Harold (Kurzgeschichte)

  • Hallo, ich habe kürzlich an einem Schreibwettbewerb in einem anderen Forum zum Thema "Mitten ins Herz" teilgenommen und die "Harold"-Quest aus Fallout 3 als Inspiration genommen. Da nur Fantasy erlaubt war, habe ich das Szenario entsprechend angepasst und damit tatsächlich den 1. Platz belegt. Naja und nun dachte ich, ich poste die Geschichte auch mal hier im Forum, auch wenn die Spannung etwas flöten geht, weil ihr die Story um Harold ja bestimmt schon kennt. Trotzdem viel Spass beim Lesen. ^^



    Harold
    von Deku


    Heute war ein wunderschöner Tag im Wald. Vögel zwitscherten in den Bäumen, Insekten tanzten durch die wohlig warme Luft und das beruhigende Plätschern eines nahegelegenen Bachs war zu hören. Doch Harold konnte keine Freude empfinden, denn er war es leid. Er war diesen ganzen Wald leid, er war die Tiere leid und er hatte es satt hier zu sein. Gefangen war er auf dieser Waldlichtung und das schon seit Ewigkeiten. Doch heute konnte sich alles ändern, wenn der Reisende Erfolg haben sollte. Dann endlich konnte er frei sein. Dann endlich musste er das alles nicht mehr ertragen.
    Schon zu lange war er hier, konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann es anders gewesen war. Doch das war es. Wehmütig dachte er an seine frühen Lebensjahre zurück. An seine Kindheit, als er fünf Jahre alt gewesen war und der große Krieg der Menschenvölker begonnen hatte. An die Zeit, als er mit seiner Familie zwangsweise in einem Keller leben musste, bis der Krieg vorbei war. An seine Jugend nach dem Krieg, als er begann die Welt zu erkunden und dort schließlich als Händler und Söldner arbeiten durfte. An seine eigene Karawane, die er gegründet und an die vielen Abenteuer die er erlebt hatte. Doch das alles war Vergangenheit.
    Noch einmal versuchte er sich zu erklären, warum alles so gekommen war. Warum er hier gefangen und praktisch ein Teil des Waldes geworden war. Doch eigentlich gab es gar nichts zu erklären, auch wenn er es immer noch nicht richtig verstand. Es lag schlicht und ergreifend nur an diesem schicksalshaften Tag. Damals, als er und eine Gruppe anderer Abenteurer diese grässlichen Kreaturen verfolgt und deren Ursprung schließlich in einer alten Ruine gefunden hatten. Es schienen sowas wie Mutanten zu sein, degenerierte Wesen mit menschlichen Merkmalen, jedoch dem Verhalten von wilden Tieren. Seine gesamte Gruppe wurde in der Ruine getötet und er selbst bewusstlos geschlagen. Als er wieder zu sich kam, lag er in einer Pfütze aus einer fremden zähflüssigen, grünen Lösung und dann nahm alles seinen Lauf. Ja, er hatte überlebt. Ja, sogar als Einziger. Doch zu welchem Preis?
    Harold verzog sein Gesicht und lächelte müde. Sollte ihm der Reisende seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen, gab es wieder Hoffnung. Hoffnung auf eine Veränderung. Hoffnung auf ewigen Frieden und Freiheit.
    Erst vor ein paar Tagen war der Reisende in sein Reich gekommen und war gleichzeitig der erste Außenseiter, dem er seit Jahrzehnten begegnet war. Die anderen Bewohner dieses Ortes waren nur irgendwelche religiösen Fanatiker, Spinner, die ihn für eine Art Gott hielten. Wären sie ihm doch nur mit Abneigung und Hass begegnet anstatt mit Liebe und Verehrung. Dann hätte er schon längst seinen Frieden gefunden.
    Harold wurde langsam ungeduldig. Der Reisende war nun schon den halben Tag unterwegs und noch immer war er an diesen Ort gebunden. Ob vielleicht etwas passiert sein mochte? War sein Plan nicht aufgegangen oder hatte der Reisende einen Rückzieher gemacht? Schließlich war die Höhle unter ihm nicht gerade ungefährlich und eine Belohnung gab es auch nicht, ganz im Gegenteil. Doch er hatte es ihm versprochen. Versprochen, ihm seinen Frieden zu bringen.


    Der Reisende war am 3. Tag des 5. Zyklus im Jahr des Bären in das Tal gekommen. Während das restliche Land von ewiger Dürre geplagt war, sprießte hier das Leben. Bäume wuchsen mit grünen Blättern und üppigen Früchten. Blumen zierten in allen Farben mit prachtvollen Blüten den Boden und saftige Wiesen und Büsche bedeckten das gesamte Tal. Die Luft roch nach einer Fülle aus solch himmlischen Düften, die der Reisende nur aus Erzählungen kannte.
    Endlich hatte er diesen Ort gefunden, den er schon so lange gesucht hatte. Die Legenden und Gerüchte waren also wahr. Der reisende Händler hatte also nicht gelogen oder den Verstand verloren, als er gerufen hatte "Es lebt!" kurz bevor er tot zusammen gebrochen war. Von irgendeinem Herrscher war die Rede, der das Leben wieder zurück in die Wüste bringen würde.
    Und dieser Herrscher war Harold, wie sich jetzt herausgestellt hatte. Angebetet von den Bewohner des Tals wie ein Gott, weil er den Ort fruchtbar machte und der Grund dafür war, warum hier alles blühte und gedieh wie in einer Oase. Kennengelernt hatte er ihn heute Mittag und wegen ihm befand er sich nun in dieser unterirdischen Höhle. Einen Auftrag hatte er ihm erteilt oder viel mehr eine Bitte aufgetragen, die er einfach nicht ausschlagen konnte. Warum wusste er selbst nicht, vielleicht aus Mitgefühl und Verständnis für die Lage, in der sich Harold befand.
    Vorsichtig drang der Reisende weiter in die Höhle vor, tastete sich im Halbdunkel mit der linken Hand der Wand entlang, während er in der anderen sein Schwert festhielt. Schon drei Höhlenmutanten hatten sich ihm in den Weg gestellt, die er nur mit viel Mühe besiegen konnte. Krebsartige Wesen mit einem robusten, weiß-grauen Panzer und mächtigen Klauen, die etwa einen Kopf kleiner als ein normaler Mensch waren. Reine Nahkämpfer, die aus kurzer Entfernung schnell nach vorne stoßen konnten und ihm einen Kopfstoß verpassen wollten. Doch der Reisende war geübt im Umgang mit dem Schwert und nicht so einfach zu überraschen oder überwältigen. Trotzdem musste er höllisch aufpassen, denn die Kampfgeräusche hatten vielleicht noch mehr dieser Monster angelockt.
    Nach einigen Schritten erreichte der Reisende eine große Kammer, in der die riesige Wurzel eines Baumes, so groß wie eine Säule, von oben herab wucherte. Hier war es deutlich heller als hinten in der Höhle, denn etwas Sonnenlicht drang durch ein Loch an der Decke. Als sich der Reisende versichert hatte, daß keine Feinde in der Nähe waren, trat er zu der Wurzel hin und betrachtete diese genauer. Und dann sah er es. Das Herz. Das Herz von Harold.
    Dieser arme Kerl, dachte der Reisende. War einst ein normaler Mensch, bevor ihm ein kleiner Baum aus dem Kopf gewachsen war und ihn schließlich ganz in einen Baum verwandelt hatte. Am Ende bestand er nur noch aus einem Gesicht in einem knorrigen Baum, welcher ihn Jahrzehnte lang am Leben und in der selben Position gefangen hielt. Sein Körper längst vom Baum absorbiert und darin verwachsen, fristete er sein Dasein als Symbiose aus Mensch und Pflanze. Und niemand erlöste ihn von seinem tragischen Schicksal, weil er für die Quelle des Lebens hier im Tal gehalten wurde.
    Der Reisende atmete noch einmal entschlossen durch und umfasste den Griff seines Schwerts. Was die Baumhüter von dem, was nun folgen würde, halten mochten, war ihm gleichgültig. Es war das einzig Richtige, daran gab es keine Zweifel. Nun würde Harold endlich das bekommen was er sich so sehr wünschte. Endlich würde er seinen Frieden finden. Dann stach er zu. Mitten ins Herz.

  • Ich finde das, dass eine tolle kleine Geschichte für diejenigen ist, die sich etwas mehr mit der Lore von FO3 befassen wollen.
    Hab deine Geschichte u.a auch meiner Freundin gezeigt und sie war so begeistert davon, dass sie gleich Fallout gestartet hat, nur um zur Oasis zu rennen, haha ^^.
    Aber auch besonders für Außenseiter; Sprich: für die jenigen die nicht das Privileg hatten FO zu spielen ist, das eine schöne Kurzgeschichte bei der sie ihre Fantasie frei im Lauf lassen können.


    Ganz besonders fand' ich cool, wie du im ersten Abschnitt erstmal aus Harolds Perspektive geschrieben hast und auf seine Vergangenheit eingegangen bist und dann im zweiten Abschnitt eher aus der Sicht des Reisenden.
    Das verleiht dem ganzen viel mehr "Tiefe", weil der Leser mehr von den Gefühlen und Gedankengängen der beiden erfährt.
    Jedoch kamen dadurch einige Dinge doppelt-gemoppelt vor was ich im Grunde gar nicht schlimm finde.



    Auch schön fand' ich, wie du am Anfang beider Abschnitte die Umgebung/Atmosphäre in der "Oase" beschrieben hast und dann im zweiten nochmal deutlich gemacht hat, wieso sich dieses kleine Stück Wald den so sehr vom Rest der Welt kontrastiert.


    Vielleicht hätte ich noch eingebaut, dass der Reisende vor einem Gewissenskonflikt stand und sich nicht sicher war, ob er nun Harolds Leben ein Ende bereiten will, weil es ihm genauso gut möglich war ,der ewigen Dürre ein Ende zu machen, indem er den Wald ausbreiten ließ.
    Aber naja, das ist nun keine zwingende Notwendigkeit ^^.


    Alles in einem wirklich Top Lesestoff! Weiter so, Deku!


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    @All: Ach kommt schon Leute. Spamt doch wenigstenst diesen Thread nicht zu!

  • Vielen Dank für euer Feedback. :thumbsup:


    Hab deine Geschichte u.a auch meiner Freundin gezeigt und sie war so begeistert davon, dass sie gleich Fallout gestartet hat, nur um zur Oasis zu rennen, haha ^^.


    Dann hat sich das Schreiben ja gleich doppelt gelohnt. ^^


    Vielleicht hätte ich noch eingebaut, dass der Reisende vor einem Gewissenskonflikt stand und sich nicht sicher war, ob er nun Harolds Leben ein Ende bereiten will, weil es ihm genauso gut möglich war ,der ewigen Dürre ein Ende zu machen, indem er den Wald ausbreiten ließ.


    An sowas hab ich auch kurz gedacht, es aber aus unerklärlichen Gründen bleiben lassen. Vielleicht weil ich die Geschichte nicht in die Länge ziehen wollte. Obwohl - rein gepasst hätte es auf jeden Fall.


    Hat auf jeden Fall sehr viel Spass gemacht die Geschichte zu schreiben, auch wenn ich schon seit Ewigkeiten eine Schreibblockade habe. Aber wenn man eine Vorlage hat, wird einem das Ganze natürlich ungemein erleichtert. :)

  • Habe mir die Geschichte nach deiner "Schleichwerbung" durchgelesen. Sie ist sehr schön geschrieben. Vor allem aber auch ein realistisches Ende für Harold.

    Eifersüchtig? Sein Name ist Herbert. Ich spreche mit ihm wenn ich einsam bin...he he. Ich mache nur Spaß...Sein Name ist Bob.

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