan, der das Magazin auswechselte und die leere Hülle auf den Boden warf, nahm seine Waffe nun wieder in den Anschlag und donnerte unaufhörlich mit weiteren Salven auf die fresslüsternen Kreaturen ein. Einige Kugeln flogen vorbei und bohrten sich in das Holzgeländer des Flures, wodurch es zu Splittern begann. Einige wandelnde Kreaturen wurden vom Impuls der Einschläge zurückgehalten, ehe sie erneut auf die beiden zuwankten. Wiederum schlugen einige, goldene Kugeln in die Gesichter und Köpfe der Bestien ein, wodurch sie zusammensackend und regungslos am Boden liegen blieben. Das Blut verteilte sich wie in einem Picasso-Malkurs auf alles, was in der Umgebung lag und tränkte die Einrichtung in ein finsteres, gesprenkeltes Blutrot. Auch Evelyn nahm ihre Waffe in beide Hände und zielte mit einer ruhigen Manier auf die Köpfe, die nach jedem weiteren, lauten Knall zerbarsten. Schnell machte es Klick, und der Hahn feuerte in die leere Trommel, sie drehte sich, wieder jagte der Hahn auf eine leere Kammer, die Trommel drehte sich, dann war die Frau sich bewusst, sie hatte keine Munition mehr.


    Sie warf ihren Kopf zur Seite und schlurfte mit Barfußschritten in die Küche, woraufhin sie den kalten Untergrund der Fließen spürte. Sie fröstelte innerlich und erneut legte sich ein Hauch der Kälte auf ihre dünnen Härchen auf den Armen. Sie spurtete zurück zum Safe und holte weitere Patronen und lud ihre Waffe nach. Es dauerte nicht lange, dann folgten ihr schwere Schritte. Nathan zog sich schützend mit Evelyn zurück. >>Irgendetwas stimmt mit Ihnen nicht, Ma’am.<< Evelyn blickte mit ihren blassen, grünen Eisaugen in die des Mannes. >>Für jede einfältige Bemerkung jage ich Ihnen eine Kugel durch den Schädel.<< Sie leckte sich mit ihrer Zunge bedrohlich über ihre roten Lippen, dann schnallte die Trommel mit einem Klicken zurück in den Revolver und der Hahn donnerte erneut in die Kammer, setzte eine Kugel frei die sich mit einem nicht zu erhaschenden Blick in den Kopf der Kreatur bohrte, die gerade Nathan anfallen wollte. Ein dumpfer Auflag des Körpers leitete die Ruhe ein, dessen Stille sich über alles hier im Haus legte. Sie schnaubte angespannt. >>Augen auf und weniger auf meine Brüste starren. Tze …<< Sie presste sich mit ihrem nackten Rücken gegen die Wand und lugte vorsichtig an der Kante vorbei in die Küche. Stille … Auf leisen Sohlen wankte die Frau in die Küche und vollführte eine weitere Drehung, sodass sie mit dem Rücken an der Küchenwand stand und ins Wohnzimmer blicken konnte. Mehrere Leichen lagen auf dem Boden verteilt die entweder alle Viere von sich gestreckt hatten, oder auf ihren Körperteilen lagen. Liz war teils von einem toten Mann bedeckt, der noch gurgelnd die Hand nach Evelyn ausstreckte. Sie richtete ihren Revolver auf die kauernde Person, drückte ab.


    In ihrem Kopf hallte die Stimme des Knochenmannes wider. >>Akzeptiere es. Akzeptiere den Verlust.<< Sie schluckte schwer und fasste sich mit der Revolverhand an die Schulter die wieder anfing zu bluten. Sie zischte mehrmals. Ein Sternenschleier legte sich mit vielen Blitzpunkten vor ihre Augen und sie wankte gegen den Wohnzimmerschrank. Nathan, er eilte zur Frau und hielt sie fest. >>Jetzt kommen Sie mit!<< Die Frau riss sich verbissen los und warf Nathan einen scharfen Blick zu. Sie biss sich auf ihre Unterlippe. >>Fassen Sie mich noch einmal an und das wars für Sie. UND NEIN. In diesem Aufzug werde ich ganz sicher NICHT mit Ihnen mitgehen. …<< Sie raunte. Ihre Stimme war furchteinflößender und man erhaschte einen kurzen, nachdenklichen Blick wie Nathan sich fragte, ob er lieber ein Dinner mit den Kreaturen bevorzugte oder für paar Minuten mit dieser gestörten Frau verbringen wollte. Er zuckte kurz mit den Schultern. >>Dann holen Sie sich ein paar Sachen und dann nichts wie weg. Ich sichere den unteren Bereich.<< Die Frau nickte und ging in Richtung Treppe, wo sie sich noch immer die Schulter hielt.


    Oben im Flur angekommen, musste sie zwangsweise an Liz rosabemaltes Zimmer vorbei. Die Tür stand weit offen und ihr Blick fiel auf das liebevoll eingerichtete Zimmer. Sie stockte kurz, schluckte einmal schwer und ging in das Kinderzimmer mit tapsigen Schritten. Ihre Unterlippe zitterte nervös und sie legte den Revolver auf das Nachtkästchen, auf dem ein Familienfoto stand, welches Mama, Papa und die kleine Liz zeigte, wie sie zusammen Eis aßen und alle die Gesichter verschmiert hatten. Das strahlende Lächeln der drei war unbeschreiblich. Die weiche Matratze gab leicht unter dem Gewicht der Frau nach, als sie sich darauf setzte. Sie schloss ihre Augen. Szenen die sich vor wenigen Tagen abgespielt hatten, schossen ihr wie ein Schwarzweißfilm durch den Sinn. Eine kleine Liz, die schmollend im Bett saß und die Arme verschränkt hielt, beschwerte sich darüber, dass Evelyn ihr eine Geschichte vorlesen musste und es nicht ihr Papa tat. Die Szene wechselte im Kopf auf ein paar Stunden später und Mama sowie Tochter lagen nebeneinander im Bett, während Evelyn sich alle Mühe gab im Buch vorzulesen und ihrer Tochter den Kopf streichelte. Ein leises Pochen an der rosa Tür zerriss die Erinnerungsfetzen und brachte die schwarzhaarige, nackte Frau zurück in die Realität. Sie hatte reflexartig ihren Revolver vom Tisch geschnappt und auf die Türschwelle gezielt. Nathan, der sich gegen den Türrahmen lehnte, räusperte sich. Evelyn zog eine Augenbraue nach oben. >>Ma’am. Wenn Sie nicht schleunigst etwas zu Anziehen finden, dann nehme ich Sie einfach mit …<< Der schwarzhaarige Todesengel erhob sich aus dem Bett, griff sich Mr. Bommels, der halb unter dem Kissen und halb unter der Decke hervorlugte, bewegte sich mit einem grazilen Schwung ihres Hintern an Nathan vorbei, schloss Liz Tür und wandte sich in das Schlafzimmer, woraufhin sie diese Tür zu donnerte.


    Es vergingen ein paar Minuten und die Tür öffnete sich erneut. Evelyn hatte sich einen Pferdeschwanz gebunden und blickte mit ihren großen Augen in die des Kolosses, der vor ihr Stand. Auf ihrem Rücken hatte sie einen großen Rucksack geschnallt, in dem sie Mister Bommels aufbewahrte. An ihrem Holster thronte nun ihr Revolver der sicher verstaut war. Eine schlichte, blaue Jeans betonte ihre langen und schmalen Beine und pushten ihren gut ausgeprägten Hintern. Ein schwarzes T-Shirt und eine darüber geworfene, lederne Biker Jacke, die ihr bis zum Becken reichte, tauchten die Frau in ein Bild, welches man nur selten erblickte. Sie hatte zwei fingerlose, lederne Handschuhe angezogen dessen Handrücken ebenfalls freilagen. Auf ihrer Stirn, zierte eine Pilotensonnenbrille das Gesamtbild. Sie schnellte an Nathan vorbei und sprintete die Treppe hinunter in die Speisekammer. Mit einem Rums hatte sie einige Konservendosen in den Rucksack gepackt, sowie Medikamente und Verbandszeug. Als die schweren Schritte ihr erneut folgten und vor der Speisekammer Halt machten, streckte sie dem Blondhaarigen den Rucksack entgegen. >>Halten …<< Schnallte die giftige Schlange hervor. Mit wenigen Handgriffen löste sie einige Bretter des selbst zusammengebauten Regals und warf es an Nathans Kopf vorbei in den Flur. Ob sie ihn treffen wollte? Geschadet hätte es vielleicht nicht, doch Evelyns Intention war eine andere. Mit mehreren Faustschlägen donnerte sie gegen die schmale Wand der Kammer und löste somit weitere Bretter, die eine kleine Nische verdeckten. Sie kramte eine große Kiste hervor die mindestens genauso groß war wie sie, und zog sie mit ihren Armen in den Flur. Es war eine militärgrün gestrichene Holzkiste gewesen auf denen mehrere Sterne mit Spraydosen aufgesprüht waren. Sie löste den Zahlencode auf der Kiste und öffnete diese. Viel Stroh offenbarte das Innere und die eingerosteten, knarrenden Scharniere klappten vollendend nach hinten. Sie wühlte weiter herum und griff nach einem Gegenstand, ehe sie ihn mit einem Ruck herauszog. Ein großes und langes, schwarzes M98B Scharfschützengewehr mit einer Gesamtlänge von 1.26m aus ihrer Armeezeit kam zum Vorschein. Sie zog prüfend an einem Hebel und schongleich schoss die Kammer auf, in der die leeren Hülsen zu Boden fliegen würden, wenn man das Gewehr abfeuerte. Sie blickte prüfend durch das Visier, legte das schwarze Gewehr danach zu Boden und kramte erneut in der Kiste und holte einige Schachteln Munition heraus. Sie winkte mit ihrer Hand den Rucksack heran. Nathan, dessen Blick mehr als tausend Worte sprach, schüttelte irritiert den Kopf. >>Ähm hier. … << Evelyn fischte den Rucksack blind heran, sah dem Soldat nicht in die Augen. Als sie die Munition verstaute und das Gewehr auf ihrer gesunden Schulter schulterte, knackte sie mit ihrem Genick. >>Evelyn. Evelyn Joule. Nicht Ma’am, nicht Schnuckie, nicht Hase. … Evelyn ….<< Sie zog ihre Augen schmal zusammen, sodass sich Falten auf ihre Stirn legten. Nathan schluckte verschwitzt, nickte ihr zu. Schließlich blickte sie in Richtung Tür und machte kopfnickende Bewegungen. >>Also los! Retter der Not. Beweg deinen Arsch aus meinem Haus!<< Der Blonde Mann ging voran und ein weiteres Mal blieb sie an der Wohnzimmertür stehen, wo sie die rothaarige Mähne ihrer Tochter erhaschen konnte, der unter einem Berg fremder, toter Leute begraben war. Ein undefinierbarer Schmerz durchzuckte ihr Herz. Sie legte ihren Kopf auf die Türkannte. >>Was ist passiert? Warum musste es so kommen. Liz. Joseph, wo bist du?. … << Ihre Finger verkeilten sich in der Tür und alles in ihrem Körper wehrte sich dagegen das Haus zu verlassen, ihr Leben hinter sich zu lassen. Am liebsten wäre sie jetzt hinauf gegangen in Liz Zimmer, hätte sich zu ihrer kleinen Tochter dazugelegt und hätte mit ihr den Tag verbracht. Auch jetzt spielte sie noch mit dem Gedanken einfach alles liegen zu lassen und nach oben zu gehen, abzuwarten, bis ihr Mann von der Arbeit kam und seine Tochter vom Kindergarten brachte. Liz konnte nicht tot sein, nein. Das konnte sie nicht akzeptieren. Das widerkehrende Kinderlachen ihrer kleinen Tochter durchbrach die Stille in ihrem Kopf. Doch für weitere Gedanken war keine Zeit mehr, denn eine weitere Schwelle herantretender Kreaturen bewegte sich auf die Veranda zu.

  • Kapitel III


    0 Tage nach dem Day-Z:
    Oklahoma City:
    >> 05.08.2024 Fr. 2:00 p.m.
    Evelyn Joule



    Die Autofahrt auf dem Highway erstreckte sich wie eine Ewigkeit, wie festgesogener Kaugummi an einer Sole, der zum Erbittertsten daran haften blieb und nicht verschwinden wollte. Ein Gedanke haftete an ihren Sinnen, der ihr zuerst eine gute Idee erschien, doch langfristig zum Scheitern verurteilt war. Es war wohl effektiver gewesen zu Fuß den Ort aufzusuchen, den sie einschlugen, doch solange diese Bestien dort draußen hausten, wollte die Frau keinen Schritt vor die Autotür setzen. Evelyn wusste nicht wohin sie gebracht werden würde. Ihr war es auch egal gewesen. Mit Sicherheit hatte Nathan ihr davon erzählt und sie hatte es ignoriert, hatte es wohl mit einem Schulterzucken abgetan. Hätte man sie an der nächsten Highwaykreuzung von der Brücke gestoßen, dann sollte ihr das auch recht sein. Mit ihren matten Augen betrachtete sie das Spektakel auf den Straßen und ignorierte dabei ihr zynisches Spiegelbild in der Scheibe. Überall war das Chaos ausgebrochen. Autos standen auf der Gegenfahrbahn in Schlangen und warteten darauf, dass es weiterging. Sämtliche Straßen und Zubringer Stadtauswärts waren blockiert. Auf den Brücken Oklahomas konnte man in der Ferne bereits riesige Rauchschwaden erkennen, die von den großen Gebäuden in den Himmel stachen und das Sonnenlicht stahlen. Es war bereits ein Kampf gewesen in den Militärjeep zu steigen, der vor ihrer Haustür stand. Vertraute Gesichter, Nachbarn, Bekannte, Freunde in der Siedlung, allesamt hatten sie diesen bestialischen Ausdruck in ihren Gesichtern, gepaart mit ihrem eigenen oder fremden Blut am Körper zusammen mit Verletzungen, die eigentlich tödlich sein mussten. Wie musste es also erst in der Großstadt sein? Als hätten die Bekannten Evelyn nicht erkannt, als wären sie Marionetten eines perfiden Spiels eines Sadisten, wollten sie ihr ans Fleisch. Ein tiefer Seufzer raunte durch das Dröhnen der Fahrerkabine und das erste Mal blickte sie angestrengt ihren Fahrer an. Sie musterte den Koloss spitzwindig von Oben bis Unten, dann legte sie ihren Kopf wieder auf ihre geballte Faust, die sich an der Handlehne im Auto abstützte.


    Das Autoradio wechselte einen Nachrichtensprecher nach dem Anderen, Wortfetzen drangen geballt in ihr Ohr. >>Grzzt. Aufstände. Plünderer stehlen das Hab und Gut vo- Grrrzt ... Ausnahmezustand. Die angenommene Grippeepidemie entpuppte sich als Weltweite Kata – Grrrzt …<< Evelyn schlug dem Fahrer die Hand vom Radio und schaltete es aus. Nathan rümpfte seine Nase. >>Was soll das? Wir verfolgen seit Tagen verschiedene Medien um herauszufinden was genau passiert ist! Verschiedene Abteilungen sind drauf und dran den Schlüssel zu allem zu finden.<< Evelyn verdrehte die Augen, dann drückte sie sich in den Sitz und blickte nach vorne. Der Wagen kam zum Stillstand, da sich auch auf ihrer Brückenseite ein großer Stau gebildet hatte. Die schwarzhaarige Ex-Soldatin schloss ihre Augen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. >>Diese Grippewelle ist ein Ausbruch eines fehlgeschlagenen Experimentes, welches von Abstergo Industries durchgeführt worden war. Die Seuche verbreitete sich in Brookline aus und befällt Alles und Jeden, der mit einem Biss dieser Kreaturen infiziert wurde.<< Ihre raue Stimme klang monoton und angespannt. Vor ihrem geistigen Auge tanzte die kleine Liz und zog große Kreise. Langsam öffnete sie ihre matten Augen erneut. Der Wagen war noch immer nicht von der Stelle gefahren.


    Nathan, der das Lenkrad für einen kurzen Moment losließ, blickte verwundert zu Evelyn. >>Und woher hast du diese Informationen?<< Evelyn gähnte, blickte Nathan nicht an und beantwortete auch seine Frage nicht. Gelangweilt zeigte sie durch die Fensterscheibe. >>Es geht weiter. …<< Der Blonde schüttelte missverständlich den Kopf. >>Beantworte meine Frage? Was zur Hölle ist passiert und wie kann man es heilen?<< Evelyn drehte ihren Kopf auf ihre linke Schulter und blickte mit tiefen, eisigen Augen den Fahrer an. Sie formte mit ihrer Rechten den Daumen nach Oben und streckte den Zeigefinger hervor, dann drückte sie ihre Fingerspitze an die Stirn des blondhaarigen Mannes. >>Peng!<< Schnallte sie über ihre Lippen und grinste dabei apathisch. Ihre tiefen und schwarzen Augenringe untermalten ihren Ausdruck nur mehr. Nathan fand diese Aktion nicht wirklich amüsant und er würde später die Fragen noch einmal wiederholen. Jetzt konzentrierte er sich aber erst einmal auf den Verkehr.


    Es ging nur schleppend voran und als sie erneut stehen blieben, brach vor ihren Augen ein weiteres Spektakel heran. Ein brennender LKW der sich über beide Leitplanken gelegt hatte, versperrte sowohl die eine als auch die andere Seite der Brücke. Dahinter befand sich die erste Abzweigung Richtung Innenstadt, die Nathan anpeilte. Der Jeep stand einige Autolängen weiter hinten und er trommelte nervös auf dem Lenkrad. >>Als hätten wir alle Zeit der Welt. Ausgerechnet jetzt. …<< Evelyn öffnete die Tür und schnallte sich ab, fuhr einmal mit ihrer Hand durch ihr gebundenes Haar und steckte sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Erst jetzt bemerkte sie die lauten Schimpftiraden auf dem Highway zusammen mit dem angestimmten Hubkonzert, das sich von einer Seite der Straße bis zur anderen zog. Sie stieg mit einem Bein in die Beifahrerkabine zurück und lehnte sich über das Autodach, wobei diese Handlung ihr einen tiefen Schmerz in die Schulter trieb. Sie zuckte zischend zusammen und kniff sich dabei die Augen zusammen. Der Fahrer vor ihnen tat es Evelyn gleich und auch er sah nach, was vor sich ging. Nach einer kurzen Weile setzte sie sich zurück in den Wagen. >>Keine Chance. Der LKW liegt breit über die Fläche verteilt und hat dabei einige Autos mitgenommen. Die Wägen an erster Reihe sind leer, sind wohl alle zu Fuß weitergegangen.<< Sie zuckte kurz mit den Schultern, wobei das ebenfalls einen weiteren Schmerzimpuls in ihr auslöste. Ihre Hände zitterten allmählich. Nun strich auch Nathan sich angespannt durch sein Haar. >>Auf der anderen Seite auch? Ich bezweifle, dass die zu Fuß weitergangen sind.<< Evelyn beugte sich angestrengt nach vorne und versuchte einen Blick über die Autodächer zu erhaschen. Tatsächlich hatte der Mann Recht. Auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen die Autos quer und die Türen waren allesamt offen. Keine Menschenseele war zu erkennen und es machte den Anschein, als hätten die Insassen ihr Fahrzeug fluchtartig verlassen. Die Polizistin hielt sich ihre linke Schulter. Ihre Züge im Gesicht wurden blasser. >>Und jetzt?<< Nathan zuckte mit den Schultern. >>Wir sollten weiter. Bis zur Innenstadt sind es zu Fuß über den Highway eine Stunde. Je nachdem was uns erwartet kann es länger dauern.<< Das reichte der Frau aus um erneut aus dem Wagen zu steigen. Sie öffnete die Ladeklappe geschickt mit einer Hand und fischte ihren Rucksack sowie ihre Waffe hervor. Beides schulterte sie vorsichtig und blickte über die glänzende See, über dem sie sich gerade befanden. >>Mommy Mommy guck mal, ein Schiff<< hallte es in ihrer Erinnerung und sie sah sich selbst am Lenkrad ihres Wagens. Zusammen mit ihrer kleinen Maus blickten sie über das Wasser, auf dem gerade ein Dampfer einfuhr. Nathan holte die Frau mit einem Schrecken zurück in die Realität indem er seine Hand auf ihre Schulter legte. Sie zuckte fürchterlich zusammen und verlor die Erinnerung aus ihren träumenden Augen. Sie hatte mit einer Handbewegung Nathans Pranken von ihrer Schulter geschlagen. >>Bereit?<< Evelyn nickte wortlos.


    Als beide schongleich die ersten Autoreihen passierten, stiegen sie über Fahrzeugtrümmer und Glasscherben. Hier hatte mehr als ein gewöhnlicher Autounfall stattgefunden, dessen waren sich beide bewusst. In manchen Autos waren die Windschutzscheiben eingeschlagen und mit Blut beschmiert. Aufgerissene Türen, zerstreutes Gut und andere Teile, machten den Fortgang der Beiden umso schwieriger. Als sie schließlich einige Autos weit vom LKW entfernt standen, hatte Nathan seine Hand auf Evelyns Brust gelegt um anzudeuten ihren Fortgang einzuschränken. Beide blieben sie stehen. Er schulterte seine Waffe und nahm sie in den Anschlag. Die hupenden Wellen im Hintergrund gerieten immer mehr in Vergessenheit und verebbten auf der großen See. Am LKW konnte man einige Menschen erblicken, die mit hängenden Armen von ihren Schultern umherwankten, als wüssten sie nicht wohin sie gingen. An ihrem Kinn klebte flüssiges und frisches Blut, ihre Mäuler waren weit aufgerissen und ihre Augen hatten einen milchigen Glanz. Nathan stieg über eine Motorhaube und blickte durch sein Visier. Die Szene die sich vor seinen Augen darbot war etwas, womit er fast gerechnet hatte. Einige Menschen beugten sich über einen dicken Mann auf dem Boden und gruben ihre Hände in dessen Fleisch und zogen alles heraus, was ein menschlicher Körper anbot. Für die Kreaturen war es wie ein Süßigkeitenladen der 24 Stunden offen hatte. Evelyn zischte den Blonden an. >>Nicht schießen. Sie reagieren auf Laute. …<< Flüsterte Evelyn ihm zu. Nathan setzte seine Waffe ab und nickte. Gerade als er wieder vom Auto steigen wollte, verhedderte er sich am Scheibenwischer und flog mit einem dumpfen, blechschlagenden Knall auf die Haube, dessen Einbeulung nun sein Hintern zierte. Die Kreaturen am LKW schreckten auf und blickten in Richtung der beiden Bewaffneten, als hätte man einen Stall voll Hühner aufgeschreckt. >>Nicht gut …<< entgegnete der Soldat. Evelyn seufzte. Wie von einer Tarantel gestochen fingen die fauchenden Leblosen an über die Autodächer zu sprinten als wären sie allesamt erstklassige Parkourläufer. Nur wenige Minuten trennten die zwei Lebenden von den Toten, die in einer geballten, fauchenden Fleischwand auf sie zurasten. Nathan, der mittlerweile vom Auto gestiegen war, löste die Sicherheit an seiner Waffe und gab einige Salven ab. Auch Evelin, die ihr Scharfschützengewehr in den Anschlag nahm, das Zweibein ausklappte und auf das Auto stellte, sog die Luft scharf ein. Das Fadenkreuz ersuchte wie von allein sein Ziel und schon bald verfolgte das schwarze Kreuz die Brust eines Läufers. Nur leicht den Abzug nach hinten gedrückt, löste eine Kettenreaktion aus die dafür sorgte, dass sich eine Kugel aus dem Lauf löste und sich in den rechten Oberarm des Läufers bohrte. Der gewaltige Druck schmiss die Kreatur zu Boden und riss seinen Oberarm in winzige Konfettiteile, die sich wie ein nasser Papiersack auf das herumstehende Auto verteilte. Der Läufer, er sprang unbeeindruckt und mit lauten Getöse auf seine Beine, hangelte sich mit seinem verbliebenden Arm über die Autos und versuchte somit an Evelyn und Nathan heranzukommen. Ein erneuter, donnernder Schuss zerriss die Atmosphäre des Todes. Dieses Mal traf die Kugel genau zwischen die Augen und das was übrig blieb, verteilte sich wie sein Arm auf dem Boden. Der Rückstoß von Evelyns Waffe drückte wie ein Presslufthammer auf ihre Wunde und brachte die Sterne auf ihren Augen zurück in ihren Kopf. Sie wankte nach hinten und ihr Schädel sowie ihre Schulter platzten vor Schmerzen, so wie sie es gerade bei ihrem Angreifer gesehen hatte. Sie war sich sicher, ein weiteres Mal konnte sie die Waffe nicht abfeuern ohne eine ernsthafte Konsequenz daraus zu ziehen, solange das Projektil noch in ihrer Schulter steckte. Die Angreifer gingen durch Nathans Salvengehämmer unter und es war für einen kurzen Augenblick Ruhe gewesen. Evelyn hatte sich auf den Boden an ein Auto gesetzt, hielt sich schmerzverzerrend ihre Schulter. Der große Mann stapfte mit seinen kolossalen Schuhen um das Auto herum und beugte sich zur Frau hinab. Sie schwitzte und verdrückte sich ein zynisches Lächeln. >>Ich wurde angeschossen und dieses verdammte Scheißteil kostet mich alle Nerven.<< Der Soldat verstand, fischte an seinem Universalgürtel sein Armeemesser hervor, welches er aus der Schutzhülle befreite. Er drückte den Plastikschutz der Frau in die Hand. >>Wir müssen dieses Teil entfernen. Ansonsten kommen wir keinen Meter mehr voran.<< Die Ex-Soldatin wusste was zu tun war. Sie hatte dieses Szenario öfters in ihrer Ausbildung zur Scharfschützin durchgemacht, doch nie hätte sie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie einmal das Opfer sein würde. Fiktion wurde nun Realität und Evelyn kam sich sichtlich verarscht vor, dass ausgerechnet sie die Person sein musste, an der man diese Praxis nun ausübte.


    Sie nahm die Hartplastikhülle zwischen ihre roten Lippen und biss mit aller Kraft darauf, die sie noch aufbringen konnte. Sie entblößte ihre linke Schulter. Die Wunde triefte vor dunkelrotem Blut, welches immer wieder hervortrat als hätte ein Wasserhahn ein Leck. Nathan, der die Spitze seines Armeemessers unter ein Feuerzeug hielt um es zu sterilisieren, packte die Frau an beiden Wangen. Evelyns Adrenalin schoss durch alle Poren ihres Körpers. Ihre Atmung beschleunigte sich auf das Doppelte und ihr Schweiß rannte nun in regelmäßigen Abständen über ihre Schläfe und tropfte auf den Boden. Sie war panisch, wusste allerdings, dass es notwendig war. Immer wieder stockte ihr Atem durch die Nase, Speichel bildete sich am Rand des Plastikschutzes und sammelte sich in der Vertiefung, die sich bereits durch ihre Zähne gebildet hatte. >>Bereit?<< Nathans Stimme klang noch immer ruhig. Man das hasste die Frau an ihm jetzt schon. Wie konnte er nur so ruhig sein bei so vielen Eindrücken, bei all dem was hier passierte? Die Frau nickte hektisch, donnerte reflexartig mit ihrem Hinterkopf an die Autotür, dessen Metall kurz aufjaulte. Sie atmete heftiger ein und aus. Ein unverständliches >>Hmhmpf<< ihrerseits, sollte den Startschuss geben. Umso Näher die Klinge an die Schulter wanderte, umso heftiger wurde ihr Herzschlag. Es pumpte weiter und weiter und die verletzte Frau hatte das Gefühl, ihre Brust würde jeden Moment zerspringen. Nathan bewahrte eine ruhige Hand, die Spitze umspielte bereits das Einschussloch der Schulter. Ein leises Zischen der heißen Klinge brannte die ersten Hautfetzen zur Seite. Evelyn riss ihre Augen auf, sie schrie, sie schrie einen dumpfen Schrei über die Plastikhülle in ihrem Mund, die nun vollkommen mit ihrem Speichel bedeckt war. Nathan zögerte nicht länger und presste mit seiner linken Hand Evelyns Schulter gegen die Autotür, sodass sie sich nicht befreien konnte. Ihr gesamter Körper durchzuckte ein Impuls des Schmerzes und ihre Füße strampelten wie wild von allein. Sie hatte keine Kontrolle darüber was sie tat, oder was sie empfand. Alles in ihrem Körper fixierte sich auf ihre Schulter und ihr Kopf donnerte immer und immer wieder gegen die heranbahnenden Schmerzen an die Autotür. Sie schrie, schrie so laut sie nur konnte doch mehr als erstickende Atemversuche brachte sie nicht aus ihrer Nase. Kurz ebbte der Schmerz ab, sie hatte ihre Finger auf den Asphalt gekrallt. Nun bohrte der Soldat weiter, die Klinge fraß sich schmatzend Millimeter für Millimeter voran und der Frau überkam eine kurzzeitige Ohnmacht. Vor ihren Augen breiteten sich die Sterne aus die immer heller und heller erschienen bis eine Dunkelheit sie überzog, die ihr alle Sinne raubten.


    Widerhallendes Kinderlachen versetzte ihrem Herz einen Stromstoß, der sie wieder in das Hier und Jetzt beförderte. Nathan, der blondhaarige Soldat, er war noch immer konzentriert dabei die Kugel herauszuholen. >>Gleich haben wir es geschafft. Halte durch Evelyn.<< Nun stach er mit einem tiefen Ruck weiter in das Fleisch hinein und drehte die Klinge leicht zur Seite. Das eingesabberte Plastikstück flog auf ihre Füße als die junge Frau ihren Mund weit aufriss und ein tiefer, raunender und kreischender Schrei die Brücke durchzuckte. Evelyns grüne Augen waren weiter aufgerissen als zuvor, ihre Iris, sie zog sich bis zu einem kleinen Punkt zusammen. Ihre Lungen zerbarsten unter ihrem Schmerzensschrei und sie hämmerte mit ihrer rechten Faust immer und immer wieder gegen die Schulter des Soldaten. Mit jedem Schlag entwich ihr mehr Kraft, mit jedem Schlag, traten mehr Schweißperlen an ihre Stirn. >>ICH BRING DICH UM! ICH BRING DICH UM!<< Irgendwann schrie sie einen stillen Schrei, denn der intensive Schmerz, als die Klinge das Metall in ihrer Schulter berührte, schnürte ihr förmlich die Luft ab. Das gleißende Rot tropfte aus der Wunde heraus und sammelte sich an der Messerschneide bis hin zum Griff, wo es tropfenförmig auf seinen fingerlosen Lederhandschuh rann.


    Die nächsten Handgriffe waren gezielt und präzise. Er rückte das Messer einmal zur linken Seite, dann zur Rechten, umfasste das fremde Metall in Evelyns Schulter mit einer Umdrehung, biss sich auf die Lippen, dann schnappte er sich das Projektil mit beiden Fingerspitzen. Er legte das Messer beiseite, warf das Projektil auf den Boden und kramte aus dem Auto eine Flasche medizinischen Alkohol hervor. Die junge Frau schüttelte stetig mit ihrem Kopf, der Speichel hing ihr von den Lippen als hätte sie Tollwut. >>Es muss. … Eve<< Sie nickte zustimmend, aber auch abweisend. >>Nein nein nein. Geh mir weg mit diesem Scheißteil …<< brabbelte sie hervor. Ihr Kopf vollführte unkontrollierte Bewegungen und wieder drückte sie ihren Pferdeschwanz gegen das Auto, presste ihre Lippen so stark zusammen, sodass sie eine Nuance dunkler erschienen. Ihre Stirn legte sich in Falten als sie ihre Augen schloss. Ihr Körper war erneut so angespannt, als könne sie sich darauf vorbereiten was gleich passieren würde, als könne sie durch das Anspannen den Schmerz lindern. Kaum hatte der Schmerzimpuls etwas nachgelassen, hatte Nathan Öl ins Feuer gekippt. Hier in dieser Situation war es der Alkohol, der sich in seinem durchsichtigen Glanz über die Wunde zog. Evelyn konnte das nicht dagewesene Zischen förmlich hören, als würde man Wasser über Kohlen schütten, aber schon bald war es vorbei. Nathan stellte die Flasche zur Seite.


    Evelyn zitterte am ganzen Körper. Ihr Kiefer klapperte und in ihrem Ausdruck lag eine Erschöpfung die zusammen mit ihren schwarzen Augenringen einen Walzer tanzten, den sie lange nicht vergessen würde. Ihre Schläfen hämmerten wie wild vor Kopfschmerzen und ihre Schulter pochte mal zu mal stärker. Nathan, der sich auf ein Knie kniete, versuchte die Frau in den Arm zu nehmen. Ein keckes Grinsen zierte nun die Lippen der Frau, ihre Sicht war getrübt und verschwommen. >>Ich geb dir drei Sekunden mich loszulassen oder du wirst es bereuen. 1 … << Ihre Stimme klang nach einem leisen Wispern das man mit letzter Kraft aus den Lungen hauchte.


    Der blonde Soldat entfernte sich mit einem Lächeln. >>Ich hole Verbandszeug aus dem Auto und dann geht’s weiter.<< Die Frau nickte kurz und stemmte sich mit aller Kraft die sie noch aufbringen konnte über den Asphalt vom Auto hoch. Ihre Knie waren wie Wackelpudding gewesen und ihr war bewusst, dass sie vorerst nicht kämpfen konnte.


    Ein weiterer Augenblick verstrich und im Hintergrund bewegte sich eine schlurfende Person auf Evelyn zu. Sie riss ihre schwarze Mähne zur Seite und erblickte den Autofahrer von vorhin, der sich langsam tastend um die Motorhaube wagte. Sein Unterkiefer bibberte, seine Hände waren vor seiner Brust wie verschachtelt. Sein Ausdruck schien verstört. >>Uhm Nathan. Ich glaube wir haben hier noch einen Überlebenden.<< Die Frau musterte den dürren Mann mit Brille in wenigen, abschätzenden Blicken. >>W-was geht hier vor sich? S-stimmt das alles was sie in den Nachrichten sagen?<< Evelyn wischte sich den Schweiß von der Stirn und hielt sich ihre Schulter. >>Och was glaubst du? Für mich sieht das alles hier aus wie Freude Eierkuchen, oder ist es nicht normal, dass Tote die Lebendigen fressen?<< Sie knirschte angespannt mit den Zähnen. Nathan, der gerade eine Rolle Mull auswickelte, nickte verneinend. >>Nana.<< Er bremste den Zynismus von Evelyn und fing an ihre Schulter zu bandagieren. >>Was die junge Frau ausdrücken wollte war eigentlich, ja. … Sie hat Recht. Ein Virus verbreitet sich unter der Menschheit und „verwandelt“ sie in das, was man hier herumstreunen sieht.<< Er zog die Bandage fest und Evelyn zog sich ihre Klamotten zurück auf die Schulter. Sie wandte sich ihren Sachen zu und packte das Gewehr sowie Rucksack auf die gesunde, andere Hälfte ihres Körpers. Nathan ging einige Schritte auf den Mann zu. >>In der Stadt gibt es einen Sicherheitsstützpunkt den wir aufsuchen. Meine Mission ist es Überlebende zu finden um sie zu eskortieren. Die Frau an meiner Seite ist eine Überlebende die mein Trupp und ich aufgespürt hatten. Was wir nicht wusstenwar … Nun …<< Er kratzte sich fragend am Hinterkopf. Evelyn blies ihre Wangen auf. >>Ist das jetzt so wichtig? Arsch Bewegen, Zack Zack!<< Nathan seufzte. >>Wessen Mission ist das hier eigentlich?<<


    Der bebrillte Mann nickte verunsichert. >>Und ihr Trupp ist wo?<< Nun legte sich das erste Mal eine dunkle Mime über die Gesichtszüge des Soldaten. >>Sie hatten es leider nicht geschafft. In ihrem Haus wurden sie Opfer von diesen Bestien. …<< Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter zu Evelyn. Es war eine simple Rechnung gewesen. Zwei Menschenleben für eines lassen. Eigentlich hatte Nathan im Haus von Evelyn vor sie ihrem Schicksal zu überlassen, nachdem sein Kamerad gefallen war, doch irgendetwas hielt ihn davon ab einfach abzuhauen. Etwas hielt ihn daran fest, diese Frau zu retten. War es diese scheinbare Hilflosigkeit, die in ihren Augen lag? Der Blondschopf erinnerte sich an das Gespräch beziehungsweise an die Worte, die die Frau vorhin im Auto erwähnt hatte. Sie hatte Informationen die von Bedeutung waren. Dieser Gedanke allein reichte aus, um sie mit all dem zu beschützen, was der Koloss zu bieten hatte, wenn sie denn überhaupt Schutzbedürftig war. Sein Blick fiel auf das Scharfschützengewehr.


    Evelyn ging bereits einige Schritte voran und wagte einen Blick um den umgekippten LKW. Sie erhaschte einige Schatten die orientierungslos umherwanderten. Sie biss sich angestrengt auf ihren Daumennagel. >>Verdammt<< keuchte sie hervor. Nathan wandte sich zur Frau. >>Eve, alles in Ordnung?<< Die Schwarzhaarige warf ihre Hand in die Luft. >>Nenn mich nicht Eve!<< Ihre Stimme war bestimmend, aber nicht ausreichend um den Mann davon zu überzeugen, dass es ihm an den Kragen ging, wenn er damit weitermachte. Sie wandte sich der Kreuzung zu und blickte der Straße hinab, die spiralförmig nach unten bog. Auf der Straße standen ebenfalls Autos die entweder kaputt waren oder quer auf der Straße den Weg blockierten. Sie wackelte mit leichten Schritten zurück zu Nathan. >>Hinter dem LKW sind weitere Schleicher. Wir müssen leise sein und den Abhang der Straße folgen. Uhm und danach, nun, danach weißt du hoffentlich wo wir lang müssen.<< Peinlich berührt hatte sie ihren Blick gesenkt und erneut ihre Wangen aufgeplustert. Nathan, er nickte. >>Nathan mein Name. Das ist Eve.<< Der bebrillte, schmächtige Mann nickte kurz und knapp. Er stellte sich als Robert vor, der so gut wie er konnte, versuchte mit den beiden anderen mitzuhalten.

  • Kapitel IV


    0 Tage nach dem Day-Z:
    Oklahoma City:
    >> 05.08.2024 Fr. 3:50 p.m.
    Nathan Brook




    Ein dunstiger Nebel lag in der Luft und tränkte den sonst so blauen Himmel über der Stadt in ein düsteres gelb. Die Sonne hatte kaum Spiel durch diese Wolken hindurch zu scheinen. Ein Blick in eine größere Entfernung war aufgrund dessen nicht möglich, so wie es sich der blondhaarige Soldat gewünscht hatte. Die Straßen waren leergefegt von jeglichen Menschen. Trümmer waren einzeln verstreut und leerstehende Autos thronten als alleinige Herrscher auf den Straßen. Die Verkehrsampeln leuchteten wie wild gelblich auf und hinterließen einen Schauer auf dem Rücken. Einige Wohnhäuser waren bereits von innen verriegelt, einige Fenster mit Brettern vernagelt. In den wenigen Tagen hatte sich die Seuche schwer zugetragen und verbreitet und die Menschen reagierten dementsprechend darauf. Die Bürger waren bereits in Alarmbereitschaft, die, die noch geblieben und nicht abgehauen sind wie jene, die man auf dem Highway noch sah. Es gab vereinzelte Fluchtversuche zu Fuß, die jedoch zu Scheitern verurteilt waren. Die drei hatten, kaum waren sie in der Stadt, ein Pulk Menschen getroffen die gerade von einer Herde Schleicher angegriffen wurden. Ihnen war nicht mehr zu helfen und schon bald würden sie wie ihre Kameraden, seelenlos und mit unbändigem Hunger durch die Straßen ziehen. Evelyn, Robert und Nathan befanden sich gerade an einer Straßenkreuzung und waren an einer Hausmauer gedrückt, um nicht in das nächste Übel zu laufen. Nathans zeitliche Einschätzung hatte er gänzlich verfehlt, da überall auf den Straßen Schleicher unterwegs waren, die ein Vorankommen so gut wie unmöglich machten. Robert war zudem ein weiterer Klotz am Bein, da die Eindrücke die er aufsammelte, ihn mehr und mehr aufwühlten. Oft blieb er einfach stehen oder er konnte nicht mit demTempo der anderen Beiden mithalten. Wenn sie warteten oder gerade versuchten eine Chance zu erhaschen eine Straße unbeschwert zu überqueren, erzählte er aus seinem Stressimpuls heraus viel von seinem Leben, was er arbeitet, dass er keine Frau oder Kinder hat. Er stellte Fragen die jegliche Bedeutungverloren, in Anbetracht der Lage in der sie sich befanden. Es war schwer und nervenaufreibend zugleich. Gerade wieder, als sie nach einer Gefahr Ausschau halten wollten, rümpfte er sich die Brille zittrig auf die Nase und atmete tief ein. Evelyn, die bereits mit einer ernsten Mimik ihre Augenbraun zusammengezogen hatte, musterte den Neuling. >>Hör mal! Wenn du die nächste Viertelstunde deine Klappe aufmachst, stopf ich sie dir!<< Sie seufzte, tippte dann Nathan auf die Schulter. >>Wie ist die Lage?<< Nathan machte ein Handzeichen welches Evelyn verstand. Sie sollten in die Hocke gehen. Angepirscht und sich schleichend um die Ecke bewegend, ließen sie sich hinter einer Betonsäulenieder. Die Passage unter dem Gebäude war leer. Keine Schleicher, keine ernste Bedrohung. Die Apothekenreklame surrte unter dem Nebel bedrohlich hervor und tränkte die Atmosphäre in ein surreales Erlebnis. Die sonst so belebten Straßen waren ohrenbetäubend still gewesen. Vereinzelt zischte hier und dort der Wind durch zerstörte Ladenfenster, oder das Klappern von Türscharnieren die in der Angel hingen. Die Fensterscheiben und Türen waren eingeschmissen, die Apotheke vollkommen verwüstet und leergeräumt. Das konnte der Soldat bereits öfters in Augenschein nehmen, dass kleinere Läden bereits ausgeräumt oder vollkommen zerstört waren. Es war schrecklich, was eine so derartige Notlage aus Menschen machte. Es war damit zu rechnen, dass gerade in einer größeren Stadt die Anarchie als erstes ausbrechen würde, sobald der Mensch realisierte, dass es keine Hilfe gab.


    Das Magazin des Soldaten war so gut wie aufgebraucht und seine Handfeuerwaffe besaß er dank der Polizistin nicht mehr. Er ließ einen tiefen Seufzer durch die Straßen ziehen und blickte Evelyn fragend an. >>Unser Ziel ist der Global Tower. In den letzten Tagen haben sich Soldaten dort positioniert und diesen als Standpunkt festgesetzt, als die Seuche in Umlauf kam. Unser Ziel ist es gewesen Nichtinfizierte dort zu eskortieren um für deren Leben zu garantieren, bis sich ein neuer Plan zusammenstellt.<< Seine Stimme hatte die letzten Stunden an Kraft verloren und man sah, dass auch er mit den Eindrücken und der Realität zu kämpfen hatte. Jeder hatte sein Kreuz in dieser Schlacht zu tragen, der eine mehr, der andere weniger. Evelyn hielt sich noch immer die Schulter. Der stechende Schmerz ist in den letzten Stunden noch viel Schlimmer geworden und er wollte nicht abflammen. Es war, als würde man stetig den Grill anheizen und kein Fleisch darauf legen.


    Er dachte angestrengt nach und kratzte sich dabei an seinem nicht vorhandenen Bart. Wieder lugte er spärlich um die Säule. >>Die Hauptstraße ist blockiert. Ein Durchkommen ist unmöglich. … Zu viele Schleicher, zu viele Hindernisse.<< Er guckte prüfend zu Robert, der gerade anfinge an seinen Nägeln zu kauen. >>Definitiv zu viele Hürden.<< Evelyn die sich gerade auf den Boden setzte und ihren Rücken gegen die Wand presste, sie einen leisen Stöhner hervorbrach und dabei ihre Schulter unter ihrer Hand fester zusammendrückte, erhaschte einen verschwitzten Moment zu Nathan. >>Und wenn wir die Glaspassage in Richtung Mall nehmen? Wir würden direkt am anderen Ende der Straße herauskommen und wären direkt in der Nähe des Global Towers einige Straßen weiter.<< Der Blondhaarige schloss seine Augen und ging Evelyns Worte im Kopf auf einer Art Karte durch. 3 verschiedenfarbige Stecknadeln bewegten sich über eine handgekritzelte Zeichnung über das Papier, stellten sich wie Schachfiguren auf. Er nickte kurz. >>Auf jeden Fall besser, als wenn wir hier draußen auf den Straßen umherwandern. Sollte die Mall nicht blockiert sein, könnten wir sogar auf Überlebende stoßen die sich dort drin versteckt halten. Es sollte sich zwar schwieriger gestalten die Räumlichkeiten gut im Auge zu behalten, aber es ist besser als auf den Straßen. Wenn wir hier Aufmerksamkeit erregen, überrollt uns eine Fleischwand in binnen von Sekunden.<< Robert räusperte sich und hob einen Finger wie in der Schule. >>Kann uns das in der Mall nicht auch passieren? Also, äh ich meine, dass wir überrannt werden?<< Die schwarzhaarige Frau drückte ihre flache Hand noch immer gegen ihre Schulter. >>Im Prinzip ja. Auf den Straßen locken wir allerdings mehr und mehr von diesen Dingern an. In einem relativ großen und vor allem mehrstöckigen Gebäude ist es einfacher sich zu verstecken oder zu kämpfen als auf flachen Straßen die uns an jeder Kreuzung ein neues Hindernis vor die Füße werfen.<< Nathan klinkte sich ein. >>Natürlich birgt jede Route eine Gefahr, aber die Mall ist der schnellere Weg. Und so wie es aussieht, wird die Versammlung da vorne immer größer und größer.<< Er zeigte auf den Pulk von Schleicher, die sich mittlerweile um ein Autofrack versammelt hatten. Sie kletterten und gingen orientierungslos um den roten Audi, dessen hintere Fensterscheibe fehlte und Beifahrertür offenstand.


    Er klatschte sich auf seine Oberschenkel und nahm sein Gewehr fester in die Hand, stemmte sich auf und knackte mit den Fingern. >>Also gut. Bereit?<< Er blickte fragend in die Runde. Evelyns Entschlossenheit durchbrannte die Unsicherheit von Robert, der zuerst zögerte, aber auch erkannte, dass sie etwas tun mussten. Kämpfen konnte er nicht. Seine Beine trugen ihn nur dort hin, wo Nathan oder Evelyn es wollten. Leise schwangen sie sich um die Ecke, stets den Rücken an der Wand gepresst und schlichen sich mit leisen und kleinen Schritten um die Neonröhre der Apotheke, die surrende Geräusche in die Unendlichkeit des Nebels warf.


    Die Untoten Schleicherbeachteten die drei Wandernden nicht und konzentrierten sich weiterhin auf das Auto. Nathan war stets gebeugt, seine Waffe scharf an seiner Wange gepresst, sodass er konstant durch das kleine Visier am Aufsatzende durchsah. Sein Finger ruhte sanft am Abzug, jederzeit bereit diesen auch zu tätigen. Die zeitlose Nebelwand fraß sich wie ein Fremdkörper in den Raum und die Gruppe waren die Einzigen, die diesen Eindruck aufsogen wie ein Schwamm. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sie die andere Straßenseite überquerten und sie kamen immer näher an den Schleichern heran. Nathan machte eine erneute Handbewegung. Evelyn und Robert blieben stehen. Der blondhaarige Soldatstreckte einen Finger hervor und presste diesen auf seine schmalen Lippen, zeigte dann in eine Richtung und deutete an, dass die beiden stehen bleiben sollten. Geräuschlos setzte er sich weiter in Bewegung, bog um die Ecke und lies die anderen Beiden an der Hausmauer alleine.


    Sein Blick schweifte über mehrere, liegengelassene Autos und über ein Szenario, dessen Blutbad auf den Straßen unbeschreiblich war. Tief in Gedanken versunken, setzte er einen weiteren Schritt nach vorne. Eine umgekippte Mülltonne bot ihm sicheren Schutz vor Augenkontakt der Bestien. Sein Gehirn konnte gar nicht schnell genug arbeiten um die Eindrücke und Bilder aufzusaugen. Es war, als würde man einen Schwamm ins Wasser werfen der nach kurzer Zeit komplett vollgesogen war. Hinter den Autos waren mehrere Leichen zu sehen die regelrecht zerfleddert waren. Man konnte nicht von ihren aufgerissenen Klamotten oder von ihren blutgetränkten Bäuchen unterscheiden, dessen Innereien sich auf dem Boden verteilten. Die Schleicher, sie hatten sich einer anderen Mahlzeit zugewandt und waren beschäftigt gewesen. Ein Gefühl der Übelkeit überkam dem Soldaten. Der Geruch der Mülltonne, gepaart mit der eisenhaltigen, blutigen Luft, warf einen Strudel in seinen Magen der ihn zum Würgen brachte. Die Stille auf der Kreuzung wurde zerrissen von surrenden Fliegen die sich gierig wie Aasgeier auf alles stürzten. Egal ob lebendiges, oder totes Fleisch. Die schwarzen Insekten befielen alles in einem Radius um den Block und hatten großen Gefallen daran gefunden den Blonden zu ärgern. Immer wieder schlug er mit seiner freien Hand aus um die heranschwirrende Plage davon abzuhalten in seine Naselöcher oder in seinen offenstehenden Mund zu fliegen und er konnte schwören, dass er bereits unbewusst mehrere Fliegen bei diesem Spektakel verspeist haben musste. Es war ein unbewusster Gedanke der alles in seinem Körper daran zwang, jetzt umzudrehen. Noch einmal hatte er den Ekel von sich abgeschüttelt und die Leichen auf dem Boden fixiert. Wie würde Robert darauf reagieren? Genau hinter der Straßenseite wäre der große Glaseingang zur Mall, dessen Scheiben allerdings noch intakt waren. Er kratzte sich am Kopf.


    Ein Zucken. Zuerst ein kleines, in seinem gebrochenen und halb abstehenden Finger, dann ein durchfahrender Lebensimpuls, der zischend durch den leblosen Körper auf dem Boden fuhr, dessen Innereien sich so lang zogen, dass sie ein komplettes Fußballfeld ausfüllen hätte können. Nathan war nun Zeuge des Verwandlungsstadiums. Die Schleicher hatten sich nicht von der Person auf dem Boden abgewandt, nicht weil sie keinen Hunger mehr hatten, nein, weil die zerrissene Person nicht länger interessant war. Zuerst erhob sich ein tiefes Raunen gefolgt von einem blutigen Stöhnen durch die Luft. Der Leblose öffnete seine weißen und vergilbten Augen dessen aufgeplatzte Äderchen sich durch seinen Augapfel zogen. Der Mensch, er richtete sich auf, stützte sich mit seiner gebrochenen Hand vom Boden, nahm eine gebeugte Haltung ein. Sein rechter Fuß war umgedreht, sein linkes Bein schleifte er orientierungslos hinter sich her, genauso wie seine blutigen Innereien, die langsam an Halt verloren und sich wie ein Wollknäul, welches man in die Luft warf, ausrollte. Schmatzige und schlurfende Geräusche, stets untermalt mit dem tonlosen stöhnen des Monsters, strichen nun durch die Stadt. Als ob nichts gewesen wäre, als ob dem Mensch kein Leid zugetragen worden war, bewegte er sich mit seinen tödlichen Verletzungen auf die anderen Schleicher zu. Trübes und dunkles Blut überquoll in blasenförmigen Abständen seinen Wangen und rannte tropften auf seine Gedärme, auf denen er nicht achtend herumtrampelte, wenn er sich in Bewegung setzte. Hin und wieder blieb er stehen, bewegte seinen Kopf stockend in alle Richtungen als würde er nach etwas suchen, nur um wieder schleifend zu seinen Gesellen aufzuschließen. Er klapperte mit seinen Zähnen.


    Nathan hatte alles um sich herum vergessen. Ihm war schlecht. Er hatte seine Waffe längst nicht mehr im Anschlag, die Fliegen ignoriert, die nun auf seine Augenlieder einen Tango tanzten. Er fiel wortlos auf seinen Hintern und war froh hinter der Mülltonne versteckt zu sein. Seine Haare stellten sich in seinem Nacken auf und auch er verspürte das erste Mal das innere Bedürfnis einfach zu verschwinden. Wie konnte Evelyn nur so cool tun? Wie tickte die Frau eigentlich wirklich? Das waren Fragen die ihm das erste Mal so richtig in den Kopf schossen. Wenn er Robert zusammen mit Evelyn verglich, waren sie unterschiedliche Personen wie Tag und Nacht. Wer war diese Frau? Was wusste sie? Eine Szene schoss ihm vor die Augen und er roch den erfüllten Duft von Kaffee gemischt mit heißem Blut, er sah die zerstörte Inneneinrichtung erneut vor sich, wie er zwischen Türangel und Flur eine halbnackte Frau vor sich fand, völlig apathisch und geistesabwesend. Bevor die Erinnerung weiterfahren konnte, hörte er einen lauten Schrei. Die Schleicher auf der Kreuzung schreckten nach oben, drehten ihren Kopf zur Ecke, in der Nathan sich befand. Er stockte mit seinem Atem, sein Puls raste auf 180 und sofort nahm er seine Waffe in den Anschlag. Was war passiert? Er beugte sich auf die Knie und verfolgte mit dem Lauf die Schleicher die sich schneller in Bewegung setzten. Eines der Monster hatte ein Stück Fleisch eines Oberarms im Mund, das klatschend auf den blutgetränkten Asphalt flog, als er gurgelnd seine Aufmerksamkeit etwas neuem widmete. Es dauerte keine Sekunde, dann kam Evelyn zusammen mit Robert in der Hand um die Ecke geschossen. >>LAUF!!<< Waren ihre Worte. Der Schweiß transparierte auf ihrer Stirn und befeuchtete ihre Haarsträhnen die in ihrem Gesicht lagen. Roberts Schrei hatte die Meute aufgeschreckt. Der Soldat sprang auf seine Beine. >>HIER RÜBER!<< Er deutete mit einer flachen Hand zur Glastür, dann drückte er den Abzug. Das ratternde Feuer hallte durch die Straßen und wurde mit einem hallenden Aufschrei mehrerer Bestien in der Nähe erwidert. Es war so weit. Nun hatten sie dem kompletten Block verraten wo sie sich befanden. Der Soldat ging in Eilschritt und der Waffe an der Backe auf die Straße, gab immer wieder kontrollierende Salven ab, die in die leblosen Körper der Schleicher schlugen. Wie in einem Film, den er bereits sah, erkannte er Szenen wieder, wie die Kugeln das Fleisch an deren Oberkörpern zerfetzte und diese Dinger es einfach ignorierten. Sie bewegten sich weiter, unbeeindruckt dessen, was mit ihnen Geschah. Die schwarzhaarige Frau zerrte trotz ihrer verletzten Schulter den Mann hinter sich her, der bibbernd und mit weit aufgerissenen Augen nur so über seine Beine stolperte. Als sie Nathan passierten, bewegte sich auch der Schütze langsam mit dem Rücken zu Eve und Robert gewandt, in Richtung der Mall. >>Ich geb euch Feuerschutz, rennt so schnell ihr könnt!<< Hallten seine Worte durch die Straßen die sofort anGehör verloren, da sie an das Scheppern der Waffe nicht herankamen. Die Mutter stemmte ihren kompletten Oberkörper gegen die Glastür und brachte diese einen Spalt lang auf. Sie drückte die Tür mit dem Rest ihrer Kraft auf und schmiss Robert förmlich in die Glaspassage. Sie winkte mit einem schmerzverzerrten Ausdruck, der sich nach und nach stärker auf ihrem schönen Gesicht abzeichnete,Nathan heran, der seine Waffe mit dem Gurt zusammen hinter seinen Rücken beförderte und los spurtete. Kurz bevor er die Glastür erreichen konnte, stürzte sich der Schleicher mit seinem offenen Bauch auf Nathan, dessen warme Innereien sich zusammen mit dem Blut unangenehm durch die Klamotten des Soldaten fraßen. Er konnte alles fühlen. Als wäre seine Wahrnehmung um ein tausendfaches gestiegen, konnte er fühlen wie die toten und kalten Hände der Monster seinen Rumpf packten, wie sie sich um seine Beine schlängelten. Eine undefinierbare Kraft zog ihn in den Abgrund des Todes hinter sich und egal was er tat, er konnte sich mit all seiner Kraft die er in seine Beine stemmte, nicht von dieser Klippe entfernen. Die Monster öffneten bereits ihre sabbernden Mäuler, versuchten sie in den Hals, in die Arme oder in dem Rumpf des Mannes zu rammen. Er konnte fühlen wie der warme, blutige Speichel seinem Nacken herunterrann und sich am Ansatz seiner Rüstung sammelte, wie dieses Gefühl von Ekel sich verbreitete und schlimmer wurde, als sein Hemd sich damit vollsog. Das Fliegengeräusch wurde immer intensiver, es surrte bedrohlich in seinen Ohren und raubte ihm fast seinen Verstand. DerGeruch von blutigem Eisen durchzuckte seine Nasenlöcher und beraubte ihm all seine Sinne. Er streckte seine Hand durch die Fleischwand die nun versuchte ihn vollkommen einzunehmen. Evelyns Hand packte die von Nathan. Sie hatte zuvor ihre Waffe auf den Boden geworfen um unnötigen Ballast von sich zu lassen. Sie krallte sich mit der verletzten Schulterhand am Eisengriff derGlastür fest, während sie ihren Oberkörper nach vorne beugte um Halt zu finden. Sie hatte Nathan fest im Griff und zog an seiner Hand. Es war fast aussichtslos gewesen. Ihre schmerzende Schulter sendete einen stechenden Impuls nach dem Anderen aus und sie merkte, wie der Stoff ihrer Kleidung immer nasser wurde. Die Wunde war wieder aufgegangen. Plötzlich zerriss ein knallender Schuss die Atmosphäre in der Passage. Evelyns Haare flogen von einem Luftstoß nach vorne an ihrer Wange vorbei und in der Glastür war ein kleines Loch zu erblicken. Eines der Monster ließ von Nathan ab, da eine undefinierbare Wucht, ein nicht zu sehender Impuls, seinen Hals aufplatzen ließ und damit zu Boden ging. Das aufkeimende Blut verteilte sich spritzartig an Nathans Wange und färbte seine blonden Haare in einen Bronzeton. Dieser Ruck der durch die Straßen pfiff, wurde von einem lauten, hysterischen Schreien unterbrochen. Robert, er hielt sich seinen Bauch. Er saß auf dem Steinboden der Mall und hatte das Scharfschützengewehr quer über seine Füße gelegt, dessen goldene Hülse in die nächste Fuge rollte. Er hatte sich die Waffe geschnappt und einen unkontrollierten Schuss abgesetzt, das Gewehr dabei mit seinem Bauch abgestützt und einfach abgedrückt. Der Rückstoß der Waffe schlug zu wie eine geballte Faust. Evelyn konnte Nathan unbeschadet mit einem Ruckin die Passage ziehen. Sofort stemmte sich der Mann gegen die Tür. Die Frau handelte schnell und ohne nachzudenken. Sie schnappte sich den erstbesten und stabilsten Gegenstand den sie auftreiben konnte und rammte ihn mit voller Wucht zwischen die U-förmigen Türgriffe um diese zu blockieren. Die leblosen Körper donnerten mit beißenden Gesten gegen die Türscheibe. Sie rutschten ab, hinterließen blutige und schlurfende Spuren an der durchsichtigen Glasfront. Immer mehr Schleicher donnerten gegen die Glaswand und brachten das Glas zum Wackeln. Sie ballten ihre Fäuste, schlugen und kratzten, bissen immer wieder triebgesteuert in Richtung der Lebenden, als wüssten sie nicht, dass eine Scheibe sie trennte. Robert er wimmerte, kauerte zusammen. >>W-wir sind tot! Sie w-werden k-k-k-kommen!<< Der Soldat wandte sich von der Tür und ging auf Robert zu. Er hatte gerade das Bedürfnis ihn zu schlagen, doch eine schellende Frauenhand kam ihm zuvor. Ein helles Klatschen prallte an den Wänden der Passage ab und Robert hielt sich verwundert seine rote Wange. Seine Brille auf der Nase, das große, schwarze Gestell, es war verrutscht und fiel wie ein reifer Apfel von seiner Nase in seinen Schoß. Evelyn zischte voller Schmerz aufgrund ihrer Schulter. >>Halt endlich deine gottverdammte Klappe!<< Nathan hielt inne, musterte die Frau. Wie mit einem Schlag verflog sämtliche Wut und angestauter Zorn über alles was gerade passiert war, als er in die großen und grünen Augen der schönen Frau vor sich blickte. Ihre Atmung ging rasant, sie keuchte. Ihr Brustkorb erhob und senkte sich so schnell, sodass sie einen Akku damit antreiben hätte können allein durch die Bewegung. Auch Nathan war erschöpft, doch er erkannte mittlerweile in so kurzer Zeit, welche Rolle er in dieser Gruppenkonstellation einnehmen würde. Er atmete tief durch und zwang sich zu einem Lächeln. >>Danke Robert. Hättest du nicht geschossen, hätten mich diese Viecher bekommen.<<Er streckte seine Hand hervor um dem Mann aufzuhelfen. Evelyn plusterte ihre Backen auf, warf ihre gesunde Hand in die Luft und wandte sich ab. >Na klar! Danke Robert …<< äffte sie ihm nach. >>Wegen diesem Schnösel sind wir erst in dieser Situation! Eines dieser Kreaturen hatte die Straße unmittelbar neben uns überquert und dann hat diese Saftnase geschrien als hätte er sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen. Und die Kugel hätte sonst wen treffen können! Das war keine Hilfe, das war … << Nathan unterbrach das hysterische Geschrei der Frau. Es war interessant, so war, trotz der anfliegenden Wut und der aggressiven Stimmlage von Evelyn, ihr Ton so gestimmt, dass man der Frau noch Stunden zuhören konnte. Es war irgendwo faszinierend. Sie hatte eine Stimme, mit der sie es schaffte den Mann in einen Bann zu ziehen. Sie war herrisch bestimmend, aber nicht von dieser Welt. Sie war kein Engel, sie glich einem selbstsicheren Teufel, dessen Charme sich über alles legte was sie ins Auge fasste. Evelyn war eine interessante Person, das bemerkte der Soldat sofort. Er fragte sich gerade im Augenblick, was für ein Mensch sie wohl gewesen war. Er ging einige Schritte auf sie zu.


    >>… notwendig. Eve. Beruhig dich. Hätte er deine Waffe nicht abgefeuert, wäre ich Dosenfleisch geworden. Natürlich hätte die Kugel alles treffen können, HAT sie aber NICHT. Das zählt. …<< Nathan hatte recht, das wusste die herrische Frau. Sie hatte versucht ihre Arme zu verschränken. Sie ahmte eine Schlange nach indem sie arrogant zischte und ihren Kopf ruckartig wie eine Diva zur Seite bewegte. >>Macht was ihr wollt …<< Sie bewegte sich mit ihrem präsenten Hintern zu ihrer Waffe und schnallte diese wieder um ihre Schulter. Nathan hatte Robert aufgeholfen und ihn in Sicherheit gewogen, indem er ein Lächeln aufsetzte. >>Diese Dinger werden nicht reinkommen können. Das Panzerglas sollte selbst für diese Kreaturen schwer zu knacken sein. Danke.<<


    Wortlos hatte sich die Schwarzhaarige schnippisch an beide Männer vorbeigezogen und Nathan kommentierte dieses Verhalten mit einem kühlen Seufzer. Robert und der Soldat, sie bewegten sich weiter die Glaspassage entlang und entfernten sich langsam mehr von der donnerten Geräuschkulisse im Hintergrund. Nach einer kurzen Weile genossen die drei die Stille und das erste Mal seit Langem machten sie eine kurze Pause. Die Eingangstür lag nicht mehr in ihrem Augenschein und auch die Mall selbst war noch nicht zu erblicken. Es war eine geräuschlose Stille gewesen die sich wie Staub auf den Boden legte. Sie hatten ihre Rücken an den kalten Wänden gelehnt und Evelyn hatte ihren Rucksack geöffnet, ein paar Kornriegel hervorgeholt und verteilt. Sie hatte sich wieder beruhigt und entfernte mit zittriger Hand die Folie um das Essen. Es ließ sich nicht vermeiden den Inhalt des Rucksacks zu sehen und dabei blickte Mister Bommels sie vorwurfsvoll an. Ein emotionaler Schmerz durchzuckte ihr schwaches Herz und wieder hörte sie das Kinderlachen in ihren Ohren, weswegen sie den Rucksack schloss und zur Seite wuchtete. Nathan beobachtete die Frau weiter. >>Special Force?<< Die Polizistin schwieg und umschloss mit ihren roten Lippen das Korn, biss ein Stück ab und kaute darauf herum. >>Dein graziler Umgang mit dem Gewehr, deine Kampftechnik, Schnelligkeit, dein Sinn für rationales Denken in Gefahrensituationen. Ich schließe darauf, dass du bei der Special Force eingesetzt warst? Warum hast du aufgehört?<< Ihre Augenbrauen fielen zusammen und mit ernstem Blick musterte sie den Soldaten. Sie antwortete nicht, verneinte aber auch nicht Nathans Aussage. Wieder biss sie in den Riegel. >>Lange Zeit war ich im Auslandtätig um Konflikte zu lösen. Ich war Truppenführer und unter mir ein paar Männer in der Hand. Auch zwei Frauen waren eingeteilt gewesen. Unser Ziel war es eine Geiselnahme in Afghanistan zu stoppen. Der Einsatz ging schief und forderte nicht nur das Leben meiner Soldaten, sondern auch die der Opfer, die wir retten sollten.<< Nathan blickte in einer anschwellenden Melancholie zu Boden. Vor seinem Auge blitzten die Bilder seiner Vergangenheit hervor, die Explosionen im Sand, die Rauchschwaden die sich über die Häuser zogen, die Schreie der Menschen, die systematisch in Gefangenschaft mit einem Schuss nach dem Anderen zum Schweigen gebracht wurden. Seine Stimme sankeine Tonlage. >>Nach diesem Einsatz hab ich mich vom Ausland zurückgezogen. Ich war am Boden zerstört. Ich hatte nicht nur meinen Trupp auf dem Gewissen, sondern auch das Leben Unschuldiger. …<< Sein Griff um seine Waffe wurde stärker. Sein Lederhandschuh begann zu zerren und schlich sich durch die Passage. Evelyn, sie blickte ebenfalls monoton vor sich hin, ging allerdings auf nichts ein. Auch vor ihrem geistigen Auge zuckten Bilder ihrer Einsätze und besonders der, der sie dazu zwang zurückzutreten. Sie hatte zerfetzte Bilder, keine klaren Szenen vor Augen. Sie konnte sich an nicht viel Erinnern, außer, dass sie angeschossen wurde und im Lager wieder aufwachte.


    Robert er räusperte sich kurz und brachte ungewollt abweisend die Beiden wieder zurück in die Realität. >>Wollen wir weiter?<< Beide Soldaten zuckten synchron mit ihren Schultern. Sie setzten sich auf und passierten nach einigen Schritten eine weitere Doppelflügeltür.


    Hinter der Glastür bot sich eine große Einkaufsmall dar, die in verschiedene Stockwerke aufgegliedert war. Inmitten der Eingangshalle befand sich ein typischer Springbrunnen der in einem laufenden Betrieb war. Hinter dem Brunnen erstreckten sich zwei Rolltreppen auf einen Flur, der an beiden Seiten zu verschiedenen Geschäften führte. Zum Teil waren die Rollladen der Geschäfte geschlossen. Es waren keine Schleicher unterwegs, zumindest konnte man das auf dem ersten Blick vermuten. Die Läden, die geöffnet waren, waren ebenfalls verwüstet und in einem plündernden Zustand hinterlassen. Hier hatten die Menschen wohl zuerst alles ausgeräumt, was man gebrauchen konnte. Überall war zerstreuter Müll verteilt und Dinge zerbrochen. Bänke lagen umgekippt auf dem Boden, Stühle und Tische zu Barrikaden aufgeschlagen. Hier und dort konnte man vereinzelt blutige Spuren sehen, aber keine Menschenseele.


    Der Soldat drückte die Tür als erster auf und ging mit leisem Schritt voran. Die Einkaufsmusik spielte einen wiederholenden Jingle und tauchte das Gebäude in eine Unbeschwertheit, die für einen Augenblick das ganze Chaos vergessen ließ. Der Blondhaarige zeigte mit seinem Finger auf die Barrikadenstruktur, die an einem Geschäft aufgebaut waren. >>Hier sind Menschen. Oder waren, je nachdem ob sie es noch sind. …<< Robert lugte mit unsicherem Blick hinter Evelyns Schulter hervor. >>Wir sollten vielleicht weiter?<< Die Frau nickte zustimmend. >>Noch kann ich nichts hören. Die Mall scheint ungewohnt leer.<< Erwiderte sie. Die Gruppe blieb im Erdgeschoss und schlich an den Rolltreppen vorbei, dessen Fahrten ins Unendliche führten. Immer und immer wieder bauten sich Treppenstufen auf die am Ende ihres Weges wieder verschwanden, nur um am Anfang wieder ihre Reise anzutreten. Hinter den Treppen, waren wiedereinige Stühle und Bänke zu Barrikaden errichtet, die allerdings nicht hochgenug waren um das zu verdecken, was sich dahinter abspielte. Eine Frau lag kauernd mit dem Rücken zur Gruppe gedreht auf dem Boden, neben ihr ein Mann, der einen Kapuzenpullover über den Kopf gezogen hatte und sich tröstend um die Frau kümmerte. Ihr Schluchzen war durch das Surren der Treppen und dem Plätschern des Wassers zuerst gar nicht richtig hörbar, doch umso näher sich die Gruppe dem offenbarte, was sie vor sich fanden, umso lauter wurde es. Nathan hatte instinktiv zuerst seine Waffe gehoben, dessen Kugelzahl auf zwei Salven beschränkt war. Robert, er hatte sich hinter Evelyn versteckt. >>Hallo? Alles in Ordnung?<< Evelyn verdrehet die Augen als sie Nathans Worte vernahm. >>Natürlich ist alles in Ordnung. Es herrscht eine Apokalypse und wir sind alle glücklich. …<< Sie patschte sich mit ihrer gesunden Hand, die sie von ihrer Schulter nahm, auf die Stirn. >>Wie kann man immer und immer wieder angesichts der Situation diese Frage stellen?<< murmelte sie eher in sich hinein. Der Mann hatte sich weiter auf die zwei Personen zubewegt und blieb vor der Barrikade stehen. Erneut versuchte er einen Kommunikationsversuch, schluckte dabei heftig und hatte bereits den ersten Widerstand seines Abzugs im Griff. Nun preschte Robert vor. >>NEIN HALT!<< Dröhnte es in den Ohren. >>Nicht schießen! Das sind keine Dinger wie draußen! Diese Dinger schluchzen nicht. …<< Seine Stimme wurde immer leiser und unsicherer. Nathan, der die Worte zwar empfangen hatte, hatte seine Waffe zur Sicherheit noch immer im Anschlag, den Druckpunkt allerdings an seinem Finger gelockert. Zuerst stieg er mit einem Bein über die Barrikade, dann mit dem Anderen. Evelyn und Robert blieben einige Meter davor stehen. Seine Schritte wurden immer langsamer und langsamer, seine schwarzen Armeestiefel streiften die weißen Bodenfliesen und hinterließen ein kaltes Schlurfen. Langsam legte er eine Hand auf die Schulter der Frau, beugte sich leicht nach vorne. >>Ma’am?<< Das Schluchzen verstummte. Was nun in den Raum hallte, war ein tosendes, aufscheuerndes Lachen, was einem die Haare zu Berge stehen ließ. Der Mann, der soeben noch die Frau mit seiner Rechten in den Arm hielt, hatte seine Linke zusammen mit einer Pistole unter seiner Jacke hervorgestreckt und auf Nathan gezielt. Einige, schwere Schritte im Hintergrund drangen nun in das Gehör des Soldaten und ehe er verstehen konnte was hier vor sich ging, war es zu spät. >>Soso! Ein verkackter Soldat mit seiner Schlampe und einer Brillenschlange!<< Er schnellte wie eine aufgespannte Feder auf seine Beine und zog seine Kapuze von seinem Kopf. Ein halb kahlrasierter Schädel blitzte unter Haarstoppeln hervor. Das Metall in seinem Gesicht reflektierte die LED Leuchten an der Decke und Nathan wich einen Schritt zurück, richtete seine Waffe auf den Unbekannten. >>Was wird hier gespielt?!<< Drohte er mit einem Finger am Abzug. Der Unbekannte leckte sich einmal mit seiner gepiercten Zunge über seine Lippen und deutete mit seiner Waffe hinter Nathans Rücken.>>Das würde ich mir schleunigst überlegen.<< Nun stand auch die Frau auf. Unter ihrem Schwung flog ihr langes und geschwungenes, blondes Haar zu Boden und offenbarte eine Darstellung einer Puppe, die man angemalt hatte. Die Perücke segelte zu Boden und landete vor den schwarzen Stiefeln des Soldaten. Ihr hochgezogenes, schiefes Lächeln ging durch Mark und Bein und paralysierte zusammen mit ihrem grotesken Gesichtstattoo, das sich von der linken Wange über ihre Stirn hinweg zu ihrem Ohr zog, den Finger der am Abzug war. Ihr Nasenpiercing stach nicht allzu sehr hervor wie es der Schmuck ihres Kumpanen tat, doch ihre Feuerrote, Grüne Mähne die eher an einen Gockel erinnerte, tränkte das Bild in eine Art Aussichtslosigkeit. >>Waffe her …<< Nathan versuchte entspannt zu wirken. >>Sonst was?<< Wieder durchhallte das schräge Lachen der Frau die Halle. Sie deutete auf Evelyn und Robert. >>Sonst wird es den beiden ziemlich dreckig gehen.<< Nathan riskierte einen kleinen Blick über seine Schulter und weitere drei Leute dieser Gang hatten sich im Hintergrund aufgebaut. Einer der Leute hatte eine Schrotflinte auf Evelyn gerichtet, eine andere hatte eine Machete an Roberts Kehle gedrückt.


    Nathan, er verstand nicht. Sein Kopf raste wie ein Kreisel in einem Sandsturm. Ein Klicken einer Waffe durchzuckte die Luft, die man mittlerweile mit dem Messer schneiden konnte und der Lauf einer kalten Pistole wurde dem Blondhaarigen an die Stirn gedrückt. >>Los. …. Sonst setzts was.<< Der Soldat hatte seine Hände gesenkt, seine Waffe von seiner Schulter genommen und sich umgedreht, er preschte nach vorne. >>Evel …<< Ein tobender Schmerz in seinem Hinterkopf durchbrach seine Lungen und seine Stimme versagte noch bevor sie über seine Lippen kam. Er bemerkte als letzte Regung wie seine Beine an Gefühl verloren und er wie ein nasser Sack zu Boden glitt. Sein Innerstes hatte sich auf den heranbahnenden Aufprall vorbereitet, doch den Aufschlag, hatte der blondhaarige Mann nicht mehr mitbekommen, denn er fiel in eine tiefe Finsternis die ihm alle Sinne beraubte.


  • Kapitel V


    1 Tag nach dem Day-Z:
    Oklahoma City: Einkaufs Mall
    >> 06.08.2024 Sa. 2:00 p.m.
    Evelyn Joule




    Die beiden Gattertore, die vom Laden aus in die Mall führten,wurden von einer Gestalt geschlossen und fielen mit einem Klappern in die Angel des Schlosses. Ein Riegel wurde als Barrikade zwischen die Gitterstäbe geschoben, die im Gesamtbild mehreren Rauten entsprachen. Evelyn war gefesselt an einem Stuhl gebunden, ihre Hände hinter der Lehne zusammengeschnürt und ein Halstuch, welches sich durch ihren Mund zog, am Hinterkopf befestigt. Ihre langen Haare lagen offen auf ihren Schultern, ihre Augen waren Müde, ihre schwarzen Augenringe stärker gezeichnet als zuvor. Auf ihrer rechten Wange zeichnete sich ein bläulicher Schimmer und sie war geschwollen. Mehrere blutige Kratzer zierten ihre schöne Stirn, an der mehrere Haarsträhnen klebten. Die schemenhafte Gestalt, die zuvor die Gatter zuzog, bewegte sich auf die schwarzhaarige Kriegerin zu. Sein spitzes Lächeln, seine gelblichen Zähne, sie blitzten unter seiner Kapuze her vor. Evelyn war ihrer Kleidung entledigt und saß nur mit einem schwarzen Top und ihrer Unterwäsche auf dem Stuhl. Ihre giftigen Augen einer Schlange verfolgten den Unbekannten mit einem fixierten Blick, dabei waren ihre Augenbrauen eng zusammengezogen. Ihre Atmung war ruhig, ihre Hände ballten sich zu Fäusten und immer wieder zerrte sie an den Fesseln, als könne sie diese mit ihrer bloßen Willenskraft durchbrechen. Der Unbekannte setzte seine Kapuze ab, leckte sich mit seiner Zunge über seine Lippen. Seine Augen waren gewaltig groß. Eine Art unbeschreibliche Begierde blitzte hinter seinen schwarzen Pupillen hervor. Sein immerwährendes, groteskes Lächeln wollte nicht abflammen. Es war widerlich. Allein sein Antlitz, so wie er die Frau ansah, trieb einem einen Schauer über den Rücken. Evelyn sträubte sich gegen seinen lüsternen Atem der sich wie ein warmer Sommerregen auf ihre Haut niederließ. Er schloss seine großen und leeren Augen, sog mit einem scharfen Zug den wohlriechenden Duft der Frau ein. Er schmatzte, stieß anhauchend seinen Atem über seine Lippen. Evelyn, sie bewegte ihren Kopf so gut es ging zur Seite. Ihre roten Lippen umschlossen das Halstuch fester. Seine fettig, dreckigen Finger legten sich über ihren Hals und seine Nasenspitze kitzelte ihre Wange, als er näher kam. Evelyn schluckte schwer. Ihre grünen Augen fixierten jede Faser des Unbekannten, sie sogen jedes Detail auf und brannten sich in ihren Kopf.


    >>Wir werden viel Spaß haben, Süße. …<< hallte es dumpf in ihrem Ohr. Der schwarze Schatten zog sich hinter ihren Rücken, seine Hand streifte einmal durch ihre Haare, strich sie auf ihre rechte Schulter, hauchte ihr unverständliche Worte in ihr Ohr. Evelyn, sie fixierte mit ihrem eiskalten Blick den Ausgang. Eine geballte Wut keimte auf, die zusammen mit der Erniedrigung, die sie gerade durchmachte, einen gefährlichen Cocktail ergab. Die unbekannte Hand wischte nun über ihre Stirn hinweg über ihre Wange und Evelyn sah mit einem Hundeblick, mit gesenktem Kopf, dem Mann in seine Augen. Seine Unterlippe zitterte vor Erregung, seine Atmung war hektisch und unkontrolliert. Er strich der Frau sanft über die bläulich schimmernde Wange. Er fixierte Evelyn wie ein Raubtier, das es auf Fleisch abgesehen hatte. Wie ein hungriger Geier, der zuerst über seine Beute große Kreise zog, um sich dannauf sie zu stürzen. Die Frau erhob ihren Blick und erwiderte die Anspielung seiner Hand mit einer zuneigenden Gestik. Sie drehte ihren Kopf in die Richtung der Hand, streifte mit ihrer Wange über diese und blickte mit einem verführerisch, erotischen Blick in die Augen ihres Gegenübers. Der Mann entfernte sich einen kurzen Schritt und musterte die Frau von oben bis unten. Evelyn, sie umspielte mit ihren Lippen das Halstuch zwischen ihren Zähnen, warf einen gefangenen Blick nach dem Anderen in die Richtung des Kapuzenträgers. Sie öffnete ihre Schenkel, drehte ihre angebundenen Beine an den Stuhlbeinen etwas zur Seite. Sie warf ihre Augenbrauen mehrmals nach oben, bewegte ihren Kopf in kreisenden Bewegungen und nickte ihrem lüsternen Gefangenen zu. Sie grinste unter ihrem Halstuch. Eine aufschwellende Beule durchzuckte den Schritt des Mannes dessen Hände zu zittern begannen.Er leckte sich wieder über seine verdreckten Lippen und grinste dabei. >>Du dreckiges Luder willst es auch … << Seine langsamen, schweren Schritte bewegten sich auf die Gefesselte zu. Er hatte seinen Gürtel an seiner Hose gelockert und sich über die Frau gebeugt. Er strich mit seiner Nasenspitze über die Wange hinweg zu ihrem Hals, küsste sie dort mit seinen nassen und sabbernden Lippen. Jeder Atemzug, der durch seine Nasenflügel zog, trieb ein aufgesetztes Stöhnen durch seine Lungen. Evelyn reckte ihren Hals, gab größeren Spielraum. Der Mann stützte sich nun über die Stuhllehne, sein Atem roch nach verfaultem Fleisch und drang mit stechenden Zügen in Evelyns Gesicht. Angewidert versuchte sie ihr Schauspiel durchzuziehen. Der Typ, er kam näher und näher, seine Lippen befanden sich nur wenige Zentimeter entfernt von denen der Frau. Sie kaute weiter auf dem Halstuch herum. Mit einem Ruck, zog sie ihren Kopf nach hinten. Sie stützte sich mit ihren Zehenspitzen am Boden ab und brachte den Stuhl etwas zum Kippen. Als sie den Schwung nach hinten ausnutzte, schnellte sie mit ihrer Stirn mit einer brachialen Kraft nach vorne und zertrümmerte unter einem donnernden Schrei des Mannes sein Nasenbein, welches mit einem lauten Knacken sämtliches Blut von sich gab. Die rote Flüssigkeit schoss aus den Löchern heraus und verteilte sich auf dem Teppich des Möbelgeschäftes in dem sich die beiden gerade befanden. Evelyns Atmung war schwer, sie blickte mit einem zornigen Blick auf die Gestalt die sich winselnd seine Nase auf dem Boden hielt. Seine Hände waren in Blut getränkt und immer wieder zuckte er mit seinen Beinen im Takt des Schmerzimpulses, das wie ein Metronom seinen Geist benebelte.


    Er biss sich auf seine Lippen, er fletschte mit seinen Zähnen und kämpfte sich krampfhaft auf seine Beine. Sein Speichel schlug Blasen an seinem Mund vor Wut und mit starken Schritten ging er auf die Soldatin zu. Er holte mit seiner Linken aus und schlug der Frau ins Gesicht, sodass sich das Halstuch aus ihrem Mund entfernte. Der Stuhl kippte zur Seite und flog mit einem donnernden Knall auf den Boden, wo sie erneut mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug. Ein dumpfer Hauch entfuhr ihrer Lunge. Sie grinste hämisch. Eine undefinierbare Müdigkeit legte sich auf ihre Augen und eine Erschöpfungswelle schlug ihre Gischt auf ihren Lidern. Ihre Wange brannte wie Feuer, der leichte, bläuliche Schimmer entwickelte sich zu einem tieferen Pflaumenton. >>Du mieses Dreckstück!<< Er kniete sich auf den Boden, packte die schwarze Haarpracht und drückte den Kopf weiter auf den Boden. >>Dich mach ich fertig<< Evelyns Backe bauschte sich auf und entfernte sich mit einem Rück vom weichen Fußboden. Der Typ hatte den Stuhl gepackt und wieder aufrecht hingestellt. Seine Atmung ging schwer. Schweiß transparierte auf seiner Stirn. Der Kopf der Frau hing kraftlos in ihrem Nacken. Es kostete ihr viel Kraft ihrem Gegenüber nun in die Augen zu sehen. Ihr Anblick hatte etwas teuflisch Dämonisches. Das Schwarz, das tief unter ihren Lidern hing, wie der rieselnde Sand in einer Sanduhr, wurde von Sekunde zu Sekunde dunkler. Ihre tiefgrünen Augen fixierten nun ihr Gegenüber so wie sie es zuvor getan hatte. Ihre linke Schulter war taub. Sie hatte kein Gefühl mehr in ihrem kompletten linken Arm, da der Aufschlag auf den Boden ihr die letzten Sinne aus der Verletzung trieb. Sie konnte den Kampf nicht gewinnen, dessen war sie sich bewusst, doch sie würde Kämpfen, um jeden Preis. Aufgeben war nie das, was der Frau im Sinn lag, sie nutzt jede Gelegenheit aus, um alles zu ihrem Vorteil zu nutzen. Der Mann, er entfernte den Gürtel nun komplett und schmiss ihn in einem hohen Bogen von sich. Die Soldatin spuckte auf die Füße ihrer Bedrohung. >>Komm her, dann reiß ich dir den Arsch auf.<< Sie zerrte weiter mit geballten Fäusten an ihren Fesseln, sie lockerten sich nicht, im Gegensatz zu ihrem Mundwerk, was ihr ein spitzes Lächeln auf ihre Lippen trieb.




    Oklahoma City: Einkaufs Mall
    >> 06.08.2024 Sa. 2:00 p.m.
    Nathan Brook




    Nathan stöhnte nachdem er blinzelnd in eine helle Deckenleuchte blickte. Sein Hinterkopf schmerzte und pochte in einem aufschlagenden Rhythmus wie sein Herz. Er hätte sich gerne an seinem blonden Haar gerieben, doch die Fesseln an seinen Handgelenken schnürten ihm jegliche Bewegung ab. Sein Kopf hing tief im Nacken, sein Mund war ausgetrocknet und seine Lippen aufgerissen. >>Eve … Robert …<< Murmelte er entkräftet vor sich hin. Ein kalter, dünner Stahl an seiner Kehle brachte ihn aus seinen traumlosen Schlaf in die Realität, dessen Verschwommenheit nach und nach abließ. Er konnte sich nicht bewegen, seine Füße waren ebenso an einem Stuhl gefesselt wie es seine Arme waren. >>Na da kommt Dornröschen wieder zu sich<< drang es dumpf in sein Ohr. War es eine Frauenstimme gewesen?Er blickte hektisch von einer Seite zur anderen, biss sich scharf auf seine Zähne und versuchte an allen Gliedern zu wackeln, zu zerren, es war erfolglos. Erst langsam als er seinen Kopf in die Gerade wuchtete, blickte er in die Augen der jungen Frau, die ihn in Gewahrsam hielt. Sie drückte eine Machete eng an seinen Hals und dabei schlug sein Kehlkopf nach jedem Schluckversuch auf die kalte Schneide. Nathan hob eine Augenbraue. >>Was wollt ihr von uns? Wo ist die Frau?<< Die Erpresserin hielt ihren Zeigefinger nach oben. >>Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, hier Fragen zu stellen.<< Sie entfernte die Schneide und wackelte ein paar Schritte zurück, woraufhin ihr rot schwarzer Rock Falten schlug. Sie fischte einen weiteren Stuhl herbei und setzte sich mit der Lehne voraus darauf, drückte ihren Unterarm dagegen und stelle ihren Kopf darauf ab. Ihr Gesichtstattoo ließ es nicht zu eine genaue Mimik zu erkennen und so war es für Nathan schwer einzuschätzen, in welcher Laune sich die Frau gerade befand. Sie hatte gelangweilt ihre Fingernägel begutachtet und angefangen mit der Machete den Dreck darunter herauszupopeln. Sie seufzte. >>Die verweichlichte Brillenschlange haben wir nach draußen geschickt um diese Kreaturen abzulenken. Immer wieder kommen ein paar von diesen Viechern hier rein. Wir brauchten Fleisch, um sie nach draußen zu locken. Nichts weiter. Was ist schon ein Leben gegen mehrere?<< Nathan bäumte sich nach vorne. Die Handfesseln schnitten in sein Fleisch. Hätte er die Kraft gehabt, hätte er mit dem Fuß wütend aufgestampft. >>Ihr habt WAS?! << Unbeeindruckt ließ die Punkerin von ihren Fingern ab und erhob nun ebenfalls eine Augenbraue, dabei zielte sie mit dem Gartengerät auf den Soldaten >>Beruhig dich Großer. … Du kannst ihm Gesellschaft leisten, wenn die nächste Welle anrückt. …<< Ein tiefes, männliches Knurren drang durch die Räumlichkeit. Seine blauen Augen stierten vor sich hin und fixierten eine ausgestellte Musterküche. Auch Nathan befand sich im selben Gebäudekomplex. Irgendwo inmitten eines Möbelhauses war er als Futter gehalten worden. Immer wieder ballten sich seine Fäuste und entspannten sich. Er wackelte und zerrte, der Stuhl unter seinem Hintern knarzte bei jeder Bewegung. Die Punkerin, sie musterte den Soldaten. >>Glaub nicht, das ich dich lebend hier raus lasse, wenn du etwas dummes versuchst.<< Er ignorierte ihre rauchige Stimme. Zähnefletschend warf er ihr einen Blick zu. >>Ihr Narren. Opfert Unschuldige um euch an euer eigen Leben zu ergötzen.<< Die halb kahlrasierte Frau erhob sich von ihrem Stuhl und wackelte mit langsamen Hüftschritt auf Nathan zu, woraufhin sie ihr Bein auf sein Gesäß stellte. >>Unschuldige?! Wir sind Diejenigen, die nach Hilfe suchend hier untergetaucht sind. Uns hatte man gesagt hier wäre man sicher bis Hilfe eintrifft. Wir vergammeln seit Tagen hier ohne Aussicht auf eine Flucht! Einige unserer Freunde sind drauf gegangen! Scheiß auf die Regierung und scheiß auf das System. Wir sind unser eigener Herr und wir machen die Regeln um zu überleben. Der stärkere gewinnt und diese Bestien sind es definitiv nicht! Also pass auf was du sagst.<< Sie drückte die Spitze ihrer metallenen Waffegegen die Stirn desSoldaten. Sein Kopf rauchte vor Anspannung. Er wusste nicht was er tun konnte. Robert war weg, Evelyn nicht aufzufinden und vor ihm stand eine Psychopathin, die ohne mit der Wimper zu zucken unüberlegte Dinge mit ihm anstellen konnte.


    Weit entfernt im Geschäft konnte man schweres Schnaufen zusammen mit schweren Schritten hören. Einer der Mitglieder bog zischend um die Ecke und erntete eine Menge Aufmerksamkeit. Er hielt sich an einer Küchenzeile fest und atmete tief aus. Die Punkerin ließ von Natahns Schoß ab, der innerlich aufatmete. Er versuchte seinen Kopf zur Seite zu drehen, doch es gelang ihm nicht das Mitglied in Augenschein zu nehmen. Die Punkerin zog mehrmals ihre Machete über ihren Rock, dann schulterte sie das Gerät. >>Was ist?<< Der junge Mann rang nach Atem. >>Monster!<< brachte er schließlich hervor. Die Frau zuckte mit den Armen. >>Na und? Knallt diese Mistviecher ab. Wozu habt ihr die Waffen?<< Der Jungspund verneinte die Aussage und fuchtelte mit den Armen. >>Nein, du verstehst nicht Jacky. Es sind nicht diese Kreaturen von draußen, es ist EIN Monster. Es streift in der Mall, es ist riesig, es ist fett.<< Die Punkerin legte ihren Kopf schief. >>Du bist betrunken oder?<< Nathan nutzte die Gelegenheit der Unachtsamkeit und biss sich auf die Unterlippe. Er stemmte sich mit aller Kraft die er noch zur Verfügung hatte mit seinen Beinen auf und ließ sich mit all seinem Gewicht zusammen mit dem knarrenden Stuhl auf den Boden fallen. Das Holz zerbarst in all seine Einzelteile unter seinem schweren Gewicht und geschickt rollte er sich zur Seite. Jacky, die gerade ihren Kopf zur Seite gerissen hatte, blickte auf den Soldaten, der murrend versuchte auf die Beine zu kommen. >>Scheiße man!<< Sie drückte die Machete am Griff fester zu, sodass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Mit ungezielten Schlägen versuchte sie den Soldaten frontal anzugreifen. Der Blondhaarige erinnerte sich an seine Ausbildung zurück. >>Ausfallschritt, Augenkontakt, Fäuste nach oben, reagieren …<< Beide vollführten sie einen absurden Tanz. Immer dann, wenn Jacky zuschlug, machte der Mann einen großen Schritt nach hinten, holte aus und preschte nach vorne um Jacky zu treffen. Für den Zweimetermann war es keine große Herausforderung eine schmale Frau mit null Waffenkenntnissen zu entwaffnen. Bereits als sie den nächsten Hieb ansetzte, rutschte der Muskulöse in einer geduckten Haltung nach vorne und schlug mit dem Ellenbogen in die Magengegend der Frau, die daraufhin mit einem tobenden Hustenanfall zusammenbrach. Die Machete flog ihr aus der Hand und rutschte ihrem Rücken hinunter. Nathan, der sie Aufhob, setzte die Schneide an ihrer Kehle an. >>Was ist schon ein Leben gegen mehrere?<< Er drückte fester zu. Süßer, roter Nektar transparierte auf der Schneide. Die Stimme des Soldaten wurde ernster, der Jungspund im Hintergrund wagte es nicht sich zu bewegen. Seine Beine zitterten, sein Blick war konstant fixiert auf die Show, die sich vor ihm darbot. >>Mach eine falsche Bewegung und ich schlag ihr den Kopf ab. … WO IST EVELYN?!<< Beide zuckten bei dem plötzlichen, stimmlichen Ausbruch zusammen und der junge Mann im Hintergrund wimmerte leise vor sich hin. >>S-sie ist mit Dregim Eingang des Geschäftes.<< Er zeigte in die Richtung in der er gekommen war. Der wuchtige Mann entfernte die Machete vom Hals der Frau, packte ihr Kinn und blickte tief in ihre Augen. >>Es überlebt nur der Stärkere, oder?<< Das luftzerschneidende Surren fraß sich durch die Atmosphäre und ein lauter, weiblicher Schrei fegte durch die beleuchteten Küchenzeilen.


    Der stämmige Mann setzte sich auf, warf seinen Blick zu dem nun kauernden Mann auf dem Boden. Er lockerte die Machete aus dem Boden die neben der Frau einschlug wie ein Gewitterhagel. Sein Ausdruck von Verzweiflung brach ihm das Genick. Sein ganzer Körper zitterte vor Anspannung und Angst. Er reagierte auf nichts mehr. Der Riese, der mit schweren Schritten sich auf den Jungen zubewegte, warf ihm einen drohenden Blick an die Nase. >>Man hat immer eine Wahl. Robert hatte eine. Kommt mir nicht noch einmal unter die Augen und das nächste was rollt, wird dein Kopf sein …<< Er sprintete los, folgte dem roten Teppich der die Richtung angab.





    Als Schizophrenie wird eine Gruppe von schweren psychischen Krankheitsbildern mit ähnlicher Symptomkonstellation bezeichnet.

    Im akuten Krankheitsstadium treten bei schizophrenen Menschen eine Vielzahl charakteristischer Störungen im Bereich der Wahrnehmung, des Denkens, der Ichfunktionen, der Affektivität, des Antriebs sowie der Psychomotorik auf. Häufig sind das sogenannte Stimmenhören sowie der Wahn, verfolgt zu werden, der Fall. Weiterhin kann es zum Gedankenlautwerden, Gedankenentzug oder zu Gedankeneingebung kommen. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität sind möglich …





    Oklahoma City: Einkaufs Mall
    >> 06.08.2024 Sa. 2:15 p.m.
    Evelyn Joule




    Was waren schon die Erniedrigungen im Gegensatz zum Verlust, der Leere, die die Frau in sich trug? Gefesselt in sich selbst, die Seile nicht an ihren Händen oder Füßen, sondern in ihrem Inneren? Was waren schon die Blicke, die Hände, die auf ihren Brüsten ruhten als würde jemand Äpfel vom Baum pflücken? Was war schon all die Müdigkeit, die Erschöpfung die in ihren leeren Augen lagen? Das alltägliche Leben betrachtend wie ein ewig währender und undurchdringlicher Kreis, dessen Bedeutung klar definiert war dieselbe Art des Schmerzes und der Leere in sich zu spüren Tag für Tag, immer und immer wieder das Gesicht ihrer Tochter und das ihres Mannes zu sehen, allgegenwärtig, alles wie in einem kurzen Clip, der sich immer wieder abspielte, zu durchleben? Gab es in dieser Aufgabe nur einen Sinn, täglich dieselbe Lethargie anzustreben sich nicht von diesen Monstern auffressen zu lassen? War es anders nicht besser? Gab es Antworten auf ihre Fragen die sich in ihren Synapsen festbrannten wie heißes Fett in einer Pfanne? Darüber zu philosophieren, liegend und gefesselt auf dem Boden, in sich selbst gekehrt, die surrende Deckenleuchte fixierend mit einem Schatten der sie anfasste, nur um festzustellen, dass sich nichts an all dem geändert hat? So biegt jeder Gedanke in eine tiefe Ecke in ihrem Bewusstsein, dessen Leere ihren ganzen Körper einnimmt. Im Geiste bog sie auf eine Einfahrt Richtung Garage, setze ihren Fuß auf den sandig verstaubten Fußboden dessen Schlaglöcher so tief wie ihre Hoffnung auf Veränderung war, getränkt mit dem letzten Abendschauer der sich über die Nacht hin ergoss. Das ekelhafte Tatschen, das aufseufzende Stöhnen. … Evelyn hatte nicht die Kraft um sich zu wehren, sich dagegenzuhalten. >> Was ist das Leben betrachtet im Gesamten ohne Erfüllung wenn am Ende des Weges der Sensenmann mit seiner glänzenden Sense vor der Tür wartet um dir Einlass zu gewähren? Sag mir das, Eve.<< sprach sie in ihrem Kopf zu sich selbst, rufend nach jemanden der sie verstand. Sie musste es aushalten, bis sie die Chance hatte etwas zu unternehmen. Die Minuten fühlten sich an wie Dekaden, selbst als das Gatter mit einem Ruck aufgerissen war und ein weiterer Typ hektisch etwas erwiderte, die Scham, die Hände von ihren Brüsten und Schenkeln wichen nur für einen Augenblick. Ihr müder Blick driftete nach und nach immer mehr in eine weite Ferne die sie nicht vermochte zu deuten. In ihr kochten Emotionen. Emotionen die keinerlei Bedeutung fanden. Die Vergangenheit mischte sich mit der Gegenwart, die Gegenwart wurde zur entfernten Zukunft ohne Zeit. Das Hier und Jetzt war so weit entfernt, dass es nicht einmal zum Ergreifen nahe war. Ihr Kopf hämmerte mit jedem Gedankenschlag auf ihre Schläfen, ihre Wange brannte wie Feuer, ihre Lider, so schwer wie Sandsäcke. Irgendwann schloss die Frau nur noch ihre Augen, in ihrem Geiste herrschte nach und nach Stille, bis eine Frauenstimme ertönte.


    >>Willst du aufgeben?<< Die Frage kam direkt, ohne zu zögern und traf inmitten ihrer Brust. Evelyn schüttelte ihren Kopf. >>Was willst du? Du hast mich nach all jener Zeit gerufen?<< Sie blickte eine hübsche Frau an. >>Beantworte meine Frage. Willst du nach all dem Aufgeben? Alles hinwerfen? Soll der Tod von Liz einfach so vergessen sein?<< Evelyn knirschte mit den Zähnen. Ihre grünen Augen trafen die ihres Gegenübers, ihr Spiegelbild reflektierte sich darin. Ebenfalls ein Grün wie auf einer saftigen Wiese, stierte mit einem kecken Lächeln auf den roten Lippen zurück. Viele Menschenstimmen flammten auf. Entfernte Musik die wie in den 40igern auf einem Klavier gespielt wurden umspielten den Raum. Scheinwerfer schlugen ein helles Licht auf die Bühne. Die Lokalität, sie war leer, doch war ein reges Getümmel zu vernehmen. Einzig und allein eine Frau ihres Alters saß auf einem roten Barhocker an der Theke, nippte an ihrem Whiskeyglas und sah verloren zu, wie sich die Eiswürfel darin in einem Klang selbst verschluckten. Ihr Kopf war gelangweilt übergebeugt, ihre Schultern streng an sich gezogen. Ihr seidig, am Ende gelocktes, schwarzes Haar, ihre roten Lippen, sie umspielten das geformte und geriffelte Glas, sogen den braunen Nektar des Alkohols in sich auf, bis ihre schmalen Finger um das Glas spielten. Sie warf ihren Kopf nach hinten. Ihr schwarzes Abendkleid zerrte an ihren Beinen als sie sich umdrehte und Evelyn ihren Augen fixierte, als sie das eine Bein über das Andere schlug, das Glas in die Hand nahm und sich am Tresen abstützte. Sie zuckte mit den Schultern, zündete sich eine Zigarette an und blies den angestauten, schwarzen Rauch tief aus ihren Lungen. >>Wer bist du?<< Die Frau an der Bar lachte auf. >>Wer ich bin? Es ist traurig, dass du mich nach all der Zeit in der du mich hier gefangen hältst nicht wieder erkennst. Ich bin du, sieht man das nicht?<< Wieder nahm sie einen Schluck, stand dann auf und steuerte mit grazilen Schritten auf ihren roten High Heels auf Evelyn zu. Ihre Nasenspitzen trafen sich im übertragenden Sinne, so nahwaren sie voneinander getrennt. Ihr frauliches Gegenüber zog ihre Augenbraun eng zusammen, sie betrachteten einander. >>Du kannst mich nicht ewig einsperren. Wir waren so ein gutes Team. Damals, als unser Vater uns verlassen hatte, war ich für dich da! Als unsere Mutter uns vernachlässigte, habe ICH auf dich aufgepasst! ICH hab dich erzogen! Wir haben uns erzogen! Im Krieg! In den Außeneinsätzen! ICH habe stets darauf geachtet das es DIR gut geht und wie dankst du es mir?!<< Die Stimmen im Hintergrund verstummten. Evelyn, sie wich einen Schritt zurück. Ihr Gegenüber trat einen synchronen Schritt nach vorne. >>OH nein Schätzchen. Nicht mit mir. Du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht ohne dich überleben kann und du mich brauchst, um deine Farce zu durchstehen. Warum hast du mich aufgegeben? Warum hast du mich in deinem Schädel eingesperrt, mir diese GOTTVERDAMMTEN KETTEN AUFERLEGT!? MICH ALLEIN GELASSEN?!<< Es wurde plötzlich stock finster. Ein paar Scheinwerfer warfen ein graues Licht auf eine Felswand an der die Frau gekettet war. Ihr zerzaustes Haar stand ihr in allen Abständen in ihr Gesicht, ihre roten Lippen verzerrt, ihre Schminke unter ihren Augen verwaschen. Sie lachte hysterisch. >>Glaubst du ernsthaft du bist allein überlebensfähig? Meinst du echt, dass es mir ausreicht eine théâtral zu spielen wenn du das Haus verlässt damit du deine Glückseligkeit ausleben kannst mit DEINER Familie und mich im Dreck liegen lässt weil ICH Diejenige bin die dafür sorgte das DU auf deinen Beinen stehen kannst? Meinst du ernsthaft der beschissene Job reicht aus um meine Vielfalt zu entfalten?! Glaubst du dieser kurze Moment dieses Chaos reicht aus mich frei zu lassen? Ist das die strebsame Freiheit nach der wir uns sehnen?<< Evelyn drückte ihre Hände gegen die Schläfe, sie schrie, doch aus ihrem Mund kamen keine Töne. Nichts. Stille. Sie viel auf ihre Knie. Ein lautes sprengen der Ketten zerriss die Luft in dieser Höhle dessen Umgebung so kühl wurde wie der Ausdruck im Gesicht ihres Gegenübers. Die langen Handketten schlurften wie Gespenster auf dem Boden. Das Ballkleid, es war zerrissen, ihre nackten Füße, dreckig. Sie kniete sich vor ihrem Selbst auf den Boden indem sie in die Hocke ging, umfasste mit beiden aufgeschürften Händen die zarten Wangen der weinerlichen Frau. >>Das hier ist meine Welt, Schätzchen. Ich mache die Regeln. Sie können auch für dich gelten, wenn du es zulässt mich endlich aus diesem Gefängnis zu lassen. Du hast mich gerufen, Evelyn. Hör endlich auf die Starke spielen zu wollen. Deine Gedanken und Selbstzweifeln bringen dich genau in diese Farce in der du dich befindest. Siehst du das nicht?<< Evelyn schüttelte immer und immer wieder ihren Kopf.


    >>Du hast mich erschaffen! Ich bin deine Seite die sich durch alles gekämpft hat! Zur Seite geschmissen hast du mich, als wir für untauglich erklärt wurden in unserer Einheit. Posttraumatische Belastungsstörung, das ich nicht lache! So ein verkackter Psychologe hat deinen Verstand verdreht! So sieht es aus. Ich bin REAL weil DU es so wolltest! Ich bin deine EVE. Weißt du nicht mehr? Du hast mich gerufen als du allein warst, ich bin gekommen! Jetzt hast du mich wieder gerufen als du deine Tochter verloren hast. Lass mich vollkommen FREI und nicht so halbherzig wie du es die ganze Zeit über versuchst. Du weißt da ist mehr, du fühlst es genauso wie ich. Es reicht nicht aus, dass ich deinen Job als Cop für dich erledige und du mit deiner warmherzigen Seite deine Mutterrolle kompensierst. Du kannst nicht zwei Seiten leben ohne die andere zu vernachlässigen. Mach es wie damals! Also nimm dich meiner an und überlebe in diesem Kampf!<< Ihre herrische stimme wurde labiler, wurde leiser. Sie umschloss nun mit ihren Armen Evelyn, die sich weinend um die Schultern ihres Selbst schlang. Ihr Rücken wurde getätschelt. >>Ich bin dir nicht böse. Eve ist da. Eve war immer für dich da und ich werde es auch immer sein.<<


    Schrotflintenschüsse ließen den Schatten aufschrecken, der mit seiner Zunge über das Schlüsselbein der Frau leckte. Ihre starren Augen, sie blinzelten, einmal, zweimal. Schließlich fixierten sie auf einen ruckartigen Schlag den Mann, der seinen Kopf zur Tür drehte. Das Gewicht wurde leichter und seine angewinkelten Beine auf dem Becken von Evelyn entfernten sich. Er stand missmutig auf und kaute auf seiner Unterlippe. Er zog seine Hose zurück auf seine Hüfte und knöpfte sie zu, während er sich zum Gatter bewegte. >>Scheiße was macht ihr da? Knallt diese Viecher doch endlich ab!<< Er streckte seinen Kopf aus der Tür und bewegte seinen Blick zuerst nach links, dann nach rechts. Ein plötzlicher, aufschnellender Schatten durchzuckte den Gang und man konnte nicht erkennen was passiert war. Der Punk, der mit seinem Oberkörper halb nach vorn heraus gebeugt die Lage Erkunden wollte, tat keinen Muchs mehr. Auf den Gängen konnte man ein lautes Brüllen vernehmen, das mit einem wildgewordenen Tiger zu vergleichen war. Der Punk, er sackte am Rautengatter zusammen und flog wie ein nasser Betonsack auf den Fußboden. Eine Fontäne nasser Flüssigkeit durchdrang seinen Hals und sein Kopf rollte von seinen Schultern hinweg auf den Flur der Mall. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Mund, weit geöffnet als würde er für den nächsten Akt in einer Oper singen, sein Herzschlag verstummt mit einem letzten Pochen. Ein sauberer Schnitt, nicht ansatzweise zu erkennen was passiert war, durchtrennte seinen Faden des Lebens.


    Schwere Schritte donnerten um die Ecke und Nathans Mähne war bereits in der Flurdunkelheit des Möbelgeschäftes zu erkennen. Er sah Evelyn, die regungslos auf dem Boden lag, die Hände hinter ihrem Kopf gefesselt sowie ihre Beine, die in einem aufrechten Winkel voneinander abstanden. Ihre Unterwäsche war zur Seite gezogen und ihr Top nach oben gerutscht, sodass ihre rechte Brust zusammen mit ihrem schwarzen BH zum Vorschein kam. Der Mann preschte auf die Frau zu. Seine Hände zitterten, seine Stimme war unkontrolliert. >>Oh mein Gott. Evelyn, was haben sie mit dir gemacht?<< Er schnitt mit der Machete die Fesseln durch und das erste Mal konnte sie spüren, wie das warme und angestaute Blut durch ihre Adern floss. Es kitzelte in ihren Beinen und in ihrem rechten Arm, das Gefühl in ihrer Linken blieb noch immer vollkommen aus. Sie setzte sich aufrecht und zog sich ihr Top zurück nach unten, ergriff die helfende Hand von Nathan und knackte mit ihrem Genick. Sie sprach nicht. Sie antwortete nicht. Einzig allein versuchte sie mit wackligen Schritten zur Leiche von Dreg zu gelangen, um das Gatter zu schließen. >>Bist du dir sicher wir schaffen das Eve?<<drang es durch ihr geistiges Ohr. Eve nickte stumm und Nathan betrachtete die Frau in der Ferne mit einem verwunderten Anblick. Das Gatter rutschte zurück ins Schloss. Das Tapsen auf dem Flur wurde lauter und lauter. Schlurfende Schritte hallten um die Ecke und wurden mit jeder Sekunde enger an die Gitterstäbe gepresst. Mit einem Schnalzen und Brechen von Fließen auf dem Boden, schnellte eine Kreatur vor das Gatter und krallte sich mit seinen riesigen Krallen seiner fleischigen Pfoten in den rautenförmigen Gitterstäben ein. Eve wich einen Schritt zurück. Das sabbernde Vieh bellte mit einem tigerartigen Gebrüll durch das ganze Geschäft und schnappte immer wieder nach der schwarzhaarigen Frau durch das Gitter, wobei seine abgeflachte Schnauze nicht hindurchfasste. Nathan packte die Frau am Arm und zog sie einen weiteren Schritt nach hinten. >>Vorsichtig!<< Warnte er. Beide stierten das Monstrum an und sogen jegliches Detail auf, das ihnen dargeboten wurde. Das Monster ähnelte nicht den Kreaturen, die draußen auf den Straßen herumliefen. Es hatte vier Beine wie ein Hund auf denen es lief. Seine Krallen waren allerdings exorbitant groß und an jeder Pfote mit einer Stückzahl von 3. Die Kreatur war gut 2 Menschen lang und 1 Mensch breit, ein halber Mensch hoch. Man konnte keine Augen erkennen oder irgendwelche Gesichtszüge, da das Fleisch an seinem kompletten Körper verbrannt und glänzend blutig war. Es besaß zwei schwingende Schwänze an dessen Ende ebenso eine Kralle hing. Sein Schädel war hervorstehend mit einer dominanten, eckigen Stirn. Sein Speichel tropfte sabbernd über die Gatterstäbe und befleckte den Leichnam, der auf dem Boden lag. Als das Vieh einen Satz nach hinten machte, donnerte es mit einer gewaltigen Wucht gegen das Gatter. Es versuchte dieses einzudrücken.


    Nathan sprang einen Schritt nach hinten. >>Ich glaube, dass diese Kreatur etwas intelligenter ist als diese Schleicher auf den Straßen.<< Wieder streckte es sich auf seine Hinterbeine, stieß ein tobendes Gebrüll hervor, bevor es erneut mit seiner Stirn gegen das Gatter lief. >>SCHNELL WEG!<< Nathan ergriff die Hand der Frau und lief in die Richtung zurück, in der sie gekommen waren. Im Hintergrund konnte man hören wie ein donnerndes knallen durch die Ecken flog und stampfende Schritte aufhockten. Ein lautes Schnurren kratzte durch den Flur und Nathans Füße liefen so weit wie sie ihn tragen konnten. Auch Eve sprintete dem Soldaten hinterher und schon bald bogen sie um die Ecke, wo Nathan zuvor gefangen gehalten worden war. Der Junge saß noch immer bibbernd auf dem Boden und die Frau hatte versucht sich zu fassen. Aufkeimende Wut durchzuckten ihre Lider als sie Nathan erblickte. >>ICH BRING DICH UM!<< Schrie sie in den Raum. Der Blondhaarige blieb für eine Sekunde stehen und blickte hinter seine Schulter. Das starke Schlagen auf dem Boden wurde lauter und lauter, schneller und schneller und er konnte sehen, wie die schwarze Kreatur aus dem Schatten heraus sprintete und zu einem Sprung ansetzte. Evelyn wurde von Nathan gepackt und zu Boden gerissen, die Kreatur schlitterte nur unkontrolliert an beiden vorbei und zerstörte aufgestellte Küchenzeilen der Vorzeigeküchen. Die Dunstabzugshaube und sämtliche Schränke flogen mit einem lauten Knall auf das Vieh und ein erneutes, dieses Mal, sehr verärgertes Gebrüll schlug die Trümmer zur Seite. Es peitschte mit seinen beiden Schwänzen unkontrolliert von einer Seite zu anderen, dabei hatte es Risse und Schlitzte in die Wand gerissen als bestünde diese aus Knetmasse. Eve, die sich gerade aufrappelte und auf beide Ellenbogen sich abstützte, betrachtete die Situation. >>Oh Gott oh Gott wir werden hier sterben.<< Eve fauchte kurz und zog angestrengt ihre Augenbrauen zusammen. >>Halt die Klappe, lass mich machen …<< entgegnete sich mürrisch und kleinlaut zu sich selbst. Nathan reckte seinen Kopf in Richtung der schwarzhaarigen Frau. Sein Ausdruck im Gesicht sprach Verwunderung die eher Ausdrücke: >>Hast du was gesagt?<< Mit einem großen Hops hatte sich das Wesen aus der Ecke befreit, den jungen Mann auf dem Boden fixiert der schreiend die Fassung verlor. Das peitschen der Schwänze wirbelte die Luft im Raum auf und durchschnitt sie, als würde man Butter zerteilen. Gerade, als er aufstehen und losrennen wollte, durchbrach ein weiterer, grotesker Schrei die Mauer und die Kreatur bohrte sich hüpfend mit seinen vorderen Krallen in den Rücken des Jungen, trampelte ihn dabei zu Boden. Sein gurgelnder Schrei wurde mit einer heranbrechenden Flut von Blut aus seinen Lungen unterbrochen, bis die Kreatur sein gewaltiges Kiefer um seine Schläfen legte und zudrückte, ihm den Kopf abbiss.


    Nathans Augen standen genauso weit offen wie es sein Mund war. Er konnte nichts tun, er lag regungslos auf dem Boden und ergötzte sich an diesem Schauspiel in erster Reihe. Eve fixierte im Hintergrund eine silberne Tür dessen grünes Warnschild auf einen Feuerausgang hindeutete. Sie ruckte seine Schulter mehrmals von einer Seite zur anderen und zeigte stumm auf das Signalfeld. Die Punkerin hingegen war alles andere als ruhig. Sie fiel mit ihrem knappen Rock auf ihren Hintern und versuchte die ganze Zeit mit einer Hand nach hinten zu robben. Die Kreatur ließ malmend von seinem zweiten Opfer ab. Langsam tastete es sich peitschend voran und legte seinen entstellten, schrägen Kopf schräg. Seine Krallen am Schwanzende durchdrangen noch immer peitschend sämtliche Kücheneinrichtungen und Tische, schnitten hindurch als wären sie aus Papier, bis er schließlich vor der Punkerin Halt machte. Er öffnete sein großes Maul, ein erneutes Brüllen zerfetzte die Luft mit seinem angestauten, fauligen Atem, dann flog ein Krallenschwanz nach vorne und durchstach ihren Hals ohne Widerstand.


    Diese Situation nutzte die schwarzhaarige Soldatin aus um sich aufzustemmen. Sie lief in die Richtung der Tür und patschte mit ihren nackten Füßen über den aufgewellten Stoffteppich, der vorhin als Rutschbahn für die Kreatur diente. Sie öffnete angestrengt die Tür mit einem lauten Knarren und eine Sekunde später, war das Gebrüll des Monsters bereits an die nächsten beiden Opfer gerichtet. Nathan spurtete ebenfalls los, genauso wie es das Monster tat. Es hopste mit einem gewaltigen Schritt nach vorne und holte Nathan dabei auf halben Weg ein. Er schrie. Er schrie alles aus seinem Leib was er konnte und seine Muskeln brannten wie Feuer, als er so schnell spurtete wie er nur konnte.Synchron hechteten beide Wesen in die Luft und versuchten ein unterschiedliches Ziel zu erfassen. Eve stand bereits im Treppenhaus und wartete darauf, bis sie die gewaltige Metalltüre schließen konnte. Nathan, der sich gerade in der Luft befand, hielt seine Arme schützend vor sein Gesicht. Er presste seine Augen so stark zusammen, sodass sich seine Stirn in Falten legte. Das Monster, ebenfalls in der Luft, holte mit seiner großen Pranke aus und versuchte den stämmigen Mann zu erhaschen. Seine Krallen durchschliffen das schwere Metall der Türe, die vor seiner Nase zugezogen wurde und Nathan, der schwer auf dem Boden aufkam und mit einem Blick das gesamte Treppenhaus betrachtete, stöhnte schmerzverzerrt auf. Beide wogen sich für einen Augenblick in Sicherheit, dann beulte sich die Tür ein. Das Treppenhaus verstärkte den metallenen Aufschlag um ein vielfaches und er durchzuckte jeden Winkel der Treppen. Pause. Wieder donnerte es wie wild auf und dieBeule in der Tür wurde größer. Noch einen Angriff würde sie nicht überstehen und beide Überlebenden wären gefundenes Tigerfutter.

  • Eine Frau steht mit ihren Enkelinnen am Feuer und erzählt:


    „In mir wütet ein Kampf zwischen zwei Wölfinnen. Die eine Wölfin besteht aus Wut, Eifersucht, Habsucht, Größenwahn, Schuld, Lügen, Stolz, Minderwertigkeitsgefühlen, Überheblichkeit und Eigennutz – und so geht diese mit sich selbst, allen Wesen und der Natur um.


    Die andere Wölfin ist Freude, Friede, Liebe, Gelassenheit, Selbstvertrauen, Freundlichkeit, Freigebigkeit, Mitgefühl – und so geht diese mit sich selbst, mit allen Wesen und der Natur um.



    Auch in euch, meine Kinder, wütet dieser Kampf.“


    Eine Enkelin fragt nach einer Weile: „Und welche Wölfin wird gewinnen?“ Die Alte lächelt und sagt: “Die Wölfin, die du fütterst.“




    Kapitel VI


    1 Tag nach dem Day-Z:
    Oklahoma City: Einkaufs Mall
    >> 06.08.2024 Sa. 3:15 a.m.
    Evelyn Joule




    Der eiskalte Stahl des Treppengeländers bohrte sich in den Rücken beider Fliehenden, während sie mit stockendem Atem noch immer die Sicherheitstür betrachteten. Das Echo verhallte im weißen Treppenhaus des Gebäudes und legte sich wie Schnee auf die Treppen. Evelyns Ohren rauschten und ihr Herzschlag machte sich auf ihrer dicken Wange bemerkbar. Nathan, er rappelte sich auf und drückte sich ebenfalls schützend an das Geländer. Beide Soldaten waren aneinander gepfercht. Die Machete schützend vor sich haltend, vibrierte zitternd in seiner Hand. >>Hat es aufgegeben?<< Flüsterte sie unsicher in Nathans Richtung, der noch immer die Tür im Auge behielt. Die Sekunden verstrichen wie Jahre. Beide hatten sie ihr Zeitgefühl durch das anstauende Adrenalin verloren. Nichts. Kein Klopfen kein Donnern. Die Bestie war verschwunden.


    Noch eine Sicherheitsminute gewartet, stießen sie beide einen angestrengten Hauch in das kalte Treppenhaus. Eve warf sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr die sofort wieder ins Gesicht fiel. >>Verdammte Axt. Was war das denn?<< Nathan zuckte behaglich mit seinen Schultern. Er war nicht in der Verfassung eine Antwort auf diese Frage zu geben. Die Schwarzhaarige drückte ihre Handfläche auf die Stirn und legte ihren Kopf zurück in den Nacken, presste ihn auf das Geländer und schloss dabei die Augen. >>Wenn es mehr von diesen Dingern gibt, sind wir geliefert. Jetzt waren die Schleicher schon ein Problem, aber Monster mit Intelligenz. …<< Sie schluckte und stemmte sich auf ihre nackten Füße. Ihr blick fiel auf eine Tafel die an der Wand angebracht war auf der eine Karte des Gebäudes gezeichnet war. Mit ihren Augen flog sie über die eingezeichneten Linien und betrachtete den roten Punkt mit der Aufschrift: „You are here“ Sie tippte mit dem Finger darauf. >>Wir sollten Robert suchen und unsere Ausrüstung zurückholen. Wenn wir über die Tiefgarage den Südausgang benutzen, müssen wir nicht durch die Mall hindurch. … << Sie blickte prüfend zu Nathan der sich ebenfalls auf wackligen Beinen aufgestellt hat. Er schüttelte mit dem Kopf. >>Robertbrauchen wir nicht zu suchen. Diese Irren haben ihn geopfert um eine Welle Schleicher abzuhalten in die Mall zu dringen. …<< Seine Stimme hatte die letzten Stunden über Kraft verloren. Seine Selbstsicherheit war gespickt von Zweifeln und den Bildern von Ereignissen, die sich zugetragen haben. Er verstand die Welt nicht mehr und umso mehr die Zeit auf der Uhr verstrich, umso mehr nahm ihn das Theater mit. Evelyn nickte schwer. >>R-Robert ist tot?<< Ihr Spiegelbild auf der Glasscheibe der Karte schlug die Hände über ihren Kopf zusammen, ersichtlich geschockt von der Nachricht. Eve hingegen, sie ging auf den Verlust nicht weiter ein und presste ihre flache Hand auf die Glasfront der Karte, um Evelyn nicht dabei anzusehen wie sie in Panik ausbrach. Sie schloss ihre Augen und wandte sich zu Nathan, lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme so gut es ging. >>Wenn wir in den Securitiy Bereich gelangen, könnten wir über die Überwachungskameras herausfinden was sich in der Mall abspielt. Danach können wir entscheiden, ob wir den Plan über die Tiefgarage riskieren. Deal?<< Nathan war es egal. Er funktionierte nur noch als Werkzeug. >>Der Service und Security Bereich liegen in der oberen Hälfte im dritten Stock des Gebäudes. Wir befinden uns hier im ersten Stock.<< Sie sah über das Geländer hinauf an die Decke, dessen spiralen förmigen Treppenstufen aussahen wie ein Labyrinth, das es zu bewältigen galt.


    Die Schwarzhaarige setzte einen nackten Fußtritt auf die ersteTreppenstufe. >>Eve? …<< Ertönte es bassartig monoton im Hintergrund. Die Soldatin hielt inne, schwenkte ihren Kopf zur Seite. Sie hob eine Augenbraun. >>Was ist?<< entfuhr sie eher genervt. Nathan bewegte sich auf Evelyn zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. >>Alles in Ordnung mit dir? Ich meine. … Dieser Kerl . … Er.<< Sie pfiff einen leisen Ton über ihre Lippen und winkte die Situation ab. >>Ach Papperlapapp. Es ist nichts passiert und dieses Feilchen verheilt wieder. Kein Grund zur Aufregung.<< Sie neckte den 2 Metermann und schlug sanft mit ihrer Faust auf die Schulter des Soldaten. Sie setzten ihren Gang fort. >>Ok … Aber wenn du re-<< Eves Stimme hallte nun lauter und wie ein kleines Kind durch das Treppenhaus. >>Neeeiiiiiin …. Will ich nicht und jetzt weiter! Ich frier mir die Füße ab …<<


    Wenige Minuten später hatten die beiden den dritten Bereich des Gebäudes erreicht. Nathan stemmte sich gegen die Glastür um sie leise zu öffnen. Er warf einen prüfenden Blick in den langen Flur, der sich wie ein aufgeteilter Bürokomplex zusammen mit den Standard Flurteppichen von links nach rechts zogen. Alle paar Meter waren Türen mit Schildern versehen. Hier oben waren die Serviceabteilung, die Büros und Verwaltungseinrichtungen. Sein Blondschopf lugte hervor, dann winkte er die Frau hinter sich in den Flur. Er war leer. Die Geräuschkulisse beschränkte sich auf das langsame Traben der beiden wie sie prüfend versuchten alle Schilder zu lesen, um die richtige Tür zu finden.Das ganze Gesuche erinnerte die beiden eher an eine alte bekannte Spielshow im Fernsehen, dessen Ziel es war Preise hinter verschiedenen Türen zu finden, hinter denen sich keine Niete befand. Erriet man die richtige Tür, durfte man den Preis dahinter behalten.


    Evelyns grazile Finger umschlossen eine silberne Türklinke und drückten diese nach unten. Die Tür sprang aus ihren Angeln und glitt mit einem sanften Druck nach innen auf. Es brannte Licht an der Decke und der helle Schein legte sich wie ein Vorhang über die matten Augen der Frau. Mit vorsichtigem Blick musterte sie Nathan, zeigte mit einem ausgestreckten Finger auf die Tür. Er nickte und schloss zu Evelyn auf. Mit einem Ruck zog der Soldat sein Bein zurück und trat die Tür nach innen auf. Sie sprang mit einem tosenden Blitz zur Wand auf und hinterließ bröckelnde Spuren. Der Soldat preschte mit der Machete in den Raum und auch Evelyn hatte sich neben ihn aufgebaut. Der Raum, er war menschenleer. Die Monitore flatterten verschiedene Szenen auf ihren Bildschirmen und zeigten die Mall in all seinen Fassetten. Nathan bewegte sich auf die Bildschirme zu, während Evelyn sich den Raum näher ansah. Ein großer, weißer Campingtisch war an der Wand aufgebaut auf dem vielerlei Zeug lag. Stühle standen in einem großen Halbkreis darum. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes war eine große Ledercouch aufgebaut, auf der ebenfalls viel Zeug lag. Viele Klamotten, Munition, Waffen, Vorräte. Alles was die Bande gesammelt hatte lag hier im Raum verteilt auf einem Haufen. >>Jackpot<< Entfuhr es der Frau und sie schloss hinter sich die Tür.


    Mit grazilen Schritten bewegte sie sich auf die Couch zu und durchwühlte die Sachen. Tatsächlich fand sie ihre Klamotten, Schuhe sowie ihren Rucksack, der allerdings leer war. Mit wenigen Handgriffen schlüpfte sie in ihre Hose, stülpte sich ihre Socken über ihre kalten Füße und zog ihre schwarzen Stiefel fest an ihre Knöchel. Ungeachtet dessen, was noch für Klamotten herumlagen, zog sie ihren Rucksack aus dem Stoffbündel hervor und fing an die Vorräte einzusacken. >>Guck mal Eve.<< Nathans Stimme klang ernst. Er tippte mit seinem Finger auf einen Monitor dessen Oberfläche Wellen schlug. >>Die Tiefgarage wäre tatsächlich eine Option. Nur wenige Schleicher sind unterwegs die wir umgehen könnten. Die Haupthalle hingegen ist voll von diesen Dingern. Die Kreatur muss sie wohl hereingelassen haben.<< Er schwenkte mit seinem Blick auf den Bildschirm links von ihm, dann auf den darüber. Evelyn kratzte sich am Kopf. >>Von diesem Mistvieh was entdeckt?<< Der Blondhaarige schüttelte verneinend seinen Kopf. Das machte die Situation nicht weniger entspannend.


    Die Soldatin wandte sich wieder dem Tisch zu und wühlte durch dessen Inhalt. Unter verschiedenen Munitionstypen die dort ausgeschüttet waren, befanden sich Evelyns Revolver und eine weitere Handfeuerwaffe, die sie Nathan entgegenwarf. Eine doppelläufige Schrotflinte zusammen mit ihrem Scharfschützengewehr stand in der Ecke des Raumes. Von Nathans Sturmgewehr fehlte jegliche Spur. Sie überprüfte die Kammern nach Munition, die einzelnen Verschlüsse auf Funktionalität und ließ mehrere, leere Schüsse mit einem Klacken in den Raum hallen. Nathan, der sich ebenfalls eine Tasche holte und diese mit Munition sowie Vorräten auffüllte, schnappte sich die Doppelläufige und seufzte breit. >>Sollen wir warten, oder losgehen? Wie geht’s dir?<< Evelyn konnte nicht verbergen, das sie erschöpft war. Alles in ihrem Körper schrie förmlich danachzu schlafen. >>Mir egal, wir können weiter oder auch hier bleiben.<< antwortete sie eher platt. Der Soldat nickte verständnisvoll und legte den Rucksack zurück auf den Boden. >>Dann lass für ein paar Stunden hier verweilen. Wir verriegeln die Tür. Sollten etwaige Mitglieder der Gang überlebt haben und hier herkommen, dann sind wir auf jeden Fall bewaffnet.<< Müde nickte die Frau angestrengt und bewegte sich auf die Couch zu. Mit einem Ruck schmiss sie sämtliche Stofffetzen und Klamotten auf den Boden und legte sich entspannt darauf. >>Wir sollten Wache halten. Weck mich in ein paar Stunden, dann übernehme ich die Schicht, klar?<< Der Soldat zwang sich zu einem Lächeln. Wenigstens sprach die Vernunft nun aus dem Mund der Frau was ihm ein wärmendes Gefühl in seiner Brust ausbreiten lies. Er setzte sich vor die Monitore und begutachtete das Spektakel was sich vor ihm offenbarte.

  • Kapitel VII



    1 Tag nach dem Day-Z:
    Oklahoma City: Einkaufs Mall
    >> 06.08.2024 Sa. 09:15 a.m.
    Nathan Brook




    Die Surrenden Bildschirme und das teilweise flackernde Licht an der Decke hatten ein einschläferndes Echo verbreitet, was dem Mann die Müdigkeit und Erschöpfung in die Augen trieb. Er konzentrierte sich so gut es ging auf die Bildschirme, dochirgendwann erinnerten ihn die Bilder auf den Monitoren an ein schlechtesMemory Spiel, dessen Kartenbildern sofort vergessen worden waren, sobald man sie umdrehte. Das starre Ticken der Uhr an der Wand des Raumes ließ nach jeder Sekunde ein unüberhörbares Echo in seinen Ohren aufklingen, das ihn versuchte in einen Abgrund des Schlafes zu reißen. Nathan wollte sich nicht ausruhen. Erwollte der Frau all die Kraft gönnen die sie brauchte. Nathan war ein starrköpfiger junger Mann, der sein Wohl immer gegenüber einer Frau in den Schatten stellte. Sein Blick wanderte öfters zur schlafenden Evelyn, die mit ihren roten Lippen und ihrem schwarzen Haar wie Schneewittchen auf der Couch lag und darauf wartetewachgeküsst zu werden. Verträumt hatte der Mann seine Hände an sein Kinn gelegt und sich darauf abgestützt, bis er selbst realisierte, welche Fantasie sein Kopf gerade versuchte auszuhecken. Er schlug sich einmal leicht auf die Wange, schüttelte angestrengt seinen Kopf. >>Bleib cool Großer. … << Er überprüfte noch einmal die verschiedenen Szenen auf den Bildschirmen und glich sie mit den Bildern in seinem Kopf ab, die er so gut er konnte abspeicherte. Memory …


    Nach einer kurzen Zeit setzte sich der Koloss in Bewegung. Die Uhr ander Wand zeigte paar Minuten nach 9 an was für ihn der Indikator gewesen war, dass es bereits hell draußen sein musste. Er bewegte sich langsam zur Tür und schob den Campingtisch unter der Klinge zurück. Aus seinem Holster am rechten Bein zog er die schwarze Handfeuerwaffeheraus und ließ den Schlitten einmal nach hinten gleiten. Er drückte das Magazin in die Vorrichtung und ließ mit einem Knopfdruck den Schlitten zurückspringen. Mit leisen Schritten huschte er hinaus in denFlur und warf einen Blick zuerst zur linken, dann zur rechten Seite des Ganges. Die Teppichflusen unterdrückten jeden Auftritt seiner gewaltigen Sicherheitsschuhe wie ein schleimiger Moorboden tief in einem vergessenen Waldstück.


    Nathan wandte sich an die linke Seite des Ganges und schlich an der Wand gedrückt an einen Raum nach dem Anderen vorbei. Irgendwann passierte er eine große Doppelflügeltür mit zwei großen, kreisrunden Fenstern darin. Er drückte die Tür seicht auf und setzte einen Schritt auf einen braunen Holzboden. Seine Erschöpfung ließ seine Wahrnehmung verschwimmen. Seine Augen brannten und trieben ihm rote Äderchen in den Augapfel. Seine Schritte wurden mal zu mal schwerer und schwerer und er bemerkte, wie seine Oberschenkel brannten wie Feuer. Er wischte sich einmal über die Stirn und legte eine Hand pausierend auf eine Stuhllehne im Saal. Seine blauen Augen streiften über jedes kleinste Detail, über jedes schlecht gemalte Gemälde, um von den gelben Fettflecken an der sonst so weißgrauen Wand abzulenken, von den Tischen und Stühlen, dessen tiefe Furchen größere Geschichten erzählten als es eine gesamte Bibliothek es konnte, über das ausgeblichene und zerkratzte Edelstahl an der Theke, hinweg zur Essensausgabe, in der Hoffnung einen Schleicher frühzeitig zu bemerken, wenn sich hier oben einer verkrochen haben sollte.Die Stille lag so schwer im Raum wie es die toten Gegenstände taten. Es schien alles so friedlich. Die Stühle standen allesamt auf den Tischen umgedreht mit den Füßen nach oben. Alles war sauber und durchgefegt. Die Kantine war menschenleer. Nathan vernachlässigte seine Deckung noch immer nicht und richtete seine Aufmerksamkeit nun auf die großen Glasfenster, die ein Szenario der Hölle auf den Straßen von Oklahoma City offenbarten. Über Nacht war das unwirksameChaos schlimmer geworden. Die Schleicher wurden mehr, die Trümmer unzählbar, die Rauchschwaden eine einzige, dicke Wand aus einem auffliegenden Grau.Gelblicher Dunst schlichtete sich zu einem seltsamen Nebel zusammen. Nebenstehende Häuser brannten, und er konnte sich bereits ausmalen wie das grausame Echo, das gurgelnde Speien und die schlurfenden Schritte durch die Gassen zogen und das nächste Opfer in sich aufsaugten, als wären die Lebenden nichts weiter als Wasser auf einem trockenen Schwamm. Ein weiterer Schritt hatte zur Folge, dass die Doppelflügeltür mit einem rotierenden Schwung zufiel. Angespannt wie der Soldat war, wuchtete er seine Waffe zurück, drehte sich komplett um und hielt seinen Finger am Abzug, beobachtete mit Erschrecken und einem Adrenalinrausch, wie die Türen einen Tanz vollführten, bis sie zum Stillstand kamen. Er atmete einmal tief durch. Schweißperlen hatten sich mittlerweile auf seiner Stirn gebildet, die zusammen mit dem alten Blut in seinen blonden Strähnen begannen zu verkleben.


    Sein schwerer Gang zog vorbei an den Tischen, hinüber zur Theke. Etwas zwickte in seinen Oberschenkel und der Druck baute sich immer mehr auf. Ein lautes Scheppern, ein schweres Donnern und ein langgezogener Hallzog seine vollkommende Aufmerksamkeitmit einem Riss seines Nackens auf die Stühle neben ihm, die vom Tisch fielen als er daran hängen blieb. Seine Waffe zitterte auf den weißen PVC Bezug des Stuhles und der schwarze Lauf war bereits bereit eine Kugel abzufeuern. Es dauerte einige Sekunden bis sein Adrenalinrausch abgeklungen war und seine Ohren nicht länger von seinem Herzschlag dominiert waren. Sein Puls war auf 180, seine eingefärbten, roten Augen schwangen von einer Seite zur nächsten, immer gefolgt von seinem Lauf der die Richtung bestimmte. Nichts. Nur das Ticken der Uhr an der Wand vollführte seine Grausamkeit die Stille im Saal zu unterbrechen. Langsam lockerten sich seine Muskeln. Das Blut schoss zurück in alle Glieder und hinterließ ein unangenehmes Kribbeln. Er wandte sich mit seinem Schnauben, das von einem Pferd stammen konnte, Richtung Tür die in die Küche führte. Wieder drückte er diese sanft auf und spähte vorsichtig durch den Spalt. Nichts. Als er sich sicher war, ging er mit dem Lauf voran, zielte ruckartig in alle Ecken und Kanten der Küche, bis er seine zweite Hand von der Waffe nahm.


    Er öffnete die Türen der Schränke hektisch, holte einen großen Putzeimer hervor und stellte diesen auf dem Herd ab. Wieder wandte er sich Ruckartig an einen Schrank. Er legte die Waffe auf eine Arbeitsplatte ab. Das beschlagene Edelstahlgehäuse des Kühlschrankes verwischte sein Antlitz in dessen Kratzer. Mit einem Surren sprang das Innenlicht des Kühlschrankes an und beleuchtete in einem gedimmten Licht den spärlichen Inhalt. Ein paar halb geöffnete Konserven und geöffnete Milch- sowie Saftpackungen, standen in einer Abseite tief vergraben zwischen Obst und Gemüse. Nathan griff sich ein paar Lebensmittel heraus, legte sie in den Eimer und schloss den Schrank wieder. Prüfend blickte er um sich. Noch immer war der Raum, bis auf ihn, menschenleer. Mit einem Klick war das Gefrierfach geöffnet und der Soldat bediente sich an einem Küchentuch, welches er wie ein Beutel zusammenknöpfte. Er löste ein paar Eisreste und wickelte diese in das Tuch, verschnürte das Paket fest und griff nach dem Eimer mit dem Essen. Geräusche. Undefinierbare, zerrende Geräusche draußen in der Halle. Der Soldat warf sich auf den Boden und drückte seinen Rücken gegen die Edelstahlschränke, die offene Theke über seinem Kopf. Er presste die Lebensmittel eng an seinen Oberkörper, hatte die Beine fest angezogen. Sein Puls raste erneut und sein Körper rebellierte immer mehr. Die Schritte wurden dumpfer, sie wurden lauter. Hinter ihm baute sich eine Anspannung auf die ihm eiskalt den Rücken hinunterfuhr. Seine Waffe. Wo war sie? Das Pochen wurde lauter. Es war unmittelbar hinter ihm. Der Soldat duckte sich mehr. Sein Hals grub sich in sein T-Shirt, seine blutbefleckte, goldene Mähne spitzte ungepflegt halb über die Arbeitsplatte. Was sollte er tun? Er stellte leise den Eimer zur Seite, beugte sich über und ging auf die Knie. Wieder das regelmäßige Pochen. Es durchdrang Mark und Bein, zertrümmerte jeden Gedanken in seinem Kopf und zerfetzte diesen in tausend Stücke. Sein Mund wurde trocken, sein Adamsapfel zuckte mit jedem Schluck. Mit einem schnellen Voranpreschen jagte er seine Füße auf den Boden und stemmte sich von den Fließen ab. Er rannte zu seiner Waffe und versuchte sie zu erhaschen. Er blickte nicht nach hinten. Er versuchte das Geräusch erst gar nicht zu entziffern. Er wusste nur, wenn er sich Zeit lassen würde, wars das für ihn. Das bedrohliche Pochen wurde lauter und lauter, immer unregelmäßiger. Seine Hand griff nach dem schwarzen Tod neben dem Kühlschrank und seine Fingerspitzten berührten das Magazin, brachte die Waffe ins Drehen doch greifen konnte er sie nicht. Seine Oberschenkel setzten zu einem Krampf an und Nathan flog mit vollem Übergewicht auf den Boden. Die Waffe, sie rotierte halb über die Kante und blitzte hervor. Sie wackelte. Wackelte wie eine Wippe auf einem Kinderspielplatz. Vor, nach hinten, vor, nach hinten. Sein Blick versteifte sich auf das Gerät das sein Leben bestimmen sollte, konnte von unten nicht sehen, was sich von der Theke aus auf die Tür zubewegte, da das Pochen nun immer dominanter wurde. Das Wippen hatte sich nun ausgependelt, die schwarze Glock, den Schwerpunkt verlagert. Mit einem leisenZischen rutschte sie in Zeitlupe über die Kante und fiel dem Soldaten direkt in den Schoß, woraufhin er diese schnappte und zittrig auf die Tür richtete. Er biss sich auf seine Lippen. Ein fauliger Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. >>Komm schon … Komm schon …<< dominierte seine Gedanken. Nichts. … Das Pochen wurde regelmäßiger, es wurde mal zu mal leiser. Niemand drückte die Tür auf, niemand versuchte hereinzukommen. Nathan war wie gelähmt, noch immer hatte er die Haltung auf dem Boden nicht geändert. Noch immer schrie alles in ihm förmlich die Stellung zu behalten. Als auch nach einer ganzen Weile nur das Ticken der Uhr von draußen zu hören war, löste er sich langsam und ging geduckt zum Tresen, setzte seine Waffe auf und blickte durch den Ausgabeschlitz. Nichts …


    Sein skeptischer Blick wandere von einer Seite zur nächsten, überflog die leeren Tische, die leeren Stühle, die ruhige Tür am Eingang, die sich nicht bewegte. Er spähte über die Theke auf den Boden. Noch immer war kein Monster oder ein Schleicher zu sehen. Was war es dann was er hörte? Einbildung? Er packte den Eimer mit seiner Linken am Henkel und drückte die Tür zum Saal sanft auf, lugte heraus als würde sein Leben davon abhängen. Noch immer hatte sich die Räumlichkeit nicht geändert. Ein eisiger Hauch zog durch ein offenes Fenster und zumal war wieder das Pochen zu hören. Nun konnte auch der Soldat erblicken, was diesen dumpfen Schlag verursachte, der mal weniger rhythmisch, mal mehr war. Das durchsichtige Jalousiestäbchen des offenen Fensters wurde mit dem aufbäumenden Wind jedes Mal hinfortgetragen, sodass es mit einem Schwung gegen die Glasscheibe donnerte. Noch immer zielte sein Lauf auf das Fenster, bis seine Anspannung plötzlich komplett von seinen Schultern fiel. Müdigkeit ersetzte nun wieder das Adrenalin in seinem Körper. Er machte eine kurze Pause, drückte den kalten Lauf gegen seine Schläfe. >>Mach dich nicht verrückt. Es war ein verschissenes Fenster. …<< Er war sich nicht sicher wie lange er dem Ganzen noch standhalten konnte. Es war ein unausgeglichener Druck, eine Bürde, die nun an jedem haftete und nicht abfallen wollte. Nur zögerlich und sich selbst nicht vertrauend, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die doppelte Tür, bis er den Weg zurück ins Büro einschlug, in dem Evelyn schlief.


    Zurück in Sicherheit und mit einem wachsamen Auge zuerst auf die Monitore blickend, versuchte er einzuschätzen wie sich die Situation nun verhielt. Noch immer war keine Veränderung wahrzunehmen. Die Schleicher verteilten sich in einer seelenlos ruhigen Manier in der Mall während Evelyn ihren Schlaf der Gerechten führte. Er verschloss die Tür, stellte den Tisch zurück unter die Klinke und setzte sich auf den schwarzen Bürostuhl, dessen Rollen sich in den Teppich fraßen unter seinem Gewicht. Den Eimer hatte er auf den Schreibtisch gestellt und das Bündel mit dem Eis hervorgeholt. Langsam und sachte, legte er es auf die angeschwollene Wange der schlafenden Schönheit, dessen Ausdruck von Schmerz und Wut gepeinigt war. Nathan fragte sich, welche Geschichte die Frau mit sich trug. Wie sie gezeichnet war vom Leben und das, obwohl er sie nicht mal gegen Anfang 30 schätzte. Ihre Art, ihre Handlungen, Entscheidungen und auch die Konsequenzen die sie aus ihren Taten zog, gepaart mit dem jungen und vollkommenden Gesicht, war für ihn ein Ding der Unmöglichkeit eine genaue Alterszahl zu schätzen. Seine Augen flogen über ihre sanften Lippen hinweg zu ihrer Hand, die gerade im Schlaf an ihre Stirn andockte. Er betrachtete den Silber-Goldbraunen Ehering, der ihren Finger zierte. Ein mulmiges Gefühl löste diese Erkenntnis in ihm aus. Er hatte die Ex-Soldatin noch lange betrachtet, sich immer wieder vor die Augen gerufen wie sie im Wohnzimmer saß, nicht ansprechbar, vollkommen apathisch. Als hätte sie bereits mit Allem und Jedem abgeschlossen. Er verglich die Person die nun vor ihm lag, das Bündel an Kraft, das nicht aufgeben wollte, das um jeden Preis ein Ziel verfolgte. Er war neugierig was es für ein Ziel war, denn viel sprach die Frau nicht. Eigentlich wusste er gar nichts von ihr. Seit Anbeginn hatte sie angefangen ihn herumzukommandieren. Sie gab den Ton an und auf einer anderen Seite war ihr alles egal gewesen. In der kurzen Zeit hatte er sie bereits in vielen unterschiedlichen Schichten kennengelernt. War das normal? War das was draußen auf den Straßen herrschte das Resultat dessen, was es mit einem Menschen machte? Er beugte sich über und faltete seine Hände, der Stuhl knarrte dabei. Seinen Blick, er hatte ihn noch immer nicht abgewandt. War sie verrückt? Nathan erinnerte sich an die Wortfetzen, an die kurze Unterhaltung im Auto. Sie wusste irgendetwas. Er seufzte kurz und resignierte in kurzen Abständen selbst seine Erinnerungen. Viel gab es nicht zu sortieren. Nathan war ein Heimkind. Frau oder Kinder hatte er keine und seine einzige Arbeit bestand darin dem Land zu dienen und für Sicherheit zu sorgen.Das was ihm fehlte, die emotionale Bindung zu etwas, das interessierte ihn bei anderen Menschen aus dem Grund umso mehr. Er war Beobachter. Ein stiller Koloss der selten in Rage geriet, was man an seinem Äußeren gar nicht einschätzen konnte. Evelyn war eine Person, wie er empfand, die man nicht einschätzen konnte. Gefährliches Wasser, das mit einem Steinschlag zu viele Wellen schlug. Impulsiv. Von einer Sekunde auf die Andere ein anderer Mensch. Zuerst resignierend, dann auftreibend stark. Er streckte eine Hand hervor und irgendwie hatte er das Bedürfnis ihr eine Haarsträhne von ihrer Stirn zu wischen. Dieses tiefe, glänzende Schwarz. Konnte so etwas so wahrlich rein sein? Er hielt inne als er bemerkte, was er im Inbegriff war zu tun. Er schüttelte den Kopf und wieder flog sein Blick auf den Ring, der noch immer glänzend an ihrem Finger thronte.


    Die Tüte mit den Brötchen, die der Soldat in den Eimer gepackt hatte, begann zu rascheln, als er diese öffnete. Er biss mit einem lustlosen Schmatzer ein Stück davon ab und kaute es, als würde er eine Schachtel Kaugummis vernichten. Ein prüfender Blick auf die Uhr verriet, dass die Zeit nicht vergehen wollte. Schließlich lehnte er sich im Stuhl zurück und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf, legte die Füße auf den Schreibtisch der Überwachungszentrale und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Noch immer schoss ihm Evelyn durch den Kopf. Wieso faszinierte sie ihn so sehr?

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